Bildungsabbau in Baselland: Sparen bis zur vollkommenen Dummheit

Nr. 48 –

Über Jahre hat Baselland die Steuern gesenkt. Nun klafft eine Lücke im Haushalt, die die Regierung mit einem harten Sparkurs stopfen will – auch auf Kosten der Bildung. Der Widerstand dagegen nimmt zu.

Kurz vor Mittag bricht auf dem Pausenplatz des Sekundarschulhauses Gründen in Muttenz Aufruhr los. Jugendliche schlagen mit Holzstecken auf leere Blechbüchsen ein, blasen in Trillerpfeifen und drücken auf Hupen, sie schreien und kreischen. Und die LehrerInnen? Machen fleissig mit. Ja, sie haben die Aktion organisiert. Die SchülerInnen haben sich – mit sichtlicher Freude – angeschlossen.

Keine hundert Meter vom Schulhaus Gründen entfernt steht das Bildungszentrum kvBL. Auch dort haben sich Schülerinnen und Lehrer gemeinsam auf dem Sportplatz versammelt und lauschen trotz Kälte gebannt der Rede eines Lehrers. Es geht um einen gealterten Linken, der seinen eingerosteten Widerstandswillen entdeckt. «Die Welt verändern? Er will es noch einmal versuchen», endet die Rede. Applaus ertönt.

Weitere, ähnliche Aktionen haben am vergangenen Freitagvormittag auf über einem Dutzend weiterer Schulhausplätze in Muttenz, Birsfelden und Liestal stattgefunden. Die Baselbieter Lehrpersonen protestieren gegen den von der Kantonsregierung geplanten Bildungsabbau in Höhe von über dreissig Millionen Franken. Mitte Dezember wird das Kantonsparlament, der Landrat, darüber entscheiden.

Grössere Klassen, tiefere Löhne

«Unsere Politiker sollen merken, dass wir – die direkt Betroffenen – die Sparmassnahmen nicht einfach so hinnehmen», sagt eine Sekundarlehrerin. Sie hält ein Transparent hoch: «Kapputschparren machd tum» steht dort. «Ihr könnt eure Suppe selber auslöffeln – wir tuns nicht», heisst es auf einem weiteren Transparent. Und: «BLastungspaket! Zurück an den Absender!» Dann läuft die versammelte Lehrerschaft lärmend los in Richtung Gemeindeplatz. Dorthin ziehen gleichzeitig auch die KollegInnen der anderen Muttenzer Schulhäuser.

Die Finanzpolitik des Kantons Baselland kannte in den letzten Jahren nur eine Richtung: Steuern senken auf allen Ebenen. Auf rund 130 Millionen Franken beziffert die Gewerkschaft VPOD die jährlichen Mindereinnahmen aufgrund dieser Politik. Zugleich sind die kantonalen Investitionskosten in den Bereichen soziale Wohlfahrt, Bildung, Verkehr und Gesundheitswesen laufend gestiegen. Etwa bei der H2, der Umfahrungsstrasse von Liestal und Pratteln, die mit 540 Millionen Franken mehr als doppelt so viel kosten wird wie ursprünglich geplant. Und noch ist unklar, ob die Schweizerische Nationalbank angesichts der Wirtschaftskrise eine Gewinnausschüttung an die Kantone leisten wird.

Nun steht der Kanton Baselland finanzpolitisch vor einer düsteren Zukunft. Für den Zeitraum 2012 bis 2014 rechnet die Kantonsregierung mit einem Defizit von annähernd 600 Millionen Franken. Das derzeitige Eigenkapital von rund 326 Millionen Franken reicht für die Defizitdeckung längst nicht aus. Es besteht dringend Handlungsbedarf. Das immerhin hat die Regierung erkannt und unter Federführung von Finanzdirektor Adrian Ballmer (FDP) eine Lösung ausgearbeitet: das Entlastungspaket 12/15.

Eine Entlastung ist das Paket jedoch einzig für den Baselbieter Staatshaushalt. Eigentlich geht es ums Sparen und einen massiven Leistungsabbau. Zugleich will die Regierung mit allen Mitteln Steuererhöhungen verhindern. Satte 185 Massnahmen umfasst das Sparpaket, mit dem der Kanton 180 Millionen Franken einsparen will. Die fünfköpfige Baselbieter Regierung (2 FDP, 1 CVP, 1 SP, 1 Grüne) hat die Massnahmen gemeinsam mit einem Thinktank aus sechs Landratsmitgliedern unterschiedlicher Parteien erarbeitet. Finanzdirektor Ballmer spricht von einem «ausgewogenen, umsetzbaren und wirksamen» Paket. «Wir haben in den letzten Wochen gut zugehört», bilanziert er.

Besonders wirksam sind die Folgen des Sparpakets im Bildungsbereich: Es sind 15 Entlassungen und 35 vorzeitige Pensionierungen vorgesehen. In der Sekundarschule sollen die Klassen vergrössert werden, und wenn es an einem Ort mehr SchülerInnen als Klassenplätze gibt, müssen die betroffenen Jugendlichen in anderen Gemeinden zur Schule gehen – neue Klassen werden nicht gebildet. Das Unterrichtspensum für die Sekundar- und Gymnasiallehrerschaft steigt. Die Löhne für Stellvertretungen werden gekürzt, der Kantonsbeitrag an den Vorkurs der Schule für Gestaltung ganz gestrichen, ebenso der KV-Vorkurs. Im Sparpaket wird der massive Leistungsabbau als «Effizienzsteigerung» verbucht.

