Medientagebuch: Ein Ozean der Solidarität

Nr. 23 –


Jede Szene hat ihre Regeln, ihre Codes, ihre Gepflogenheiten. Das gilt auch für die Fifa, einen Verein aus Zürich, für den der Begriff «Szene» zwar etwas eng geworden ist: Der Milliardenkonzern zählt 208 Mitgliedsländer – 15 mehr als die Uno.

Die «Szene» der Fussballfunktionäre wirkt manchmal absurd, bizarr. Aber, so mussten wir JournalistInnen letzte Woche lernen, sie ist äusserst homogen: Man pflegt sehr eigene Umgangsformen, lebt in einer Spezialdemokratie, vor allem jedoch spricht man in der «Fifa-Familie» eine ganz eigentümliche Sprache. Und wenn man versucht, sie zu verstehen, dann wird aus einer hysterischen Woche voller Lügen und Intrigen plötzlich nur ein kleines Missverständnis. Ein Schnellkurs in Fifa-Sprech:

Familie: Der Weltfussballverband ist eine Familie. Und Familien wollen nicht gestört werden. Joseph Blatter: «Wenn Regierungen eingreifen in die Fifa, dann läuft etwas schief. Wir können unsere Probleme selber lösen, falls es welche gibt.»

Geschenk: Verteilt der Herausforderer 25 Geldumschläge mit je 40 000 US-Dollar ist das «Bestechung». Verteilt der Präsident eine Million Dollar «zur freien Verfügung», ist das ein «Geschenk».

Krise: «Welche Krise?» (Blatter)

Politik: Die Fifa ist eine Spezialdemokratie – oder um es mit den Worten des spanischen Fifa-Vizepräsidenten Ángel María Villar Llona zu sagen: «Was für eine Schande: Es gibt Politiker, die argumentieren in ihren Parlamenten gegen die Fifa!»

Pyramide: Präsident Blatter beschreibt seine Familie gern als Pyramide. Und sich selbst als Kapitän, der «das Schiff aus den trüben Gewässern» führen wird, da nicht nur die Pyramide wanke, sondern das Schiff sogar leckgeschlagen sei. Oder so ähnlich. Das Metapherndurcheinander verstand auch die Übersetzerin nicht ganz. Im Gegensatz zu einem Funktionär aus Fidschi. Er entgegnete verständnisvoll: «Wir sind ein Ozean der Solidarität in der Fifa.»

Lügenjournalismus: Die wichtigste Lektion erteilten die Funktionäre den JournalistInnen jedoch in Sachen Journalismus. Joseph Blatter, als er eine ausserordentliche Pressekonferenz einberief, sich dort aber weigerte, kritische Fragen zu beantworten («Das ist kein Basar», «Ich werde mich nicht auf Leute einlassen, die nur Probleme schaffen wollen»). Sein argentinischer Kollege Julio Grondona, auch bekannt für antisemitische Ausfälle, als er dem britischen Journalismus vorwarf, dass er «mehr aus Lügen als aus Wahrheiten» bestehe und damit die «Familie störe». England könne seine Stimme für die WM 2018 haben, sagte Gordona: Es brauche nur die Falklandinseln zurückzugeben, die «uns gehören». Und schliesslich noch der Fifa-Vize Ángel María Villar Llona: Die Journalisten seien nicht bloss Lügner, schrie der Spanier, sie beschnitten auch die Freiheit der Fifa-Familie. «Es gibt einige Medien, die das heilige Recht auf Information missbrauchen. Sie verstecken sich hinter diesem Grundrecht, um unsere Familie anzugreifen, insbesondere unsere Führungspersonen. Es reicht jetzt!»

Freude: Nur bei einer Aussage des Präsidenten stellt sich auch eine Woche danach noch die Frage, wie er das gemeint hat. An jener verhängnisvollen Pressekonferenz, die Sepp Blatter wütenden Schrittes verliess, sagte er: «Wir müssen uns auf die nächsten vier Jahre freuen. Das wird nicht einfach.»

Carlos Hanimann ist Wirtschaftsredaktor der WOZ.