Wirtschaftskrise: Der Markt, die Märkte und der Murks

Nr. 47 –

Drei Jahre nach dem letzten Crash steht die Welt erneut vor dem Kollaps. Ist die Krise der Ökonomie auch eine Krise des Denkens?

Die Krise mottet wie ein Schwelfeuer und erfasste Banken, dann Staaten. Es fehlt nicht nur an Milliarden, sondern auch an Klarheit. In der vom Netzwerk Entresol, der Buchbar «Sphères» und der WOZ veranstalteten Reihe «Zur Lage der Republik» suchten der Ökonom und Journalist Markus Diem Meier sowie der Psychoanalytiker Peter Schneider nach Gründen und Lösungen.

Die «Krise der Ökonomie als Krise des Denkens» scheint die Leute zu beschäftigen. Weit über hundert von ihnen drängten sich am Montag dieser Woche im Zürcher «Sphères», und man kann die Vermutung wagen, dass es nicht die übliche Klientel etwas verlorener linker Veranstaltungen war.

Eigentlich erlebte das Publikum zwei Debatten. Auf der einen Ebene beschrieb Markus Diem Meier, wie die vom neoliberalen Dogma angeleitete Ökonomie in die gegenwärtige Krise geführt habe und wie diese kurzfristig zu bewältigen wäre. Auf der andern Ebene analysierte Peter Schneider die Gründe, warum solche Denkformen wirksam seien und stellte Parallelen zu Religion und Psychoanalyse her.

Unentschieden blieb vorerst die Frage. ob der Neoliberalismus wirklich ausgedient habe. Einiges ist laut Diem Meier sicherlich anders geworden: Wirtschaftspolitik durch den Staat wird zumindest wieder als legitim anerkannt. Man wüsste eigentlich auch, was zu tun wäre: Die Europäische Zentralbank (EZB) muss die Möglichkeit bekommen, massiv zugunsten der einzelnen Länder zu intervenieren. Diem Meier erläuterte das am Beispiel Italien: Dessen Verschuldung hat in den letzten zwanzig Jahren nicht massiv zugenommen, und das Land erwirtschaftet einen Handelsbilanzüberschuss. Dennoch werde aus ideologischen Gründen ein Bestrafungsmechanismus in Gang gesetzt, der in den Marktmechanismen veräusserlicht und in der Theorie verinnerlicht worden sei.

Nun ist Verinnerlichung natürlich eines der Themen von Peter Schneider. Mit gewohnt publikumswirksamen Formulierungen beschrieb er den «naturreligiösen» Aspekt der Wirtschaftstheorie. In jüngster Zeit sei eine Verschiebung vom «Monotheismus» des allbeherrschenden einen Marktes zum «Polytheismus» der vielen volatilen Märkte festzustellen. Und er zog eine Parallele zu linken sexualpolitischen Vorstellungen: Utopien wie Wilhelm Reichs Sexualökonomie mit ihrer absolut gesetzten Befreiung der Sexualtriebe seien erstaunlich nah am Neoliberalismus: ein naturwüchsiger Kapitalismus als Befreiung vom einengenden existierenden Kapitalismus.

Und die Alternativen, die WOZ-Redaktor Yves Wegelin als Moderator in der Diskussion hielt? Da zogen sich beide Diskutanten auf eher konservative Positionen zurück. Diem Meier findet den Kapitalismus eigentlich ganz in Ordnung, wenn er denn nur gezähmt wird. Sein Vorbild bleibt der Nachkriegskonsens mit dem sozial engagierten Marktbefürworter John Maynard Keynes als Kronzeuge. Auch Schneider zeigte Scheu vor Gegenmodellen und Utopien, die Widersprüche auszuschalten suchten. Klar, wir wollen keine alles erklärenden Grosserzählungen mehr. Dringlich müssten wir uns allerdings daran machen, an praktikablen Alternativen herumzudenken.

Markus Diem Meier: «Auf Crash-Kurs. Die grossen Baustellen der Weltwirtschaft». Orell Füssli. Zürich 2011. 192 Seiten. Fr. 29.90.