Durch den Monat mit Anne Schwöbel von Transparency International (Teil 3): Ist Transparency selbst nicht transparent?

Nr. 16 –

Anne Schwöbel von der Antikorruptionsorganisation 
Transparency International über Whistleblowing und die 
Finanzen ihres Vereins.

Anne Schwöbel (39): «Ich glaube, es braucht in der Politik einen gewissen Raum, der nicht öffentlich ist.»

WOZ: Frau Schwöbel, wie wird man eigentlich Korruptionsexpertin?
Anne Schwöbel: Ich habe Recht studiert und später in Bern ein Praktikum beim kantonalen Staatsanwalt absolviert. Dort konnte ich zum Beispiel in der Abschlussphase im Fall Werner K. Rey mitarbeiten und gewann Einblick in dessen ominöse Finanzkonstrukte und in die Welt der Wirtschaftsdelikte. Das war hochinteressant. Nach dem ziemlich milden Urteil wurde ich allerdings auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Warum?
Ich merkte, dass es in solchen Fällen vor allem um Vergangenheitsbewältigung geht. Hinzu kam die Erkenntnis, dass die grossen Fische meistens geschont werden. Daraufhin bewegte ich mich mehr in Richtung Kommunikation und Informationsarbeit, ich entdeckte Transparency. Mich faszinierte der Fokus auf die Zukunft: Wir arbeiten ja mit unseren Zielgruppen zusammen und decken keine Fälle auf.

Wie finanziert sich Transparency?
Zu einem Drittel aus Spenden, zu einem Drittel aus Mitgliedsbeiträgen und zu einem Drittel durch staatliche Finanzierung – konkret vom Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft, und der Deza, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit.

Legen Sie all Ihre Spenden offen?
Alle bis auf eine. Ein Spender will nicht genannt werden. Seine Identität ist aber unserem Präsidenten und Kassier sowie unserem Revisor bekannt, der eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt hat.

Sie fordern Transparenz, sind aber selber nicht total transparent?
Es gibt ein paar Unterschiede: Erstens ist Transparency keine Partei. Zweitens sind an diese Spende keinerlei Bedingungen geknüpft. Und drittens ist dieser Betrag relativ klein: Er beschränkt sich auf die Zinserträge des Vermögens einer Stiftung und macht nicht einmal ganz ein Zehntel unseres Jahresertrags aus. Wenn schon, dann müsste man uns kritisieren, weil wir Geld vom Staat erhalten …

Wie viel Transparenz braucht es?
Sehen Sie, ich beobachte eine interessante Entwicklung: Früher war oft die Rede vom gläsernen Bürger, heute fragen wir: Wollen wir einen gläsernen Staat? Das hat uns nicht zuletzt auch die Debatte rund um die Enthüllungsplattform Wikileaks gezeigt: Ist ein Staat demokratischer, wenn er alles offenlegt? Ich glaube, es braucht in der Politik einen gewissen Raum, der nicht öffentlich ist. Verhandlungen im Vertrauen folgen einer anderen Logik als Verhandlungen im Öffentlichen. Positionen müssen sich ja entwickeln können, dürfen sich nicht verhärten. Das ist nur möglich, wenn sie nicht von Anfang an öffentlich sind.
Wichtig ist allerdings, dass das Öffentlichkeitsprinzip einer Demokratie nicht verletzt wird. Wenn der Staat ganz bewusst in die Irre führt oder Einflussnahmen verleugnet, dann wird es gefährlich.

Haben Sie ein Beispiel?
Der Irakkrieg: Da hat die US-Regierung die Öffentlichkeit bewusst nicht richtig informiert. In so einem Moment erhält eine Plattform wie Wikileaks auch ihre Berechtigung, mehr noch: Sie ist notwendig. Wenn es allerdings nur darum geht, mit einem Skandal ein Sensationsbedürfnis zu befriedigen, dann hat das keine Legitimation, im Gegenteil: Das schwächt die Demokratie und bringt keinen Mehrwert.

Die Afghanistan- und die Irakprotokolle, das Video «Collateral Murder», auf dem zu sehen ist, wie US-Soldaten auf Zivilisten schiessen – all dies konnte Wikileaks nur aufgrund von Whistleblowing öffentlich machen.
Der Begriff Whistleblowing war ja breiten Bevölkerungskreisen sehr lange überhaupt nicht bekannt. Nun gab es einige aufsehenerregende Fälle: Bradley Birkenfeld bei der UBS, Rudolf Elmer bei der Bank Bär, im Fall von Wiki­leaks wird Bradley Manning beschuldigt … Man möchte, dass Missstände aufgedeckt werden. Andererseits sind Whistleblower alles andere als beliebte Personen. Diese Doppelmoral stört mich.

Birkenfeld, Elmer, Manning – alle drei sitzen im Gefängnis. Schlechte Zeiten für Whistle­blower?
Es ist grundsätzlich schlecht um das Whistleblowing gestellt. An sich ist es eine gute Sache: Es deckt einen Missstand auf. Die Folgen können allerdings gravierend sein. In der Schweiz wird man in der Regel diskriminiert, hierarchisch herabgestuft, man wird gemobbt – oder gar entlassen. Das gilt auch für die Whistle­blowerinnen Margrit Zopfi und Esther Wyler, die Missstände im Zürcher Sozialdepartement aufdeckten. Sie wurden entlassen, fanden lange keinen Job mehr … Selbst bei missbräuchlichen Kündigungen ist es für Whistleblower schwierig, zu Schadenersatz zu kommen.

Wie steht es um den Schutz von Whistle­blowern?
Es gibt bis heute keinen gesetzlichen Schutz für Whistleblower im Privatsektor. Ein weiteres Problem sind fehlende Meldestellen. Idealerweise würde ein Whistleblower gar nie in der Öffentlichkeit stehen. Er müsste einen Missstand anonym melden können – und damit wäre seine Aufgabe erfüllt. Der Missstand sollte im Zentrum stehen – und nicht die Person, die auf den Missstand hingewiesen hat.