Sozialer Widerstand im Baskenland: Die starke Gegenmacht von unten

Nr. 5 –

Konfliktfreudig, unabhängig und überdurch- schnittlich jung: Die baskische Gewerkschaft LAB ist längst zu einer Kraft geworden, mit der nicht nur die Unternehmen Mühe haben – sondern auch die grossen Gewerkschaften.


«Wir werden die Rentenpolitik ändern – ob mit oder ohne Zustimmung der Gewerkschaften.» Angesichts solch markiger Worte des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero stellt sich schon die Frage, was die zwei grossen spanischen Gewerkschaften – die ehemals kommunistischen Arbeiterkommissionen CCOO und die ehedem sozialistische Generalunion der Arbeiter UGT – letzte Woche überhaupt noch mit der Regierung diskutieren wollten. Gründe für massiven Protest gab es schliesslich schon genug: In den vergangenen Monaten hatte die sozialdemokratische PSOE-Regierung die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt, die Renten eingefroren, das ohnehin spärliche Kindergeld und die Bezüge für Langzeitarbeitslose zusammengestrichen und den Kündigungsschutz gelockert. Und trotzdem wurde vergangene Woche, als die Anhebung des Rentennalters von 65 auf 67 Jahre noch auf dem Verhandlungstisch lag und eine landesweite Arbeitsniederlegung vielleicht etwas bewirkt hätte, nur in Galizien und im Baskenland gestreikt (vgl. «Der grosse Streik»). Wenn CCOO und UGT doch noch protestieren, dann wohl so wie letztes Jahr, als sie gegen die Arbeitsmarktreform mobilisierten – nachdem diese in Kraft getreten war.

«Was aber soll ein Streik, der erst nach den wichtigen Entscheidungen stattfindet?» Igor Urrutikoetxea ist nicht der Einzige, der sich das fragt. Aber er weiss, wovon er spricht: Der 35-Jährige ist Vorstandsmitglied der baskischen Gewerkschaft Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB). Seine Organisation der Patriotischen Arbeiterkommissionen hatte im Baskenland gegen die Rentenreform mobilisiert. Ihrem Streikaufruf schlossen sich CCOO und UGT allerdings nicht an. Sie sassen ja in Madrid am Verhandlungstisch.

Nicht nur Belegschaftsinteressen

Das Baskenland ist die am stärksten industrialisierte Region auf der Iberischen Halbinsel. Zahllose Kämpfe haben die baskischen Lohnabhängigen über Jahrzehnte hinweg selbstbewusst gemacht. Ihr kollektiver Widerstand gegen die Franco-Diktatur in den fünfziger und sechziger Jahren – damals schlossen sich viele ArbeiterInnen im Untergrund zu «Kommissionen» zusammen oder traten der separatistischen Eta bei, die seinerzeit auch auf kultureller, politischer und gewerkschaftlicher Ebene agierte – führte Anfang der siebziger Jahre zu einer Verknüpfung der baskisch-nationalen Unabhängigkeitsbewegung mit dem Klassenkampf. Und so entstand im Herbst 1974, noch unter dem franquistischen Regime, LAB. Drei Jahre später, 1977, mitten in Spaniens Übergang von der Diktatur zur Demokratie, beschloss LAB dann den Sprung von einer Fabrikrätebewegung zur Gewerkschaft auf der Grundlage der «partizipatorischen Demokratie nach dem Delegiertenprinzip, mit Arbeiterversammlungen als Diskussions- und Entscheidungsinstanz».

Die Gewerkschaft hat sich nie als reine Interessenvertretung der Lohnabhängigen verstanden – sie mischt sich in alle sozialen und politischen Kämpfe ein, die sie für wichtig und gerecht erachtet. Sie streitet für die Rechte der baskischen Gefangenen. Sie engagiert sich für den Umweltschutz wie beim Kampf gegen den Hochgeschwindigkeitszug AVE, der im Baskenland durch ein Naturschutzgebiet fahren soll. Im internationalen Bereich unterstützt sie den Kampf der PalästinenserInnen gegen die israelische Besatzung – und auch die Konsequenzen der Finanzmarktkrise nahm sie nicht einfach nur hin.

