Die WOZ-Wahlserie (6): Wir brauchen Lohnkartelle

Nr. 41 –

Der Reichtum in der Schweiz ist immer ungleicher verteilt. Das hat nichts mit angeblicher Leistung zu tun, sondern mit der herrschenden Politik auf dem Arbeitsmarkt. Diese muss zugunsten der Mehrheit gewendet werden, fordert David Gallusser zum Schluss der WOZ-Wahlserie.


Immer weniger Beschäftigte erhalten mehr vom Kuchen, und den meisten bleiben nur Brosamen. Die ungleiche Verteilung des Reichtums lässt sich mit Zahlen eindrücklich belegen: Die Löhne des bestverdienenden Prozents wuchsen zwischen 1998 und 2008 teuerungsbereinigt um ein Fünftel. Zu diesen Wenigen gehörten auch die vermögendsten 50 000 Personen. Sie konnten als (Gross-)AktionärInnen vor allem von den grosszügigen Gewinnausschüttungen der Unternehmen profitieren. Diese sind bis zu Beginn der Wirtschaftskrise 2008 stetig auf über 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen und liegen noch heute deutlich über dem Niveau der neunziger Jahre.

Der Rest der Bevölkerung zog dagegen den Kürzeren. Als normal verdienende ArbeiterInnen mussten sie sich im gleichen Zeitraum mit zwei bis drei Prozent Lohnwachstum begnügen. Ihre Vermögen waren zudem zu bescheiden oder steckten kaum in Firmenbeteiligungen.

Knappheit oben, Überangebot unten

Der Reichtum wurde im letzten Jahrzehnt immer ungleicher verteilt, weil sich der Arbeitsmarkt entscheidend zugunsten der SpitzenverdienerInnen sowie der Unternehmen – und damit der Vermögendsten als deren BesitzerInnen – verschoben hat.

Das liegt zunächst am veränderten Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, der für den Grossteil der Lohnabhängigen härter wurde. Davon profitierten die Unternehmen, die mehr Freiheit erhielten, ihre Angestellten auszuwählen und damit die Löhne zu drücken. Umgekehrtes passierte bei den SpitzenverdienerInnen: Sie steigerten ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmen und damit auch ihre Löhne.

In den neuen Wettbewerbsbedingungen drückt sich eine veränderte Nachfrage der Unternehmen aus: Durch den anhaltenden Strukturwandel zu einer zunehmend wissensbasierten Dienstleistungsökonomie werden zwar insgesamt mehr Stellen geschaffen. Der Bedarf nach Personen mit tiefer Bildung steigt aber kaum, während Personen mit hoher bis sehr hoher Bildung stärker nachgefragt werden. Das gilt vor allem für SpezialistInnen bei Banken, Versicherungen und Unternehmensdienstleistern. Denn hier lassen sich mit den richtigen hoch qualifizierten Arbeitskräften entscheidende Konkurrenzvorteile verschaffen und die Gewinnmargen weiter steigern.

Doch nicht nur die Nachfrage hat sich verändert, mit politischen Entscheiden wurde auch das Angebot vergrössert: Vor allem durch die Personenfreizügigkeit mit der EU, aber auch durch das von 62 auf 64 erhöhte Rentenalter der Frauen sowie den erschwerten Bezug von IV-Leistungen befinden sich heute deutlich mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt als früher. Diese Angebotssteigerung betrifft zwar alle. Die Konkurrenz und damit der Druck auf die Löhne erhöhte sich jedoch hauptsächlich bei den unteren und mittleren Einkommen. Bei den SpitzenverdienerInnen hatte sie keine Auswirkungen auf die Knappheit der Arbeitskräfte.

Das Missverständnis der Ich-AG

Es wäre allerdings verfehlt, die Umverteilung nach oben nur mit dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage zu erklären. Gerade die Managerlöhne, die im letzten Jahrzehnt noch stärker stiegen als die Löhne der übrigen SpitzenverdienerInnen, haben herzlich wenig mit Konkurrenz und schon gar nichts mit dem idealisierten Markt zu tun, der «nun einmal einfach die Besten honoriert». Die Gehälter der obersten Chargen stiegen nur deshalb, weil die ManagerInnen über Firmengrenzen hinweg in Netzwerken verkehren und sich gegenseitig aus Gefälligkeit Posten in Verwaltungsräten, Vergütungskommissionen und Geschäftsleitungen zuschanzen. Dieser Filz bringt sie letztlich in eine Kartellposition, durch die sie sich praktisch nach eigenem Gutdünken ihre Löhne auszahlen können.

Auch am anderen Ende der Einkommensverteilung ist es nicht nur die verschärfte Konkurrenz, die den Unternehmen in die Hände spielt. Die Firmen verfügen häufig über die Macht, die Löhne noch weiter zu drücken, weil die ArbeitnehmerInnen weitgehend unabhängig von Lohn- und Arbeitsbedingungen ihre Arbeitskraft anbieten. Das liegt daran, dass an einem Standort oft nur ein einziges Unternehmen für gewisse Berufe Arbeitsplätze anbietet. Die Beschäftigten ihrerseits sind an diesen Ort wegen der Familie, des Umfelds oder auch der höheren Mieten und Krankenkassenprämien in den Zentren gebunden. Die Unternehmen nutzen ihre Machtposition besonders in den Tieflohnbranchen aus, aber nicht nur dort. Auch die öffentliche Hand hat wegen des Spardrucks im letzten Jahrzehnt die Löhne ihrer Belegschaft nur geringfügig erhöht, was von den Angestellten mangels Alternativen hingenommen wurde.

