Israel: «Die Menschen werden absichtlich verunsichert»

Nr. 38 –

Die wachsende politische Isolation und die Debatte um die Anerkennung eines Staats Palästina durch die Uno lassen Israels BürgerInnen zittern.


An der Hebräischen Universität in Jerusalem ist es ruhig an diesem Dienstagmorgen. Die Sommerferien sind noch nicht vorüber, nur wenige sitzen schon jetzt über ihren Büchern. Wie viele andere jüdische Stadtteile liegt auch der Skopus-Berg, auf dem sich die Uni-Anlage befindet, jenseits der Grünen Linie, der Waffenstillstandslinie von 1949, und damit in Ostjerusalem. Dies soll die Hauptstadt des Staats werden, den PalästinenserInnenpräsident Mahmud Abbas dieser Tage von der Uno anerkennen lassen will.

«Aber so einfach wird das nicht passieren», versichert ein israelischer Student, der gerade an einer Seminararbeit im Fach Politikwissenschaft arbeitet. Jüdische Stadtteile in Ostjerusalem müssten in jedem Fall Teil Israels bleiben. Für die meisten Israelis liege ein PalästinenserInnenstaat ohnehin in weiter Ferne. Dass Jerusalem geteilt werden könnte, sei für viele unvorstellbar. «Die israelische Regierung tut das Richtige, indem sie an ihren Positionen festhält. Wir müssen jetzt einfach abwarten», sagt er.

Auf den Ernstfall vorbereiten

Dennoch macht sich in Israels Öffentlichkeit Unsicherheit breit. Als die Publizistin Dahlia Scheindlin diese Woche ihr Postfach öffnete, fand sie dort eine unübliche Notiz: «Bitte erneuern Sie ihren Notfallkasten und Ihre Gasmaske», hiess es in einem Brief mit dem Emblem des israelischen Militärs. Dass diese Nachricht gerade jetzt komme, könne kein Zufall sein. «Die Menschen in Israel werden absichtlich verunsichert», sagt die Spezialistin für politische Meinungsumfragen. «Wir lesen in den Medien, dass Siedler im Westjordanland zur Verteidigung gegen mögliche Angriffe bewaffnet werden, und eine Rekordzahl von 9000 Polizisten wird für den Ernstfall trainiert.» Diese Angstmache hält sie für gefährlich. «Uns wird eingebläut, dass uns Palästinenser an allen Fronten angreifen werden», sagt Scheindlin. «So wird die israelische Gesellschaft unter dem Vorwand der Selbstverteidigung immer gewaltbereiter.» Die Hauptsorge der Menschen seien zwar die rapide wachsende diplomatische Isolation des Landes und der mögliche Verlust des Friedenszustands mit Ägypten und der Türkei. Aber die Angst vor einer erneuten Gewalteskalation habe sich ebenfalls tief in den Köpfen der Israelis festgesetzt.

Die Furcht vor einem neuen Aufflammen des Konflikts beherrscht nicht nur die israelischen Sicherheitskräfte. Auch Organisationen aus der Zivilgesellschaft bereiten sich auf den Ernstfall vor. Eine Mitarbeiterin der israelischen Menschenrechtsorganisation Hamoked sagte: «Unsere Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, damit wir mit Hunderten Anrufen von Gewaltopfern fertigwerden können.» Hamoked arbeitet als Schaltstelle zwischen PalästinenserInnen im Westjordanland und den israelischen Sicherheitskräften. «Wenn uns Leute anrufen, die von Siedlern angegriffen werden oder die an israelischen Kontrollpunkten festsitzen, dokumentieren wir das und üben deswegen Druck auf die Behörden aus», sagt die Palästinenserin mit israelischem Pass. Deswegen bekomme gerade das gesamte Personal ein Spezialtraining. «Ein paar unserer Mitarbeiter nehmen sogar das Wort ‹Krieg› in den Mund», sagt sie, hält dies selbst aber für übertrieben.

Für die derzeitige Eskalation wird vor allem die israelische Regierung verantwortlich gemacht. KritikerInnen werfen Premierminister Benjamin Netanjahu vor, Israel in die totale Isolation zu treiben. Andere bemerken, dass er den Weg in Richtung eines PalästinenserInnenstaats schon früher hätte betreten sollen. Nur so hätte er die eigenen Bedingungen, wie Fragen der Sicherheit und die Anerkennung Israels als jüdischer Staat, in einer möglichen Resolution festlegen können.

An Selbstbewusstsein gewonnen

Gleichzeitig hat in den letzten Monaten die israelische Zivilgesellschaft an Selbstbewusstsein dazugewonnen. Der Einfluss der Protestbewegung gegen soziale Ungerechtigkeit, die vor drei Wochen noch 400 000 DemonstrantInnen auf die Strasse gebracht hat, wirkt weiter. «Israel hat sich massiv verändert», sagt der Jerusalemer StudentInnenführer Itai Gutler. «Die Menschen sind sich ihrer politischen Macht bewusst geworden.» Doch obwohl der Umgang der BürgerInnen miteinander sich verändert habe, die meisten AktivistInnen der Bewegung politisch links gerichtet seien und für eine Zweistaatenlösung einträten, würden sie nicht für einen PalästinenserInnenstaat auf die Strasse gehen. «Unsere Bewegung muss sich leider davon fernhalten, sonst würden wir die Unterstützung vieler verlieren», sagt Gutler. Immerhin: 43 Prozent aller Israelis glauben laut dem Israel Democracy Institute, dass letztlich auch Israel einen palästinensischen Staat anerkennen müsse.