Eurokrise: Währung hat mit Ausgleich zu tun

Nr. 4 –

Die Spekulation mit Zinsdifferenzen ist zur dominierenden Macht an den Devisenmärkten geworden, schreibt Ökonom Heiner Flassbeck. Insofern ist die Einführung des Euro eine richtige Entscheidung gewesen.


Angesichts der Krise im Euroraum gewinnt das Argument mehr und mehr an Boden, es sei einfach eine Illusion der Gründerväter des Euro gewesen, zu glauben, man könne vollkommen unterschiedliche Länder mit einer einheitlichen Geldpolitik, also einem einzigen Zinssatz steuern. Niemand habe offenbar bedacht, dass ein einheitlicher europäischer Zinssatz den Unterschieden in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht Rechnung tragen könne.

Das ist eine von vielen falschen Einschätzungen. Die Einführung des Euro im Jahre 1999 bedeutete gerade nicht den Übergang von einer Situation der geldpolitischen Unabhängigkeit zu geldpolitischer Abhängigkeit, sondern den Übergang von geldpolitischer Abhängigkeit ohne Einfluss auf die europäische Geldpolitik zu einer Abhängigkeit mit Einfluss auf die europäische Geldpolitik. Das war für die meisten Länder ein wichtiger Schritt, weil sie vorher einseitig von der deutschen Geldpolitik abhingen. Diesen Fortschritt konnte nur eine Europäische Währungsunion (EWU) bringen.

Guter Euro – zu Tode gemanagt

Der Preis für diese feste Bindung war nicht die Aufgabe geldpolitischer Autonomie. Es gibt nämlich faktisch keine geldpolitische Autonomie bei offenen Grenzen für Güter und Kapital. Bei flexiblen oder marktbestimmten Wechselkursen ist die Notenbank zwar rein formal unabhängig, weil sie nicht gezwungen ist, am Devisenmarkt zu intervenieren. Keine Notenbank der Welt und keine Regierung kann aber ihre Währung einfach den Märkten überlassen, weil das erwiesenermassen das Ende jeder vernünftigen nationalen Wirtschaftspolitik wäre, wie das Beispiel des Schweizer Frankens in den letzten Monaten zeigt.

Devisenmärkte sorgen gerade nicht für einen Wechselkurs, bei dem kleine offene Volkswirtschaften ohne Störungen von aussen eine vernünftige Geldpolitik betreiben könnten. Da die Spekulation mit Zinsdifferenzen die dominierende Macht an den Devisenmärkten geworden ist, ist es geradezu lächerlich, an der Fiktion der geldpolitischen Unabhängigkeit bei flexiblen Wechselkursen festzuhalten. Spekulation treibt die Währungen exakt gegen die Fundamentaldaten und erschwert damit das Geschäft der Notenbanken, statt es zu erleichtern.

Insofern war die Einführung des Euro 1999 nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich eine richtige Entscheidung. Dass er von einer zu lange fest an den Monetarismus glaubenden Zentralbank, ideologisch verbohrten Brüsseler FunktionärInnen und unwissenden nationalen PolitikerInnen in den letzten zehn Jahren fast zu Tode gemanagt wurde, steht auf einem anderen Blatt.

Das Versagen der europäischen Entscheidungsträger zeigt sich daran, dass sie auch jetzt noch die entscheidende Frage nicht stellen: wie nämlich die gewaltige Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem Leistungsbilanzüberschussland Deutschland auf der einen Seite und den südeuropäischen Staaten mit hohen Leistungsbilanzdefiziten geschlossen werden kann. Offensichtlich hat in Brüssel und Berlin immer noch niemand verstanden, dass «Währung» etwas mit Ausgleich zu tun hat, mit dem Ausgleich, den Länder brauchen, die aufgrund stark steigender Preise gegenüber ihren Handelspartnern zurückgefallen sind.

Nichts begriffen?

In der EWU kann der Ausgleich nur geschehen, indem in Deutschland die Löhne im Verhältnis zur Produktivität stärker steigen als in den Defizitländern. Das dagegen regelmässig ins Feld geführte Argument, das sei in einer Marktwirtschaft gar nicht möglich, weil der Arbeitsmarkt ja ein Markt sei und sich deswegen nicht vom Staat dirigieren lasse, führt in die Irre.

Denn das deutsche Experiment in Sachen Lohnzurückhaltung war insgesamt gesehen ja keineswegs erfolgreich. Fast das gesamte magere Wachstum der letzten zehn Jahre ist dem Zuwachs des Exportüberschusses zuzurechnen, während die Binnenkonjunktur vollkommen lahmt. Es ist das eingetreten, was aufgeklärte ÖkonomInnen immer vorhergesagt haben: Man kann mit Lohndumping zwar den Nachbarn Marktanteile abjagen, wenn dies nicht durch eine Aufwertung der Währung ausgeglichen wird, man verliert aber bei der Binnenkonjunktur mehr, als man beim Export gewinnt. Zudem ist der Exporterfolg nicht nachhaltig, weil die Nachbarn irgendwann nicht mehr in der Lage sind, ihre Schulden weiter zu erhöhen.

Diese Zeit ist jetzt gekommen, wo selbst Deutschland drängt, die anderen müssten ihre Schulden abbauen und zu diesem Zweck ihre Löhne relativ oder sogar absolut senken. Das muss aber zulasten Deutschlands gehen, weil nicht einer seine Defizite abbauen und der andere seine Überschüsse behalten kann. Was wiederum zwingend bedeutet, dass in Deutschland die Löhne über so viele Jahre stärker steigen müssen, bis in den anderen Ländern die Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt ist.

Wer nicht glaubt, dass der «perfekte deutsche Arbeitsmarkt» das zustande bringt, muss eine staatliche Operation befürworten, die den deutschen Arbeitsmarkt wieder entflexibilisiert. Wer das nicht will, muss für einen Austritt der Defizitländer aus der EWU eintreten, was eine riesige Aufwertung der neuen deutschen Währung (also einen Lohnanstieg in internationaler Währung) nach sich ziehen muss. Wer auch das ablehnt, muss dafür eintreten, dass Deutschland die Defizitländer auf alle Zeiten alimentiert. Wer das alles nicht will, hat den wirtschaftspolitisch relevanten Teil der Makroökonomie einfach nicht verstanden.

Heiner Flassbeck (60) ist Chefökonom der Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung Unctad in Genf. Er promovierte zur Theorie der offenen Volkswirtschaft bei flexiblen Wechselkursen, war Berater des deutschen Finanzministers Oskar Lafontaine und publiziert regelmässig zu wirtschaftspolitischen Themen. Zuletzt erschien im Piper-Verlag «Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts».