Umbau der Energieversorgung: Eine Zukunft (fast) ohne Verzicht

Nr. 9 –

Wenn die Energie effizienter genutzt wird, ist der Umstieg auf eine erneuerbare Energieversorgung bis in vierzig Jahren machbar und bezahlbar, sagt der WWF. Sein Bericht gibt sich betont unpolitisch.


Bis in vierzig Jahren kann die Welt vollständig mit erneuerbarer Energie versorgt werden – und der Umstieg lohnt sich erst noch wirtschaftlich. Das besagt eine Studie, die der WWF International im Februar präsentiert hat. Keine «Energielücken», kein Gürtel-enger-Schnallen: Das Energieszenario des WWF «verlangt keine radikalen Änderungen des Lebensstils», sondern geht davon aus, dass sich das Konsumverhalten so entwickelt, wie es laut massgeblichen Studien auch ohne ambitionierte Energiepolitik zu erwarten ist (mit einer gewichtigen Ausnahme – dazu weiter unten).

Die Menschen sollen nicht weniger konsumieren, aber effizienter. Deshalb liegt der Energieverbrauch laut Szenario 2050 tiefer als heute – bei dreifacher Wirtschaftsleistung. Auf der Angebotsseite sieht das Szenario vor, die erneuerbare Energieproduktion massiv auszubauen. Hier ist das Szenario eher nüchtern: Es berücksichtigt nur Techniken, die schon im Einsatz stehen oder deren Anwendungsreife in naher Zukunft erwartet werden kann. Den mitunter schwindelerregenden Technikoptimismus mancher Erneuerbarpropheten teilt der Bericht nicht. Allerdings setzt auch er auf umstrittene grosstechnische Anlagen wie riesige Solarkraftwerke in Nordafrika (Desertec). Der Aufbau der nötigen Anlagen und der Infrastruktur werde zwar teuer; ab 2040 begännen sich die Investitionen aber auszuzahlen.

Laut der Studie, die das niederländische Umweltbüro Ecofys im Auftrag des WWF ausgeführt hat, gelingt es, bis 2050 fast alle Energie nachhaltig bereitzustellen – für fünf Prozent wird die Welt, entgegen dem Untertitel des Berichts, aber auf Kohle angewiesen bleiben. Der WWF äussert die Hoffnung, dank technischem Fortschritt werde aus dem 95-Prozent- ein 100-Prozent-Szenario.

Weniger Fleisch essen

Ohne Zielkonflikte ist das nicht zu haben. Die grösste Herausforderung stellt die Biomasse dar. Sie soll künftig vierzig Prozent des Energiebedarfs decken. Nebst der Nutzung organischer Abfälle müssten dafür auf einem Sechs-tel der heute landwirtschaftlich genutzten Fläche Energiepflanzen angebaut werden. Das geht nur, wenn weniger Futtermittel für Fleisch angebaut wird. Hier verlangt das Szenario deshalb den einzigen Einschnitt im Konsumverhalten: Die Einwohner der OECD-Staaten müssten ihren Fleischverzehr halbieren.

Am Bericht fallen vor allem zwei Dinge auf. Sie hängen miteinander zusammen: Er ist extrem optimistisch, was seine Hauptstossrichtung, die Energieeffizienz, angeht. Und er ist extrem konservativ in seinen politischen Annahmen und Empfehlungen.

Bei der Energieeffizienz geht der WWF weiter als andere, doch in der Marschrichtung rennt er offene Türen ein: Effizienz finden fast alle gut. Wird die Wirtschaft effizienter, soll sie weiter wachsen können, ohne dass dies zulasten der Umwelt geht. Ob sich Wirtschaftswachstum tatsächlich vom Energieverbrauch entkoppeln lässt, ist indes umstritten.

Das Szenario des WWF will die fossilen und atomaren Energien überflüssig machen, indem es qua Effizienzsteigerung die Nachfrage senkt. Das hat mindestens zwei Haken: Die Effizienz kann nicht beliebig gesteigert werden, sondern stösst irgendwann an naturgesetzliche Grenzen. Wenn sich die Weltwirtschaft von 2050 bis 2090 noch einmal verdreifachen soll, werden Effizienzsteigerungen dieses Wachstum nicht mehr auffangen können. Und: Wenn die Nachfrage sinkt, fällt der Preis – doch wenn der Preis fällt, steigt die Nachfrage. Die Energieökonomie spricht von Rebound-Effekten, die potenzielle Effizienzgewinne wieder zunichte machen. Damit erneuerbare Energien «von sich aus» das Erdöl verdrängen, müssten sie billiger werden als dieses – und zwar nicht billiger als der gegenwärtige Marktpreis (rund hundert Dollar pro Fass), sondern billiger als die Förderkosten des billigsten Öls (rund zehn Dollar pro Fass). Eine solche Preisentwicklung ist bei grösstem Optimismus nicht absehbar. Der Bericht ignoriert den Rebound.