So haben im April 2009 LAB-Mitglieder die Börse von Bilbao besetzt, im September 2010 eine Filiale der Santander-Bank in Pamplona lahmgelegt, vor zwei Wochen ein Büro der spanischen Sozialversicherung in Beschlag genommen und letzte Woche erneut eine Filiale der Santander-Bank gestürmt, dieses Mal in Bilbao. Diese Aktionen dauerten jeweils nur ein, zwei Stunden – aber sie signalisierten, dass es die Gewerkschaft ernst meint, wenn sie sagt, dass eine «Verbesserung der Lebensbedingungen der baskischen ArbeiterInnen nur über die Auseinandersetzung mit den Kräften erreicht werden kann, die die Produktionsmittel und das Kapital besitzen und die die politischen Verwaltungen kontrollieren».

Solche Parolen mögen klassenkämpferisch-antiquiert klingen – aber dank ihrer konfliktorientierten Haltung ist LAB mittlerweile die zweitstärkste Gewerkschaft im Baskenland. Ihr gehören rund 50 000 Mitglieder an und über 4400 aktive PersonalrätInnen in allen Industrie- und Wirtschaftsbereichen. Sie ist vor allem im öffentlichen Dienst vertreten und in der Metallindustrie, die knapp ein Drittel des baskischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.

Und noch eine Besonderheit charakterisiert LAB. Im Unterschied zu den spanischen Grossgewerkschaften finanziert sie sich zu neunzig Prozent aus Mitgliedsbeiträgen. UGT und CCOO hingegen werden vom Staat alimentiert. Die öffentliche Hand zahlt den beiden Grossgewerkschaften nicht nur Direktsubventionen (2010 waren es über fünfzehn Millionen Euro), sondern finanziert deren Apparate auch auf Umwegen – etwa durch die Förderung von Fortbildungsmassnahmen und Umschulungskursen für Arbeitslose, für die die Gewerkschaften zuständig sind. Die Mitgliederbeiträge machen bei ihnen kaum die Hälfte der Gesamteinnahmen aus.

«Hier leben wir, hier entscheiden wir»

LAB hingegen verfolgt eine andere Strategie. «Wir streben finanzielle Autonomie an», sagt Urrutikoetxea im LAB-Gewerkschaftsbüro von Pamplona – LAB erhält noch ein paar Zuschüsse von der Regionalverwaltung –, «vernünftige Gewerkschaftsarbeit kann nur betreiben, wer vollkommen unabhängig ist.»

Aber das ist nicht der einzige Unterschied. «Soziale Gerechtigkeit ist nur dann möglich, wenn der politische Rahmen stimmt», sagt Urrutikoetxea. Der Gewerkschafter meint damit die Unabhängigkeit des Baskenlands: «Hier arbeiten wir, hier leben wir, hier entscheiden wir.» UGT und CCOO hingegen, so seine Kritik, gingen davon aus, dass das, was sie in Madrid aushandeln, für alle Beschäftigten des ganzen Landes zu gelten habe. In der Vergangenheit hat dieser Allmachtsanspruch immer wieder dazu geführt, dass zentralstaatliche Vereinbarungen regionale Arbeitsabkommen ausgehebelt haben – meist zum Nachteil kämpferischer Belegschaften.

Allein gegen alle

Dass LAB Konflikten nicht aus dem Weg geht, zeigen nicht nur die Besetzungen. LAB und die sozialdemokratische Solidarität Baskischer Arbeiter (ELA), die grösste Gewerkschaft im Baskenland, reagierten beispielsweise recht früh auf die Wirtschaftskrise und riefen bereits Ende Mai 2009 zu einem Generalstreik auf. Der Ausstand war als vorbeugende Massnahme gedacht; von einem Sozialabbau wollte damals noch niemand sprechen. UGT und CCOO warfen den BaskInnen daraufhin Panikmache vor: Die Regierung in Madrid würde ihre Sache schon gut machen, die sozialen Errungenschaften seien nicht in Gefahr. Dennoch legten rund sechzig Prozent aller baskischen Beschäftigten ihre Arbeit nieder. Gut ein Jahr später – Ende Juni 2010 – folgte der nächste Ausstand. Während CCOO und UGT nach wie vor keinen Grund für Protestaktionen gegen die von der Regierung bereits konkret geplante Arbeitsmarktreform sahen, blieben rund achtzig Prozent der baskischen Lohnabhängigen ihrem Arbeitsplatz fern.

