Peter Sunde: «Alle meine Projekte sind politisch»

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Peter Sunde hat die umstrittene Internettauschbörse The Pirate Bay mitgegründet und sich so die Film- und Plattenindustrie zum Feind gemacht. Mit seinem neuen Projekt, dem Bezahlsystem Flattr, geht der Schwede den umgekehrten Weg: Er will Menschen dazu bringen, für Inhalte im Internet zu bezahlen.


Peter Sunde sitzt entspannt und gut gelaunt in einer unauffälligen Hotelbar in der Nähe des Zürichseeufers und schlürft Orangensaft. Das ist erstaunlich. Der 32-jährige Internetaktivist ist in seiner Heimat Schweden zu einem Jahr Haft und 2,7 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt worden. Sunde hatte Ende 2003 zusammen mit drei Kollegen die Internettauschbörse The Pirate Bay (TPB) gegründet, die es den NutzerInnen ermöglicht, kostenlos Filme, Serien und Musik herunterzuladen – sehr zum Missfallen der grossen Film- und Musikunternehmen, die fortan alles unternahmen, um den TPB-Betreibern den Prozess zu machen. 2009 war es so weit.

Doch das erstinstanzliche Gerichtsurteil ist nicht rechtskräftig. Sunde und seine Kollegen haben erfolgreich Berufung eingelegt. Der Fall liegt nun beim Obersten Gerichtshof. Noch ist offen, wann die Verhandlungen in Stockholm aufgenommen werden. Der jungenhafte, gross gewachsene Schwede gibt sich optimistisch.

Bei TPB ist Sunde heute nur noch Nutzer und nicht mehr Betreiber. Er kümmert sich seit Ende 2009 vor allem um sein neues Projekt: den Mikrobezahldienst Flattr. NutzerInnen zahlen dort einen Mindestbeitrag von zwei Euro ein und können anschliessend auf Websites, die Flattr benutzen, auf den sogenannten Flattr-Button klicken. Am Monatsende wird die eingezahlte Gesamtsumme durch die Anzahl Klicks geteilt und den entsprechenden BetreiberInnen der Websites ausbezahlt. Am kommenden Samstag wird Sunde sein Projekt Flattr im Rahmen des m4music-Festivals in Zürich vorstellen.

WOZ: Herr Sunde, als Betreiber von TPB waren Sie der grösste Feind der Musikindustrie, nun sind Sie vom Musikfestival m4music als Referent eingeladen. Wie konnte das passieren?

Peter Sunde: Ihre Feststellung stimmt so nicht. Es waren die grossen Plattenfirmen, die behaupteten, TPB und andere Filesharing-Plattformen seien Feinde der Musikindustrie. Aber das sind sie nicht. Die Musikindustrie als Ganzes geht weit über die Plattenfirmen hinaus. Der Musikindustrie geht es gut, die Profite steigen. Ein Grund dafür ist, dass immer mehr Leute einen Bezug zur Musik haben, ein Wissen, eine Kultur – dank Plattformen wie TPB. Die Musikindustrie profitiert also von der aktuellen Entwicklung, nicht aber die Plattenfirmen.

TPB war also gegen Plattenfirmen oder Filmstudios und Verlage gerichtet – und kein Angriff auf das Urheberrecht?

Die Diskussion über das Urheberrecht führt doch nur dazu, dass die grossen Konzerne ihre Macht erhalten und notfalls gerichtlich abgesicherte Bedingungen diktieren können. Plattenfirmen streichen bis zu 98 Prozent des Gewinns ein, während die Künstler praktisch nichts davon sehen. Das ist alles andere als fair. Uns geht es darum, solche «Mittelsmänner» auszuschalten. Die digitale Welt braucht sie nicht mehr.

Leiden nicht vor allem die Künstler darunter, wenn ihre Songs, Filme oder Texte ohne Zustimmung kostenlos im Internet verfügbar sind?

Es geht nicht darum, ob man Filesharing gutheisst oder nicht. Diese Frage ist längst entschieden. Es wird immer Filesharing geben, Inhalte werden im Internet immer gratis zur Verfügung stehen. Das kann man nicht stoppen. Die zentrale Frage ist: Wie können wir es erreichen, dass Künstler an Inhalten im Internet verdienen?

Ist das von Ihnen entwickelte Flattr die Antwort?

Nein. Flattr ist nur eine von vielen Antworten. Mit Flattr allein wird niemand finanziell überleben können. Man muss weitere Möglichkeiten und Alternativen im Auge behalten und nutzen. Eine der grundlegenden Erkenntnisse bei TPB war, dass niemand im Internet für Inhalte zahlt, weil es keine simplen und fairen Bezahlmodelle gibt. Flattr ist der Versuch eines solchen Modells.

Der Versuch läuft seit letztem Jahr. Wie sieht die Bilanz aus?

Momentan nutzen ungefähr 75 000 Personen Flattr, vor allem in Deutschland, Schweden und Grossbritannien. Bisher sind es vor allem Blogger, die den Dienst nutzen, aber auch Zeitungen wie die «taz» oder «Freitag». Langsam beginnen auch Bands von Flattr Gebrauch zu machen, etwa die italienische Synth-Rock-Band Dope Stars Inc. oder der schwedische Songwriter Moto Boy.

