Novartis: Klassenkampf in der Villa

Nr. 44 –

Letzte Woche gab der Pharmamulti Novartis den Abbau von 2000 Stellen bekannt, über die Hälfte davon in der Schweiz. Nun spricht man in Nyon von Streik, in Basel ist Solidarität zu spüren, und die Juso transportiert den Arbeitskampf vor die Villa des Bosses.

Vor dem ersten Eingangstor zum Anwesen markiert ein giftgrüner Spraydosenstrich die Grenze zwischen öffentlichem Trottoir und privater Einfahrt. Eine Mauer umrundet das malerisch ausladende Grundstück – darin Daniel Vasellas Villa als veritabler Bunker. In einiger Entfernung liegt der glitzernde Zugersee, darauf dümpelt ein Polizeischiff. Auf der Hügelkuppe ist die Silhouette eines Wachmanns zu sehen.

Siebzig JungsozialistInnen, begleitet von einigen Medienleuten, machen dem Novartis-Präsidenten an seinem Wohnsitz in Risch ihre Aufwartung. Es ist der Einbruch der realen Verhältnisse in die Idylle der Zuger Steueroase. «Hier, da und dort», sagt die Winterthurer Juso-Gemeinderätin Mattea Meyer und zeigt auf die fürstlichen, aber geschmacklosen Residenzen Vasellas und seiner NachbarInnen, «wohnt das eine Prozent der Gesellschaft, das vom System profitiert.» Die anderen 99 Prozent aber litten immer öfter unter Sozialabbau, schlechter Bildung, einer serbelnden Infrastruktur und einer zunehmenden sozialen Ungleichheit: «Es herrscht Klassenkampf.» Dieser werde jedoch nicht von unten nach oben geführt, «sondern durch Vasella und seine Männer von oben nach unten».

Daniel Vasella, langjähriger CEO und Verwaltungsratspräsident des Basler Pharmamultis Novartis, hat eine Schwäche für philosophische Sätze. Im Buch «Wie Reiche denken und lenken» kann man von ihm etwa Folgendes lesen: «Eine besondere Art der Macht ist die Selbstbestimmung, das heisst die Freiheit, die einem gegeben wird und die man sich nimmt. Leider bauen die meisten Menschen ihr eigenes inneres Gefängnis und agieren zugleich als dessen Wärter, sodass sie nach einem Regelwerk handeln, welches nur in ihrer eigenen Vorstellung existiert.»

Occupy Villa Vasella

Um Freiheit, Macht und ein inneres Gefängnis geht es auch den Jusos vor Vasellas Villa in Risch. Sie sind so frei, ihren Protest gegen die Streichung von 2000 Novartis-Stellen weltweit – davon 760 in Basel und 320 in Nyon – direkt zum Verwaltungsratspräsidenten zu tragen. Dorthin also, wo an den steuergünstigen Gestaden des Zugersees die Macht haust. Ihre Parole: «Occupy Villa Vasella!» Besetzt wird dann allerdings nicht. Brav versammeln sich die Jusos gegenüber Vasellas Villa am Rand der Strasse, die an seinem Grundstück vorbeiführt, um dem Novartis-Präsidenten einen symbolischen «blauen Brief» zu schreiben.

Novartis ist ein hochprofitables Unternehmen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres stieg der Nettoumsatz von Novartis gegenüber 2010 um zwanzig Prozent auf 40 Milliarden Franken. Seit Januar erzielte der Konzern einen Reingewinn von 7 Milliarden Franken. Daniel Vasella verdiente letztes Jahr über 20 Millionen, der neue CEO Joe Jimenez 11,7 Millionen, 221 Mal mehr als die Novartis-MitarbeiterInnen mit dem niedrigsten Lohn. Seit vierzehn Jahren steigt die Dividende für die Novartis-AktionärInnen stetig und steil, letztes Jahr bis auf 2.20 Franken pro Aktie.

Die Manager wollen trotzdem restrukturieren. «Frankenstärke», «sinkende Medikamentenpreise», «auslaufende Patente auf teure Produkte», die der Konzern als Ursachen für den Stellenabbau ins Feld führt, seien aber keine überzeugenden Gründe für Massenentlassungen, sagt Manuel Wyss, Branchenleiter Pharma und Chemie bei der Gewerkschaft Unia. Sie lenkten vielmehr von der eigentlichen Intention ab: von der Profitmaximierung – dem «inneren Gefängnis» globaler ManagerInnen.

