Das Beispiel Thomas Hirschhorn: Politische Provokation und internationale Karriere

Nr. 9 –

Die kulturpolitischen Debatten der letzten Wochen legen die grosse Unkenntnis offen, mit der in der Schweizer Politik über künstlerische Belange verhandelt wird. Am Beispiel Thomas Hirschhorn zeigt sich: Die Praxis der Kulturpolitik hat ihre TheoretikerInnen überholt.


Das Verhältnis zwischen Thomas Hirschhorn und der Politik ist lädiert: Von rechtsaussen wird der international renommierte Künstler als verhätschelter Nestbeschmutzer attackiert – spätestens, seit er Christoph Blochers Wahl in den Bundesrat Ende 2003 mit einem landesweiten Ausstellungsboykott abstrafte. Linksintellektuelle wiederum kritisieren seine kooperativen Arbeiten mit Randständigen: Mit seinen theorielastigen Installationen und paternalistischen Auftritten würde er diese überfahren – eine Einschätzung, die von den direkt Betroffenen keineswegs geteilt wird.

Hirschhorn selbst, 1957 in Davos geboren, scheut keine Übertreibungen bei der Darstellung seiner Kritik an Pseudodemokratie, sozialer Ignoranz oder am Neoliberalismus. Zweifel über seine politische Grundhaltung lässt der Künstler, der seit 1984 in Paris lebt und arbeitet, keine aufkommen. Dass er sich im künstlerischen Selbstverständnis gern als Krieger bezeichnet, alarmiert just diejenigen, die seine Haltungen teilen.

Der Kunstbetrieb weiss diese pointierten Positionierungen zu schätzen. Die Einladung ins Zentrum Paul Klee in Bern durch dessen Direktor Juri Steiner fünf Minuten nach der Abwahl von Bundesrat Blocher im Dezember 2007, der Ankauf der Installation «Wirtschaftslandschaft Davos» durch das Kunsthaus Aarau (wo die Installation derzeit zu sehen ist) pünktlich zu Beginn des Weltwirtschaftsforums 2011 oder auch die für den Landratssaal Davos angekauften Collagen mit Bildern zu Gewalt und Pornografie sind kuratorische wie auch kulturpolitische Entscheide. Die darauf folgenden öffentlichen Kontroversen liefern den Beweis, dass Kunst politische Debatten anregen kann – und damit gesellschaftlich relevant ist.

Thesen statt Fakten

Kunst und Politik, das macht der Fall Hirschhorn deutlich, stehen aktuell in einer höchst umkämpften Beziehung. Die Gründe dafür, dass Politik und Kunst sich zunehmend füreinander interessieren, sind vielgestaltig: Der wachsende Kunstmarkt hat die Aufmerksamkeit an Kunst ebenso geweckt, wie es die steigende Bedeutung von Kreativität und Innovation als Motoren gesellschaftlicher Entwicklung tut. Und nicht zuletzt scheint die Politik in der Kunst eine der letzten Bastionen gefunden zu haben, um die sich Neoliberale und deren KritikerInnen heftige Gefechte liefern können.

Die Debatten der letzten Wochen legen allerdings die Unkenntnis offen, mit der in der Politik (und insbesondere von rechtsaussen) über künstlerische Belange verhandelt wird. Da werden Konzepte wie das des Staatskünstlers bemüht, der letztmals mit Ferdinand Hodler (1853–1918) identifiziert werden kann. Oder es wird das verstärkte finanzielle Engagement von Privaten gefordert – eine Entwicklung, die schon vor gut dreissig Jahren einen inzwischen vielfältig kritisierten Siegeszug angetreten hat.

Tatsache ist – und das ist ebenfalls Ergebnis eines politischen Entscheids –, dass es keine aktuellen Fakten dazu gibt, wann wie welche kulturpolitischen Massnahmen welchen Effekt im Kunstbetrieb erzielen. Der erste und letzte umfassende Bericht zur schweizerischen Kulturpolitik stammt aus dem Jahr 1975. Auf diese stark sozialpolitisch ausgerichtete Untersuchung folgte 1999 ein vom Bundesamt für Kultur herausgegebener Bericht, der weniger Fakten als vielmehr thesenhafte Essays versammelte. Das argumentative Vakuum, in das die Kulturpolitik spätestens seit den sechziger Jahren gefallen ist (nachdem die Kunst als Repräsentantin staatstragender Werte und Ideologien verabschiedet wurde), besteht bis heute.

Autonomie und Instrumentalisierung

Das in den letzten Jahrzehnten ebenfalls stark wachsende Interesse der Kunst an der Politik, das von Kunstschaffenden, deren VermittlerInnen und einem beachtlichen Aufgebot an philosophischen Instanzen gepflegt und postuliert wird, hat just mit dem Bewusstsein für dieses Vakuum zu tun. Die einst unter emanzipativen Vorzeichen erkämpfte künstlerische Autonomie scheint sich weitgehend in ihr Gegenteil verwandelt zu haben: Kunst darf nahezu alles, gesellschaftliche Konsequenzen hat ihr Tun in den allerwenigsten Fällen. Die Aufgabe, die ihr in den letzten Jahrzehnten, wenn auch nie explizit, zugeschrieben wurde, ist die eines kritischen Reflektierens aus sicherer Distanz.

Doch immer weniger Kunstschaffende begnügen sich mit dieser Funktion. Hirschhorn scheint dabei eine exemplarische Rolle zu spielen. Wendig bewegt er sich zwischen politischer Provokation, partizipativer Praxis, kritischer Theorie und internationaler Karriere. Die Argumente seiner KritikerInnen richten ihren Fokus derweil entsprechend ihrer politischen Agenda auf einzelne Aspekte dieses Agierens. So stört sich Rechtsaussen an der symbolischen Beschmutzung von Blochers Konterfei, einer marginalen Szene innerhalb des dreimonatigen Gesamtkunstwerks «Swiss-Swiss-Democracy» 2004 im Centre Culturel in Paris, die einen veritablen Medienskandal auslöste sowie eine erhitzte Diskussion im Nationalrat und die Kürzung des Jahresbudgets 2005 der Kulturstiftung Pro Helvetia von 34 auf 33 Millionen Franken zur Folge hatte.

Sich der politischen Instrumentalisierung zu verweigern, wie es neben prominenten Beispielen wie Hirschhorn auch leisere KünstlerInnen tun, hat keine unpolitische Haltung zur Folge – sondern lediglich eine, die kontrovers und anfechtbar bleibt. Dafür, dass diese kulturpolitischen Gefechte überhaupt ausgetragen werden können, sorgen jene AkteurInnen des Betriebs, die durch Ausstellungen, Gespräche, Ankäufe und Besprechungen für anhaltende öffentliche Präsenz sorgen. Es scheint, als hätte die Praxis der Kulturpolitik ihre TheoretikerInnen längst überholt und klammheimlich ein tragfähiges und komplex agierendes System etabliert. Auf der Notwendigkeit dieser Komplexität zu beharren, das ist unter den aktuellen politischen Umständen bereits eine radikale Haltung.

Die Kulturwissenschaftlerin Rachel Mader (41) ist Projektleiterin am Institut für Gegenwartskünste an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie forscht derzeit über die institutionellen Veränderungen im Kunstbetrieb seit den fünfziger Jahren.