Die «taz» hat diesen Januar und Februar jeweils etwa 1300 Euro über Flattr verdient und spricht von einer Stagnation.

Es existiert eine «taz»-Kernleserschaft, die Flattr mag und nutzt. Ihr einbezahlter Betrag teilt sich mittlerweile aber auch auf weitere Websites und Blogs auf. Es stimmt allerdings, dass wir am Anfang zwar einen gewissen Erfolg hatten, aber noch sehr weit von unserem Ziel von einer Million Nutzern bis Ende 2011 entfernt sind. Wir konnten bisher kaum Marketing machen, das muss sich ändern.

Sie wissen von Ihren Nutzern und Nutzerinnen, wer für welche Inhalte zahlt. Das sind ökonomisch interessante Daten. Welche Nutzerdaten speichern Sie bei Flattr?

So wenige wie möglich. Das Einzahlen läuft über die Bank, wir speichern einzig die E-Mail-Adresse, den Username und die IP-Adresse eines Nutzers.

Sie haben mit TPB eine Plattform betrieben, die Inhalte kostenlos zur Verfügung stellt. Ihr neues Projekt ist ein Bezahlmodell für Inhalte. Sind Sie vom Saulus zum Paulus geworden?

Für mich ist Flattr die logische Erweiterung von TPB. Es ging uns nie um kostenlose, sondern um freie Inhalte, darum, dass jedermann die Möglichkeit hat, an Inhalte und Informationen zu kommen.

Kann man mit TPB und Flattr Geld verdienen? Bei Flattr gehen satte zehn Prozent des eingezahlten Geldes an Sie.

Wir haben mit TPB nie Geld gemacht, und auch Flattr ist noch nicht profitabel. Das Geld fliesst bisher in die Betriebskosten, in Mitarbeiter und Server. Ich verdiene mein Geld vor allem mit Vortragsreisen. Übrigens möchten wir den Prozentsatz, den wir behalten, senken.

Sie haben vorhin die Informationsfreiheit angesprochen. Sehen Sie TPB und Flattr als politische Projekte?

Alle meine Projekte sind politisch. Ich glaube an die Bürgerrechte und die Bürgergleichheit. Alle sollten dieselben Chancen haben, an Informationen zu kommen.

Die rechtsextreme deutsche Partei NPD ist Nutzerin von Flattr. Blogger haben Sie aufgefordert, die NPD auszuschliessen. Das haben Sie nicht getan.

Die freie Meinungsäusserung ist ein Grundsatz meines Denkens. Selbst wenn die extreme Rechte kommt, hat sie das Recht, sich zu äussern. Nur so kannst du sie direkt bekämpfen und ihr aufzeigen, dass sie falsch liegt. Ich bin allgemein sehr besorgt um unsere Grundrechte. Es scheint, als kämpften wir nicht mehr dafür, jetzt, wo wir sie haben. Die Leute realisieren zum Beispiel nicht, dass es im Internet – global betrachtet – nur rund zehn Firmen wie Google, Facebook, Amazon oder Apple gibt, die alles bestimmen. Die sammeln eine ungemeine Dichte an Daten und Informationen über uns auf ihren US-amerikanischen Servern. Das macht mir Angst.

Gibt es eine Möglichkeit, dieses Machtsystem aufzubrechen?

Wenn, dann kann das nur die Rechtsprechung. Es braucht vor allem in den USA und in der EU neue Gesetze und Regulierungen. Leider bevorzugt die Legislative noch immer meist die grossen Firmen und die Wirtschaftsinteressen. Eine Art Charta für die Rechte auf freie Information, das wäre ein Ansatz.

Peter Sunde tritt am kommenden Samstag, 26. März, um 16 Uhr in der Box des Zürcher Schiffbaus als Referent im Rahmen des m4music-Festivals auf. Er spricht dort unter dem Titel «The Today of the Future» über die Möglichkeiten, die sein Projekt Flattr und Crowdfunding der Musikindustrie bieten können. m4music in: Neuchâtel, La Case à chocs, Do, 24. März; Zürich, Schiffbau, Fr/Sa, 25./26. März. www.m4music.ch

Nachtrag vom 21. April 2011 : Flattr will zum Angriff blasen


Vor einem Jahr stellte der schwedische Internetaktivist Peter Sunde an der Bloggerkonferenz Re:publica in Berlin sein neues Projekt vor: den Mikrobezahldienst Flattr. NutzerInnen zahlen dort einen Mindestbeitrag von zwei Euro ein und können anschliessend auf Websites, die Flattr benutzen, auf den «Flattr-Button» klicken. Am Monatsende wird die eingezahlte Gesamtsumme durch die Anzahl der Klicks geteilt und an die BetreiberInnen der Websites ausgezahlt.

Die Bilanz nach einem Jahr fällt durchzogen aus – jenseits der BloggerInnenszene konnte sich Flattr kaum durchsetzen. Das soll sich nun ändern, wie Sunde an der aktuellen Re:publica bekannt gab. Wie das? Indem Blog-Hoster wie Blogspot oder Wordpress ihre UserInnen mit einem Flattr-Button versähen – oder Giganten wie Wikipedia, YouTube und Twitter die Accounts ihrer Kunden mit Flattr ausstatteten. Fortsetzung folgt ...

Jan Jirát