Das Angebot verknappen

Rebound kann verhindert werden, indem die Politik das Angebot verknappt oder (drastisch) verteuert. Auf eine Verknappung zielt das sogenannte «Cap and Trade». Der Emissionshandel der EU ist ein Cap-and-Trade-System (wenn es auch so ausgestaltet ist, dass es wenig taugt). Den Weg der Verteuerung geht die Schweiz mit der CO2-Abgabe (wenn sie auch viel zu tief ist). Der WWF nennt in seinen Empfehlungen sowohl Cap and Trade wie Energiesteuern nebst Massnahmen wie Einspeisevergütungen für Strom aus erneuerbaren Quellen, staatlichen Investitionen in die Forschung oder einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs. In den zusammenfassenden Empfehlungen indes fehlt die – entscheidende – Verknappung oder Verteuerung der nicht erneuerbaren Energieträger.

Zu dieser Zurückhaltung passen die konservativen Annahmen des WWF-Berichts: Am «Lebensstandard» wird nicht gerüttelt. Die Ausnahme von diesem Grundsatz bildet die Forderung nach Reduktion des Fleischkonsums, doch fehlen Ideen, wie diese Forderung umzusetzen sei. Der Bericht ist merkwürdig unpolitisch – er verliert kein Wort darüber, was die Energieumstellung für jene Politfelder bedeutet, die nicht im engeren Sinne Energiepolitik sind: Was bedeutet «Regionalisierung der Wirtschaft» für die Handelspolitik, was die Forderung nach nachhaltiger Bodennutzung für Landwirtschaftspolitik und Bodenrecht? Was hat das Verkehrswachstum mit Raumplanung zu tun? Und ist die Forderung, «Dinge zu vermeiden, die wir nicht brauchen», nicht gar naiv angesichts einer Wirtschaft, die laufend neue Bedürfnisse schaffen muss, um weiterwachsen zu können?

Für politisches Tagesgeschäft

Patrick Hofstetter vom WWF Schweiz, der am Bericht mitgearbeitet hat, sagt, dieser wolle konservative politische EntscheidungsträgerInnen überzeugen. Deshalb gehe er von Annahmen aus, die auch solche Leute teilen könnten. Für den WWF sei entscheidend, dass der Bericht als Diskussionsbeitrag im politischen Tagesgeschäft tauge und nicht einfach eine Politvision fürs Büchergestell sei.

Strategisch kann das sinnvoll sein, wenn es auch schade ist, dass der WWF nicht nur von konservativen Annahmen ausgeht, sondern auch deren Weltsicht übernimmt – indem er etwa «Lebensqualität» und Wirtschaftswachstum in einen direkten Zusammenhang stellt. Der WWF zeigt, wie viel drin läge, wenn die Menschheit allein auf dem Gebiet der Energiebereitstellung vernünftiger als heute handelte. Das ist schon allerhand. Ginge die Menschheit noch etwas weiter und befragte ein paar ihrer Annahmen über die Grundlagen eines «guten Lebens», müsste die Energieumstellung eigentlich locker zu schaffen sein – ohne die Zitrone der Effizienz bis zum Letzten auspressen zu müssen.

www.panda.org/energyreport


Studien zur Energiezukunft : Peak Oil als Chance

Letzten November stellte die mächtige Internationale Energieagentur Bemerkenswertes fest: Das Fördermaximum für «konventionelles» Erdöl sei überschritten, die Nachfrage könne künftig nur dank «unkonventionellem» (also schwer zu förderndem) Öl gedeckt werden. Das sind schlechte Nachrichten, denn kein Land ist auf die Folgen vorbereitet, und «unkonventionelles» Öl belastet die Umwelt weit mehr als «konventionelles». Doch mit Blick auf die Uno-Klimaverhandlungen, die auf der Stelle treten, könnte in der Nachricht auch eine Chance liegen: Vielleicht motiviert die Furcht vor der Erdölknappheit eher zum Handeln als die Furcht vor der Klimahölle.

Wenn es gelingt, zu zeigen, dass ein Umstieg auf eine erneuerbare Energieversorgung sich sogar wirtschaftlich rechnet, dürfte der Rettung des Planeten eigentlich gar nicht mehr viel im Wege stehen. Doch die 160 Studien mit wissenschaftlichem Anspruch, die es zu diesem Thema laut dem Uno-Klimarat IPCC mittlerweile gibt, kommen zu sehr unterschiedlichen Schlüssen. Der Energiebericht des WWF ist, nach dessen eigener Einschätzung, die «bisher weitreichendste». Ein vergleichbarer Bericht von Greenpeace aus dem letztem Jahr, «Energy (R)Evolution», zielt auf eine Reduktion der CO2-Emissionen um achtzig Prozent bis 2050 ab.