Durch den Monat mit Christine Goll (Teil 2): Wozu brauchen Frauen eigene Gremien?

Nr. 23 –

Die zurücktretende Nationalrätin lässt der Wirbel um ihre ­Rücktrittsauf­forderung an die Zürcher SP-Spitze in der letzten WOZ kalt. 
Viel eher müsste wieder eine konkrete Politik im Interesse der 
Frauen diskutiert werden.

Christine Goll: «Ehrlich gesagt, habe ich kein grosses Vertrauen in die neuen Männer- und Väterorganisationen.»

WOZ: Frau Goll, mit Ihrer Rücktrittsaufforderung an die Zürcher SP-Parteileitung in der letzten WOZ haben Sie für Aufruhr gesorgt. Wie verlief denn Ihr Wochenende?
Christine Goll: Ich hatte ein wunderbares Wochenende und erhielt sehr viele Rückmeldungen von Frauen, die meine Kritik an der Zürcher Parteileitung teilen und sich über meine Solidarisierung mit Anita Thanei sehr freuten.

Und anders lautende Meinungen erreichten Sie auch?
Nein. Es gab ja auch keinen Grund dazu, weil ich meine Kritik, die ich in der WOZ äusserte, zuvor bereits persönlich der Leitung der Kantonalpartei mitgeteilt hatte. Gegenüber der WOZ habe ich also nichts gesagt, was ich nicht auch schon den direkt Betroffenen gesagt ­hätte.

Ihr Parteikollege Patrick Angele hat Ihnen vorgeworfen, mit der öffentlichen Auseinandersetzung kurz vor dem Wahlkampf der Partei zu schaden …
Nun, diese Aussage halte ich für einen Witz, denn der Schaden war ja mit dem inszenierten Medienbashing gegen uns Bisherige und dem stillosen Umgang mit Anita Thanei vor den laufenden Kameras des Schweizer Fernsehens bereits angerichtet. Und zwar von der Parteileitung, die es nicht im Griff hatte, eine offene Debatte innerhalb der Partei zu führen.

Über die Beziehung zwischen Juso und SP gab es in den letzten Wochen auch bezüglich feministischer Fragen einiges zu lesen: Die Berner SP-Stadträtin Tanja Walliser fordert eine neue Gleichstellungspolitik der SP und stellte dabei die Legitimität der SP-Frauen infrage. Was halten Sie davon?
Ich finde, es reicht einfach nicht, auf einer formalen Ebene zu argumentieren und zu sagen, es brauche diese Gremien nicht mehr. Dass es diese braucht, zeigt die Aktualität des Frauen­streiktags: Der durchschnittliche Nettolohn der Männer liegt heute bei 6427 Franken, jener der Frauen bei 3745 Franken – das sagt doch eigentlich alles.

Also braucht es die Frauengremien?
Hätten beispielsweise die Bäuerinnen nicht ihr eigenes Gremium, dann wäre ihre Mobilisierung für den Frauenstreik, wären ihre Forderungen und Anliegen niemals publik geworden. Sie haben grossen Mut gezeigt und haben meine Hochachtung dafür, dass sie sich endlich von ihren Männern distanzieren, die überhaupt nicht ihre Anliegen oder Interessen unterstützen.

Zusammen mit vielen anderen Organisationen legen die Bäuerinnen den Finger auf den wundesten Punkt unserer Gesellschaft: Das Hauptproblem bezüglich der noch nicht erreichten Gleichstellung ist nach wie vor ein ökonomisches und soziales.

Das wichtigste Thema des diesjährigen 14. Juni ist also nicht ohne Grund die Lohngleichheitsfrage. Das Einkommen und das Vermögen sind das Fundament der sozialen Absicherung in unserem System. Das bedeutet auch, dass Frauen, die in Tieflohnsegmenten arbeiten, also auch Teilzeitarbeiterinnen – und es sind mehrheitlich Frauen, die Teilzeitjobs nachgehen –, sowie Frauen, die gesellschaftlich notwendige Gratisarbeit leisten, vom Sozial­absturz gefährdet sind. Das ist nach wie vor der Knackpunkt, den es zu lösen gibt.

Und deshalb regen mich solche formalen Strukturdiskussionen auf, in denen gefordert wird, die SP-Frauen gehörten als Organisation abgeschafft. Solange ich nicht konkret höre, wie das Programm lautet, um die stossenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen, bin ich nicht bereit, mich auf solche Diskussionen einzu­lassen.

Das Hauptargument der Juso und der jungen SP-Frauen lautet unter anderem, dass die Gestaltung der Gleichstellungspolitik, das Umdenken in Sachen Aufteilung der Betreuungs- und Hausarbeit oder auch bei der Lohngerechtigkeit nicht ohne den Einbezug der Männer erreicht werden können. Nicht ganz unwahr.
Ja, dieses Argument verstehe ich sehr wohl. Bloss habe ich, ehrlich gesagt, kein grosses Vertrauen in die neuen Männerorganisationen. Männer.ch beispielsweise, der Dachverband aller Schweizer Väter- und Männerorganisationen, weigert sich, an den vielen ­Aktionen zum 14. Juni mitzumachen. Er ist sich aber nicht zu blöd, zehn Tage später am Antifeminismuskongress aufzutreten. Das zeigt mir eindeutig, dass es überhaupt nicht an der Zeit ist, Frauenkommissionen über Bord zu werfen.

Ob nun mit oder ohne Männerorganisationen – was erhoffen Sie sich vom 14. Juni 2011?
Ich hoffe, dass sich möglichst viele Frauen an dezentralen Aktionen beteiligen. Und ich hoffe auch, dass es nicht bei diesen Aktionen bleibt, sondern dass sich Frauen weiterhin trauen, beharrlich und auch mit frechen Aktionen die Gleichstellung einzufordern. Vielleicht sollten wir uns tatsächlich weitere Streikformen überlegen – und zwar nicht nur in Form ausgedehnter Arbeitspausen, wie am diesjährigen 14. Juni, sondern organisierter Streikaktionen am Arbeitsplatz und im Bereich der privaten Betreuungs- und Pflegearbeit, auch unterstützt von den Gewerkschaften, um mehr Druck zu machen.

Christine Goll (54) war von November 2003 bis Dezember 2009 Präsidentin der Gewerkschaft VPOD und ist noch bis Herbst 2011 Zürcher SP-Nationalrätin.