«Melancholia»: Die Welt ist klein, wenn die grosse Melancholie kommt

Nr. 46 –

Lars von Trier lässt es krachen: In seinem neuen Film geht es um ganz grosses Unglück. «Melancholia» ist nicht nur eine feine psychologische Studie, sondern auch ein Stück Wissenschaftskritik.

Für einmal ist es eine Anziehungskraft der physikalisch simplen Sorte – Gravitation –, die Lars von Trier seinen Figuren auferlegt: Ein Fremdkörper rast auf die Erde zu. Das dänische Enfant terrible kann nicht anders, als mit dieser oft erzählten Weltuntergangsdramaturgie gleich zu Beginn seines Films «Melancholia» ein bisschen Schabernack zu treiben. Ihn interessiert die mögliche Rettung der Menschheit kein bisschen. Da wird kein dramaturgischer Bogen à la Hollywood aufgespannt (Schaffen sie es, schaffen sie es nicht?) – Trier bringt die Apokalypse gleich als furiose Eingangssequenz.

Nein, natürlich schaffen sie es nicht. Und ja, es kommt zum Schlimmsten, und zwar, nebenbei gesagt, auf wunderschöne Weise, 
mit schwelgerischen Wahnsinnsbildern. Den Schwarzmaler Trier interessiert nicht das Ob, sondern das Wie.

Es geht also um Physik, um Unfälle in der ganz grossen, der kosmischen Ordnung. Aber bei Trier sollte man, was grosse Plots angeht, auf der Hut sein. Weltuntergänge sind sehr persönliche Angelegenheiten, will er uns im neuen Film wohl sagen. Und weil man gute Geschichten am besten aus selbst Erlebtem schöpft (Trier macht aus den eigenen Depressionen kein Hehl), ist auch der Name des Unheilssterns kein Zufall: «Melancholia» heisst der blaue Riese, der sich ungefragt mitten ans sonst doch so verlässliche Firmament schiebt.

Verkehrte Welten

Im Mittelalter hatte die Melancholie nichts von der wohlig-traurigen Wärme, in die wir uns heute gern kuscheln. Sie war ein ernstes Leiden, das den Gläubigen zum Zweifler und so für den rechten Weg zu Gott verloren machte – damals nannte man sie auch «Mönchskrankheit».

Man muss diesen trierschen Weltuntergang also sehr bildlich nehmen. Und was ein echter Bildermeister ist, dem reicht auch ein kleines Detail, um mythisches Gefüge durcheinanderzubringen: «Melancholia» ist kein dummer kosmischer Brocken, kein Projektil aus dem Weltraum, das Mutter Erde abschiesst. Bei Trier sind die Grössenordnungen umgekehrt: Die Welt ist ganz klein, wenn die grosse Melancholie kommt. Beim Zusammenprall wird deshalb keine Wunde in die Erdkruste gerissen, es knallt nicht grell und laut – die Welt wird einfach verschluckt, ohne einen Laut.

Doch vorher muss Trier noch eine Geschichte erzählen, von einer Frau, die verloren geht in ihrem Unzufriedensein mit der Welt (und sich) – und ihrer Einsamkeit den anderen, halbwegs Glücklichen gegenüber. Kirsten Dunst spielt das wunderbar, ganz ungeschminkt. Und im besten Sinn trostlos. So geht erst mal eine schöne Hochzeit bachab (psychologisch brillant erzählt, wie man es von Lars von Trier kennt), bevor es schliesslich zum grossen kosmischen Crescendo kommt.

So viel zur Psyche. Zurück aber noch einmal zur Physik, zu den sehr berechenbaren Dynamiken. Da wird Trier nämlich unbedingt zum Schelm. «Melancholia» ist nicht zuletzt ein hinterhältiger Wissenschaftskommentar – wir haben es momentan schliesslich auch mit ziemlich düsteren Zukunftsszenarien zu tun. Und auch da wieder dreht Trier die Verhältnisse kurzerhand um: Der fremde Planet sorgt zwar für Aufregung, doch wähnt die Welt sich in Sicherheit. Die WissenschaftlerInnen haben berechnet, dass es nur zur Beinahekollision kommt.

Vertauschte Rollen

Bei Trier darf der Mann ganz klassisch die Ratio vertreten, während bei der Frau immer wieder die irrationalen Ängste durchbrechen. Einmal sagt Kiefer Sutherland als Stellvertreter alles Männlichen, und es klingt wie eine Beschwörungsformel: «Du musst den Wissenschaftlern vertrauen!» Und als die Frau andere Berechnungen ins Feld führt, die sie im Internet aufgestöbert hat, tut er diese Aussenseitermeinungen ebenfalls ganz klassisch ab: Die Wissenschaftler seien sich einig, so etwas wie ernstzunehmende konträre Meinungen gebe es gar nicht.

Trier lässt dann doch die paar HäretikerInnen recht haben, aber das ist nicht die Pointe dabei. Das herrlich Verdrehte an der Geschichte sind die vertauschten Rollen von WarnerInnen und BeschwichtigerInnen: In den aktuellen Diskussionen sind es nicht zwingend die WeltuntergangsprophetInnen, die sich in der Aussenseiterposition wiederfinden – beim Klimawandel sind die Optimisten die «Ungläubigen».

Das Ganze lässt sich auch von der universalen auf die ganz persönlichen Krise herunterbrechen, und da steckt wiederum einiges an Wissenschaftskritik im Film. Depressionen sind ernste Krankheiten, sagt die psychiatrische Lehrmeinung, angsteinflössend zwar, aber nicht existenziell in ihrer Bedrohung: Sie kommen uns erschreckend nah, ziehen aber vorbei. Nein, hält Trier dagegen, der Betroffene erlebt eine Depression zwingend als Frontalkollision. Er wird getroffen von einem Geschick, das viel grösser ist als er selbst.

Diese subjektive Sicht des Leidens wird in «Melancholia» mit grosser Geste verteidigt. Sie lässt sich nicht einfach wegrationalisieren, sagt Trier. In seiner apokalyptischen Vision steckt durchaus ein Trost, wenn auch kein kuschelig warmer.