«Wir müssen kompetitiv bleiben», sagt Vasella zu Juso-Präsident David Roth und Gemeinderätin Mattea Meyer, als er die beiden hinter Mauer, Eisentoren und einem Gebüsch zu einer Kurzaudienz vor seiner Garage empfängt. Derweil bewachen am ersten Tor zehn grinsende Zuger BereitschaftspolizistInnen in Vollmontur die grüne Linie auf dem Trottoir. Man hätte die symphatischen Damen und Herren Robocops eigentlich auch zum Sprung über die grüne Linie einladen können. Auf Roths und Meyers Frage, ob Novartis, anstatt Stellen abzubauen, nicht auch die Löhne des Managements kürzen könnte, antwortet Vasella übrigens eisig lächelnd: «Ja, könnte man.»

Protest in Basel und Nyon

Während die Jusos in Risch Daniel Vasella also am letzten Samstag «die Kündigung» überbrachten, gingen in der Stadt Basel gleichzeitig tausend Gewerkschafterinnen und Sympathisanten gegen die Optimierungspläne von Novartis auf die Strasse. Laut Manuel Wyss von der Unia keine Selbstverständlichkeit: «Es braucht einiges, bis die Basler gegen ihre Industrie auf die Strasse gehen.»

Jetzt reicht es den Nordwestschweizern aber offenbar: Die Abbaupläne bei Novartis sind bereits der vierte Tiefschlag in der regionalen Industrie in nur vier Monaten. Seit Juli hatten schon Swissmetal (Kupferverarbeiter), Harlan (Pharma) und Huntsman (Chemie) den Abbau von insgesamt 700 Stellen bekannt gegeben. Und die Basler Abhängigkeit von der sogenannten Lifescience- und der chemischen Industrie ist gross: Rund dreissig Prozent der Stadtbasler Wirtschaftsleistung werden von ihr erbracht, in der ganzen Region arbeiten über 27 000  Beschäftigte in der Pharma- und Chemieindustrie, in der Stadt Basel alleine 9200 bei Novartis. Umso erfreulicher sei der Protest am Samstag gewesen, sagt Wyss, «es haben Novartis-Mitarbeitende aus allen Abteilungen und Stufen teilgenommen, viele Familien waren da, Grenzgänger und auch eine Delegation aus Nyon».

Den Standort am Genfersee will Novartis ganz schliessen. Gegen diese Pläne demonstrierten vergangenen Dienstag 200 Beschäftigte vor dem Waadtländer Grossrat in Lausanne. Und die achtzehn neu gewählten Waadtländer NationalrätInnen lancierten einen gemeinsamen Appell, in dem sie von der Novartis-Führung fordern, den Schliessungsentscheid zurückzunehmen. Auch über Werkstreiks wird in der Fabrik in Nyon diskutiert.

Viel mehr Zurückhaltung ist da beim offiziellen Basel zu spüren. Der Baselstädter Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin, Sozialdemokrat, schickt schon mal voraus: «Ich bin nicht der Pressesprecher von Novartis.» Dann sagt er: «Die härtere Medikamentenpreispolitik vieler Staaten infolge der Wirtschaftskrise scheint die Pharmaindustrie aber unter Druck zu setzen.»

Tatsächlich sinken die Medikamentenpreise in der Schweiz zurzeit ein wenig. Die Pharmabranche erzielt trotzdem nach wie vor exorbitante Margen, da sich hiesige Medikamentenpreise kaum an den effektiven Entwicklungs- und Produktionskosten orientieren. Vor kurzem kritisierte der St. Galler Krebsmediziner Thomas Cerny in der «Basler Zeitung»: «Die Medikamentenpreise sind politisch gemacht und unserer Meinung nach viel zu hoch.» Oft würden die Medikamentenpreise in den USA als Erstzulassungsland zwischen der dortigen Politik und der Industrie ausgehandelt, die Schweiz übernehme dann diese Preise aufgrund internationaler Abkommen. «Wir bezahlen einen fremdbestimmten, völlig intransparenten Preis, der nichts mit den realen Entwicklungskosten zu tun hat.»

Weshalb Novartis auch im Bereich Forschung und Entwicklung Stellen in Basel abbauen will, leuchtet SP-Regierungsrat Brutschin allerdings nicht ein: «Ich erhoffe mir hier noch Antworten vonseiten der Konzernleitung.» Nach den diversen Abbauankündigungen in der Industrie versteht er den Unmut in Basel: «Ich spüre die Empörung auch in meinem Quartier.» Vielleicht spürte Brutschin diese auch bei den Nationalratswahlen vor zehn Tagen: Dort verlor die stets moderat auftretende Stadtbasler SP nämlich über sechs Prozentpunkte.

Manuel Wyss von der Unia empört sich denn auch über das passive Verhalten der rot-grünen Basler Regierung rund um den jüngsten Stellenabbau in der Industrieregion: «Die hängen alle am Gängelband der Chemie.» Manchmal beschleiche ihn das Gefühl, als sitze die Basler Politik mit am Verwaltungsratstisch von Novartis: «Die ganze Szene hier ist mit der Industrie verbandelt.» Auch die SP? «Offenbar leider auch die, ja.»