Diese Stärke der ManagerInnen und Unternehmen hat zwar der Umverteilung des Reichtums nach oben den Weg bereitet. Sie hätte sich aber nicht derart zugespitzt, wäre da nicht auch die Schwäche der Angestellten. So sank im letzten Jahrzehnt der Anteil aller Lohnabhängigen, die in einer Gewerkschaft organisiert sind und damit den ArbeitgeberInnen kollektiv die Stirn bieten können, auf achtzehn Prozent. Sicher kommt darin neuerlich der Strukturwandel zum Ausdruck, wodurch Arbeitsplätze in gut organisierten Branchen wie bei der Post verloren gingen und neue in schwach organisierten wie in der Pflege oder der Informatik geschaffen wurden. Die Entwicklung wird aber auch durch das Selbstverständnis vieler Werktätiger verstärkt, ihres eigenen Glückes Schmied und deshalb individuell für das Bestehen auf dem Markt verantwortlich zu sein. Das gilt besonders für besser ausgebildete ArbeitnehmerInnen beispielsweise in der wachsenden Kreativindustrie, aber auch für die (Schein-)Selbstständigen über alle Branchen hinweg. Letztlich erhöhte sich durch diese vermeintliche Eigenverantwortung nicht die Autonomie der Einzelnen, sondern nur die Konkurrenz und damit der Lohn- respektive Einkommensdruck.

Von den Managern lernen

Soll die Verteilung des Reichtums ausgeglichen werden, dann müssen die Macht- und Wettbewerbsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Mehrheit gewendet werden. Das wird allerdings nicht getan, indem – wie auch von der Linken vielfach geradezu hoffnungsvoll gefordert wird – den Managervergütungen mit mehr Aktionärsmitsprache begegnet wird. Wie Erfahrungen aus Britannien und den Niederlanden zeigen, verhindert das nämlich das ungebremste Wachstum der Managergehälter nicht. Ausserdem ist es vermessen, zu glauben, die AktionärInnen würden in den Chefetagen wie Robin Hood die Löhne kürzen, um allen anderen Angestellten mehr zu zahlen. Wenn sie tatsächlich kürzen würden, wäre es wohl viel wahrscheinlicher, dass sie selbst noch tiefer in die Unternehmenskassen greifen.

Keine Alternative ist es auch, die Konkurrenz reduzieren zu wollen, indem die Personenfreizügigkeit gekündigt und die Kontingentierung der MigrantInnen aus der Mottenkiste geholt wird. Denn die Chefs hätten nach wie vor ein Interesse an einem Arbeitskraftüberangebot und würden mit ihrem nicht zu unterschätzenden Lobbyeinfluss auf eine Regulation der Migration hinarbeiten, die ihnen weiter genügend billige Hilfskräfte und spezialisierte Fachkräfte bringt. Wahrscheinlich würden sie auch den Drang der Menschen, zu migrieren, der grösser ist als jeder Grenzzaun, ausnutzen und die MigrantInnen illegal beschäftigen. Letztlich würde so nicht die Konkurrenz, sondern nur die Rechte der MigrantInnen verringert.

Soll die Umverteilung nach oben tatsächlich gestoppt werden, dann muss auch die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen wie die ManagerInnen Kartelle bilden, um die Macht zu erhalten, die Konkurrenz auszuhebeln und gegenüber den Unternehmen gerechte Löhne durchzudrücken. Zugegeben: Neu ist die Idee nicht. Die konkreten Instrumente zur Bildung solcher Kartelle sind mit gewerkschaftlicher Organisation, staatlich durchgesetzten Löhnen oder einer ausgebauten Arbeitslosenversicherung, welche die Freiheit bringt, nicht jede Arbeit annehmen zu müssen, längst bekannt.

Mit der wachsenden Zahl Gewerkschaftsmitglieder im Dienstleistungsbereich und den flankierenden Massnahmen im Zuge der Personenfreizügigkeit konnten hier entgegen dem allgemeinen Trend durchaus Erfolge erzielt werden. Um das Schiff zu wenden, braucht es aber mehr. Es müsste nämlich – gerade auch in mittelständischen Kreisen – als normal gelten, miteinander Kartelle gegen Unternehmen und ManagerInnen zu bilden. So weit kann es aber nur kommen, wenn neben allen gewerkschaftlichen Bemühungen das Thema der Arbeitsmärkte stärker politisiert und die Fronten aufgezeigt werden. Neben den inhaltlich richtigen – weil kartellistischen – Forderungen liegen hier denn auch die Stärken der von der Linken jüngst ergriffenen Mindestlohn- sowie der 1:12-Initiative.


David Gallusser

Der 26-jährige David Gallusser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund und leitete zuvor die Kampagne der 1:12-Initiative.

Vor den Parlamentswahlen hat die WOZ sechs Autorinnen und Wissenschaftler gebeten, eine mögliche linke Politik zu beschreiben – frei in der Frage und Form. Der Bogen spannte sich von der Sprache über die politische Mobilisierung zu Arbeit und Lohn.

Erschienen sind: Dorothee Elmiger über die Sprache und das Klov (WOZ Nr. 36/11), Katrin Meyer zur Sicherheit als Verlässlichkeit (WOZ Nr. 37/11), Oliver Marchart über die Notwendigkeit, wählen zu gehen (WOZ Nr. 38/11), Daniel Oesch über Berufsgruppen und ihre Parteiwahl (WOZ Nr. 39/11) und Annette Hug zu den Waren als verzauberte Menschen (WOZ Nr. 40/11).