Einer der wichtigsten Betriebe im Baskenland – nach dem Genossenschaftsverbund von Mondragon – ist das Volkswagen-Werk in Pamplona. Die VW-Fabrik beschäftigt 5000 Menschen; weitere 5000 Arbeitsplätze hängen indirekt vom deutschen Automobilkonzern ab. Aber längst nicht alle VW-ArbeiterInnen haben einen halbwegs anständig bezahlten Job. Das sagt jedenfalls der langjährige VW-Betriebsrat Benito Uterga, seit 24 Jahren LAB-Mitglied. Mindestens tausend Beschäftigte stünden bei Leiharbeitsunternehmen unter Vertrag; sie beziehen nur einen Bruchteil des VW-Lohns und müssen mitunter von 740 Euro im Monat leben. Immer wieder habe er die CCOO- und UGT-VertreterInnen im Betrieb für Kampfmassnahmen gegen diese Ausbeutung gewinnen wollen – aber ohne Erfolg: «Mit denen ist eine Kooperation nicht möglich; die kümmern sich nur um ihre Stammbelegschaft.»

Dank der Sozialpartnerschaft mit CCOO und UGT konnte VW vor etlichen Jahren in Pamplona Lohnkürzungen durchsetzen – «um das Werk zu erhalten», wie es hiess. Nur LAB, die ein Zehntel der Belegschaft vertritt, wagte Widerspruch. «Wir dürfen uns doch nicht erpressen lassen», sagt Uterga. Drei Monate lang streikten die LAB-Mitglieder jeden zweiten Tag für zwanzig Minuten. «Die Kürzungen konnten wir zwar nicht verhindern, aber immerhin haben wir uns der Stilllegungsdrohung widersetzt.» Unterstützt hat diese Aktion niemand, auch nicht die deutsche IG Metall. Die IG Metall, das sagt auch Urrutikoetxea, «interessiert sich nur für ihre deutschen Mitglieder». Wie kurzsichtig traditionell-gewerkschaftliche Interessenvertretung oft ist, hatten die beiden Gewerkschafter auch in anderen Bereichen erlebt. Als die EU-Kommission vor ein paar Jahren eine weitgehende Reduktion des CO2-Ausstosses von Verbrennungsmotoren einführen wollte, waren die LAB-Vertreter in Pamplona die Einzigen, die das als Chance für einen Umbau der Industrie begrüssten; CCOO, UGT, IG Metall und die Autoindustrie lobbyierten dagegen – mit Erfolg.

LAB steht nicht nur im Konflikt mit Geschäftsführungen und anderen Gewerkschaften – auch der Staat ist hinter ihr her. So wurde im Oktober 2009 der langjährige LAB-Generalsekretär Rafa Díez verhaftet. Er soll, so die Staatsanwaltschaft, versucht haben, die illegale Batasuna-Partei (siehe WOZ Nr. 50/10) neu zu gründen. Die Verhaftung im LAB-Büro von San Sebastián war nicht die erste staatliche Schikane gegen die Gewerkschaft. 2004 zum Beispiel, als Batasuna, die baskische Jugendbewegung Segi, Gefangenenhilfsgruppen und andere baskische Organisationen verboten wurden, gingen die Behörden auch gegen LAB vor. «Damals fürchteten wir ein Verbot», sagt Igor Urrutikoetxea, «wahrscheinlich sind wir nur deswegen davongekommen, weil wir in der baskischen Gesellschaft so stark verankert sind.» Ausserdem, fügt Benito Uterga hinzu, «hätte Madrid schon Mühe gehabt, eine Organisation zu illegalisieren, die in tausend Firmen des Baskenlands Gewerkschaftsarbeit betreibt».

Noch vor der Inhaftierung von Díez hatte LAB einen Generationenwechsel eingeleitet. Inzwischen wird die Gewerkschaft von der 38-jährigen Ainhoa Etxaide geführt. Das passt in mehrerlei Hinsicht: Ein Drittel der LAB-Mitglieder ist dreissig Jahre alt oder jünger. Und im Vorstand – darauf ist man ziemlich stolz – sitzen mehr Frauen als Männer.


Der grosse Streik

Viele Fabriken blieben zu, Schulen und städtische Gebäude hatten geschlossen, der öffentliche Verkehr fuhr nur einen Notdienst, und die meisten Einzelhandelsgeschäfte liessen die Türen abgesperrt: Am vergangenen Donnerstag streikten die Beschäftigten im spanischen Baskenland gegen die Rentenreform der spanischen Regierung.

In der Privatwirtschaft haben sich laut Angaben der baskischen Gewerkschaften LAB und ELA rund sechzig Prozent der Lohnabhängigen am Generalstreik beteiligt, im öffentlichen Dienst waren es achtzig Prozent. Während im Baskenland protestiert wurde, akzeptierten in Madrid die zwei grossen Gewerkschaften CCOO und UGT die Rentenpläne der Regierung: Das Renteneintrittsalter wird von 65 auf 67 und die Mindestbeitragsdauer von 15 auf 25 Jahre angehoben.

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