Die Angst, dass Frauen besser klettern: Pionierinnen auf den Gipfeln: Patricia Purtschert lässt dreizehn betagte Bergsteigerinnen zu Wort kommen.

Nr. 11 –


Ich war verheiratet und hatte drei Töchter, so weit war alles in Ordnung. Aber innerlich fehlte mir etwas», erzählt Ruth Steinmann-Hess. Aus Neugier begleitete sie Anfang der sechziger Jahre mit 27 Jahren Freunde auf einen Viertausender. Gut fünfzehn Jahre später nahm sie an einer Himalajaexpedition auf den Lhotse (8516 Meter) teil. Sie hatte gefunden, was sie suchte: im Bergsteigen.

Die Leidenschaft für die Berge verbindet die dreizehn Frauen, die die Philosophin und Bergsteigerin Patricia Purtschert im Buch «Früh los» zu Wort kommen lässt. Sie standen zu einer Zeit auf den Gipfeln, als das für Frauen noch als ungehörig galt: Die Älteste der Porträtierten ist 1908 geboren, die Jüngste 1938. Die Bekannteste, Yvette Vaucher, hätte fast als erste Frau den Mount Everest bestiegen. Andere wurden Tourenleiterinnen, wieder anderen war der Genuss wichtiger als der Ehrgeiz .

Illustriert ist das schön gestaltete Buch mit Fotos aus Privatalben und Porträts von Véronique Hoegger. Sie unterstreichen die Unterschiedlichkeit der Frauen: Die eine lässt sich bodenständig im Wollpullover vor einer Holzbeige, die andere elegant mit Bluse im bürgerlichen Wohnzimmer ablichten.

Illustriert ist das schön gestaltete Buch mit Fotos aus Privatalben und Porträts von Véronique Hoegger. Sie unterstreichen die Unterschiedlichkeit der Frauen: Die eine lässt sich bodenständig im Wollpullover vor einer Holzbeige, die andere elegant mit Bluse im bürgerlichen Wohnzimmer ablichten.

Das Bergführerinnenverbot

Wie behaupteten sich diese Frauen in der Männerwelt des Alpinismus? Dieses Thema zieht sich durch das ganze Buch. Fast alle berichten, wie sie in den Bergen gut gemeinte «Hilfsangebote» zurückweisen und um den ersten Platz in der Seilschaft kämpfen mussten. Viele Männer hätten schreckliche Angst gehabt, «dass es Frauen geben könnte, die besser seien als sie», erinnert sich etwa die Ökonomieprofessorin Heidi Schelbert.

1907 hatte der Schweizer Alpenclub (SAC) die Frauen ausgeschlossen. Auch Bergführerinnen durften sie nicht werden: Dazu musste man militärdiensttauglich sein. Heidi Schelbert absolvierte extra den Frauenhilfsdienst, um diese Hürde zu umgehen – nur um zu erfahren, dass das nicht genüge. Kein Wunder, schätzten viele Frauen ihre eigene Organisation, den 1918 gegründeten Schweizer Frauen-Alpenclub (SFAC). Sie sammelten darin Erfahrungen, die ihnen Selbstvertrauen gaben. So erinnert sich die Schwyzerin Pauline Lumpert, wie ihre Sektion ganz allein die Delegiertenversammlung des SFAC organisierte – statt wie geplant einen Mann zu Rate zu ziehen.

Was die Touren angeht, standen die porträtierten Frauen ihren männlichen Kollegen in nichts nach: Sie erkundeten die Alpen vom Montblanc bis zum Piz Palü, viele wagten sich auch in den Kaukasus, den Himalaja und nach Patagonien.

Aber «Früh los» ist nicht nur ein Buch für AlpinistInnen, sondern vor allem ein eindrückliches Stück Schweizer Frauengeschichte. Zu den spannendsten Porträtierten gehören die Jüngste und die Älteste: Die Baslerin Charlotte Godel, zur Zeit des Gesprächs hundert Jahre alt, wird sehr deutlich, wenn sie von ihrem Aufwachsen als uneheliches Kind erzählt: «Ich habe keine nette Zeit erlebt mit den sogenannten ehrbaren Töchtern und Menschen. (…) Man war früher nicht nur bigott, man war vaterländisch dumm.»

Die Jüngste, die Geologin Silvia Metzeltin, deren deutsch-österreichische Eltern im Zweiten Weltkrieg im Tessin strandeten, berichtet von einem unkonventionellen Leben zwischen den Kulturen: Mit ihrem Mann, einem Italiener, beschloss sie, das Bergsteigen zum Beruf zu machen. Mit dem Schreiben von Kletterführern schlugen sich die beiden durch, lebten zeitweise in Argentinien. Nördlich des Gotthards fühlte sich Metzeltin dagegen nicht willkommen: «Wenn mein Mann italienisch sprach, wurde es schwierig. Und wenn ich hochdeutsch sprach, ging es erst recht nicht. In der Nacht bevor wir den Biancograt bestiegen haben, schliefen wir draussen. Wir durften nicht in der Tschiervahütte übernachten. Der damalige Hüttenwart wollte von Italienern und Deutschen nichts wissen.»

«Vermännlichte» Frauen?

Auch der Bericht von Erika Bumann aus Saas Fee ist sehr interessant. Sie schildert den Alltag im Kurort Mitte des 20. Jahrhunderts: wo das halbe Dorf hoch motiviert Englisch lernte, um sich mit den TouristInnen unterhalten zu können – und zugleich Wirte und Bergführer alle auch Kleinbauern waren, weil es noch kaum Wintertourismus gab. Bumann stand als Tochter eines Bergführers schon vor ihrem zehnten Geburtstag auf dem Allalinhorn (4027 Meter), mit dreizehn war sie an der Mischabelkette unterwegs. Trotzdem konnte auch sie nicht Bergführerin werden: Sie führte mit ihrem Mann ein Hotel, hatte sieben Kinder und war «zwanzig Jahre lang sozusagen eingesperrt». Aber mit sechzig stieg sie schliesslich doch noch aufs Matterhorn.

Im Nachwort zeichnet Patricia Purtschert die Geschichte der bergsteigenden Frauen seit dem 18. Jahrhundert nach und geht auf die Bilder ein, die die Medien von ihnen herstellten: Oft wurde die Gefahr einer «Vermännlichung» heraufbeschworen. Wenn eine Bergsteigerin wie Yvette Vaucher diesem Klischee nicht entsprach, reagierten die Journalisten mit «Verwunderung und Erleichterung».

Die Begeisterung für die Berge gibt vielen Frauen auch noch Energie, wenn ihre körperlichen Kräfte nachlassen. Die hundertjährige Charlotte Godel kann schon lange nicht mehr bergsteigen, aber sie liebt es, die Berge einfach anzuschauen: «Es ist ein wunderbares Gefühl, zu wissen, dass das kein Mensch gemacht hat.»

Patricia Purtschert: Die Angst, dass Frauen besser klettern. Pionierinnen auf den Gipfeln: Patricia Purtschert lässt dreizehn betagte Bergsteigerinnen zu Wort kommen. Verlag hier + jetzt. Baden 2010. 358 Seiten. 42 Franken