Durch den Monat mit Flurina Marugg (Teil 4): Glauben Sie nicht, dass die Bewegung zusehends belächelt wird?

Nr. 47 –

Noch immer campieren einige AktivistInnen bei der Offenen Kirche St. Jakob am Zürcher Stauffacher. Morgens bietet sich dort ein eher klägliches Bild. Aber das Camp sei nach wie vor der Angelpunkt der Zürcher Occupy-Bewegung, sagt Flurina Marugg.

Flurina Marugg: «Politisches Engagement soll Spass machen, sonst wird man schnell ausgebrannt und zynisch.»

WOZ: Jetzt campieren Sie seit einer Woche vor der Offenen Kirche St. Jakob. Wie ist es da?
Flurina Marugg: Lärmig, von morgens bis abends. Dafür kommen wir viel mehr auch mit Passanten in Kontakt, die bisher nichts über die Bewegung wussten.

Und wie sind die Reaktionen?
Der Grossteil der Leute steht unseren Anliegen positiv gegenüber. Aber oft kommen dann im Gespräch gut gemeinte Ratschläge wie: «Ihr braucht konkrete Forderungen» oder «Hört endlich mit dem Campieren auf.» Aber das ist ja normal, dass jeder selbst am besten zu wissen glaubt, wo das Problem liegt.

Wenn man am Morgen das Camp aufsucht, trifft man nur auf eine Handvoll Verwirrter …
Das ist vielleicht teilweise so. Wir haben, wie schon auf dem Lindenhof, zu wenig Leute, die Zeit haben, das Gespräch mit den Passanten zu suchen. Aber die meisten von uns arbeiten jetzt dezentral. Das ist auch kein Problem, solange der intensive Kontakt zwischen Camp und dem Rest der Bewegung bestehen bleibt.

Wäre es nicht an der Zeit, die Zelte abzubrechen und sich in der warmen Stube über andere Protestformen Gedanken zu machen?
Wir haben das lange diskutiert, und es gibt Leute, die diese Position vertreten. Aber ich finde, wer weiterhin campieren möchte, soll das auch tun können. Die Symbolik des Camps ist viel wert. Ausserdem ist es einfacher, sich der Bewegung anzuschliessen, solange es das Camp gibt. Wenn alles dezentral in Privatwohnungen abläuft, ist es für Aussenstehende schwer, einen Zugang zur Gruppe zu finden.

Sie bleiben also vorerst hier?
Ja. Das Camp unterscheidet uns doch von einer Studentenbewegung, die sich einfach in Bars trifft und diskutiert. Es ist zentral, dass wir zusammen leben. Und wir sind aktiv auf der Suche nach Orten, wo wir unsere Form des Zusammenlebens auch weiter praktizieren können, wenn es das Camp nicht mehr gibt: Bauernhäuser, aber auch Stadtwohnungen.

Was tun Sie eigentlich jetzt im Camp?
Wir wollen eine Zeitung herausgeben, ganz altmodisch auf Papier. Es werden da nicht hochtrabend intellektuelle Theorien reinkommen. Sie soll nicht grossartig recherchiert und auch nicht objektiv sein, sondern das thematisieren, was uns gerade bewegt.

Also so etwas wie die Bewegung selbst: ein Ausdruck primär von Befindlichkeiten und nicht von Inhalten?
Genau.

Glauben Sie nicht, dass die Bewegung zusehends belächelt wird?
Ich finde, unser Wirtschaftssystem kann auch belächelt werden. Solange ich mich für etwas einsetze, das mir am Herzen liegt, ist mir egal, wenn ich belächelt werde. (Eine gut gekleidete Frau steckt Marugg zwanzig Franken zu und sagt: «Jesus ist ganz nah bei Ihnen!»)

Die FDP nimmt in Zeitungsinseraten Stellung zu den von der Bewegung formulierten Wünschen. Und sie tut es nicht sehr nett.
Das ist ja wenig überraschend. Erst hat es mich und auch andere furchtbar genervt. Doch dann haben wir gemerkt, dass unsere Wünsche gross und fett gedruckt sind. Wenn sie damit also Inserate schalten will, bitte sehr – das ist für uns tolle Gratiswerbung. Auf das, was die da schreiben, muss man gar nicht eingehen, mir kommen sie vor wie ein quengelndes Kind.

Ist die Zürcher Bewegung in Zürich international vernetzt?
Es gibt Kontakte über Skype zu anderen Occupy-Aktivisten, etwa in New York. Da geht es mehr um Überlebensstrategien im Camp: Was tut man bei einer Räumung, wie geht man mit Randständigen um? Solche Fragen.

Es gibt aber auch inhaltliche Fragen, die für die globale Occupy-Bewegung Anlass wären, sich zu vernetzen. Das Wef, das Weltwirtschaftsforum, zum Beispiel, das im Januar wieder in Davos stattfindet …
Das Wef gibt es ja schon lange, den Widerstand dagegen auch. In der Gruppe wird die ganze Bandbreite von Möglichkeiten diskutiert: der Protest vor Ort, der, wie man weiss, aufgrund der rigiden Sicherheitsmassnahmen schwierig zu gestalten ist. Oder eine Gegenveranstaltung, aber eine solche gibt es ja auch schon. Und einige wollen den Wef-Teilnehmern Rosen verteilen. Letzteres ist nicht so mein Ding. Und mit dem internationalen Widerstand, da bin ich etwas pessimistisch, dass sie den gar nicht einreisen lassen.

Hat sich für Sie persönlich in den letzten vier Wochen etwas verändert?
Ich habe mich schon früher politischen Bewegungen angeschlossen, fühlte mich jedoch immer unwohl, wenn es fundamentalistisch wurde. Politisches Engagement soll Spass machen, sonst wird man schnell ausgebrannt und zynisch. Die Offenheit der Bewegung, der ganzheitliche Ansatz gibt mir das Gefühl, dass eine andere Welt möglich ist. Die Formen des Zusammenlebens, die hier praktiziert werden, führen hin zu einer besseren Welt – nicht für die ganze Gesellschaft, aber zumindest für mich. Es klingt saudumm, aber ja: Die Bewegung hat meinem Leben einen Sinn gegeben.

Flurina Marugg (22) hat die Occupy-Sau 
(siehe WOZ Nr. 46 ) repariert und neu 
angemalt. Einmal in der Woche geht sie nach Hause, um sich aufzuwärmen.