Buch: Im Laberwahn

Nr. 13 –


«Lisa», der jüngsten Roman des österreichischen Schriftstellers Thomas Glavinic, hat einen klug gewählten Titel: Lisa ist allgegenwärtig, so wie der Vorname. Allerdings fühlt man sich von einem Vornamen kaum verfolgt. Als wahrhaft unheimliche Verfolgerin aus Fleisch und Blut wiederum denkt sich Tom, der Ich-Erzähler, «seine» Lisa zurecht. Man darf das ruhig so sagen, darf aufs Hirngespinstartige dieser Frauenfigur hinweisen. Eine Massenmörderin soll sie sein. Hat auf dem halben Erdball Brüste amputiert, junge Frauen erwürgt, Nieren aus Körpern geschnitten, gefoltert, verstümmelt. Angeblich.

Lisas Allgegenwart ist das atmosphärische Triebmittel der Geschichte. Im Mittelpunkt steht indes der durch schwersten Konsum von Kokain und Whisky gepushte, paranoid gefärbte Redeschwall unseres einsamen Helden. Der hat sich mit seinem kleinen Sohn in einer Berghütte verschanzt und quatscht Abend für Abend ein virtuelles Publikum übers Internetradio platt – falls überhaupt jemand zuhört.

Tom plappert von Sex, Drogen, Exfrauen, tanzenden Katzen, italienischen Filmen, besessenen Polizisten und tausend anderen Dingen. Kaum zum Aushalten! Und doch eine einigermassen gelungene Abbildung des ganz «normalen» egomanischen Laberwahnsinns unserer Gegenwart im Web 2.0. Vielleicht kann man es so sehen: Wenn sich unser Ich, befeuert von allerlei Selbst(er)findungsdiskursen und überzogenen neoliberalen Leistungsansprüchen, wichtiger nimmt, als gut für uns und unsere Mitwelt ist, dann kommt so was heraus.

Ironisch, traurig, zum Teil lustig, häufiger nervtötend – all das ist der Roman. Nur schaurig nicht – und spannend schon gar nicht. Dass der Autor am Ende mit einer bösen Überraschung aufwartet, erinnert an jenen Zaubertrick, von dem SchriftstellerInnen generell die Finger lassen sollten: Wenn nichts mehr geht, muss das Kaninchen her. Dummerweise merkt man allzu deutlich, weshalb es in den Hut gesteckt wurde.

Thomas Glavinic: Lisa. Hanser. München 2011. 208 Seiten. Fr. 26.90