Bewährte Schule vor dem Aus

Rolf Schweizer knetet seine kalten Hände. Rund zwanzig Minuten hat der Rektor des Bildungszentrums kvBL Muttenz zuvor im Anzug draussen in der Kälte auf dem Sportplatz gestanden. Winkt der bürgerlich dominierte Landrat das Sparpaket durch, trifft das seine Schule besonders hart. Die BVS 2, eine zweijährige berufsvorbereitende Schule, soll im Rahmen einer «Portfolio-Bereinigung» in der Effizienz gesteigert werden. Sprich: Eines der Hauptangebote der kvBL für Jugendliche wird abgeschafft. Die beliebte niederschwellige schulische Alternative zum direkten Berufseinstieg oder zum Gymnasium soll in ein einjähriges Brückenangebot überführt werden.

Rolf Schweizer schüttelt den Kopf: «Gespart wird auf dem Buckel der Schwachen», sagt er. «Junge Menschen, die aus vielerlei Gründen nach der obligatorischen Schulzeit noch nicht so weit sind, erhalten mit der BVS 2 die Chance, anspruchsvolle Lehren in Angriff zu nehmen. Wir füllen eine äusserst wichtige Lücke für rund 120 Jugendliche pro Jahrgang.» Die BVS 2 sei eine Erfolgsgeschichte, sagt Schweizer. «Weit über 90 Prozent der Absolventen finden eine Anschlusslösung und werden in den Arbeitsmarkt integriert.» Eine Abschaffung hätte einen Verdrängungskampf auf dem Lehrstellenmarkt zur Folge.

In Muttenz sowie in Reinach und Liestal, wo ebenfalls kvBL-Bildungszentren stehen, sind vom Sparpaket sechzehn Vollzeitstellen und acht Klassen bedroht. Besonders perfid an der Sache: Die Angestellten der kvBL haben zwar ihren Leistungsauftrag vom Kanton, sind aber nicht von ihm angestellt. Träger der kvBL ist der Kaufmännische Verband Baselland. Vom Sozialplan, den der Kanton ausgearbeitet hat, sind sie – nach bisherigen Informationen – ausgeschlossen. «Ich hoffe, der Landrat bringt den Mut auf, den massiven Bildungsabbau zu verhindern», sagt Schweizer, sonst werde die von der Politik viel beschworene «Gute Schule Baselland» zu einer Farce.

Kurz nach Mittag stehen über 200 Lehrerinnen und Lehrer auf dem Gemeindeplatz in Muttenz. Auch Eltern und SchülerInnen sind gekommen. Gemeinsam halten sie Transparente hoch. Aus dem benachbarten Münchenstein ist eine Gruppe von GymnasiastInnen angereist, um sich zu solidarisieren und Unterschriften für ihre Petition gegen den Bildungsabbau zu sammeln. Weit über tausend Personen haben bereits unterschrieben. Die GymnasiastInnen wollen die Petition am 14. Dezember dem Landrat übergeben, dem Tag, an dem das Sparpaket zur Abstimmung kommt.

Ein Primarlehrer regt sich über das Lokalfernsehen auf, das ihn zuvor interviewt hat: «Die wollten nur wissen, ob für die Protestaktionen Unterrichtszeit draufgehe und ob wir die Schüler nicht instrumentalisieren würden. Das waren zwanzig Minuten politische Bildung, habe ich geantwortet. Und nein, die Schüler unterstützen uns völlig freiwillig. Wir sind selbst überrascht von ihrem Engagement.»

Dann tritt Thomas Wilde ans Mikrofon auf dem Kopfsteinpflasterplatz vor dem Gemeindehaus, wo der Weihnachtsbaum bereits aufgestellt ist. Der Primarlehrer unterrichtet seit 34 Jahren im Kanton. «Die Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft. Die Ökonomisierung hat zunehmend das Schulwesen erfasst. Alles muss effizient sein, soll Gewinn bringen. Schon früh stehen die schulische Laufbahn und die spätere Karriere im Fokus», stellt Wilde fest. Sein Fazit: «Das soziale Klima ist kälter geworden.» Umso mehr freue ihn nun das «starke Zeichen der Solidarität und des Widerstandswillens», das diese Kundgebung darstelle. «Wir brauchen einen langen Schnauf. Wir bleiben dran!», beendet er sein engagiertes Votum.

Das Schnauzgesicht mit der Säge

Zufrieden ist auch Heidi Mück von der Gewerkschaft VPOD, die die Baselbieter Lehrerschaft in ihrem Widerstand gegen das Sparpaket unterstützt. «Die Lehrpersonen zeigen mit ihrem persönlichen politischen Engagement, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Insbesondere die Äusserungen von Finanzdirektor Adrian Ballmer liessen Respekt und Achtung vermissen.» Dieser hatte die LehrerInnen in einem Interview mit der «Basellandschaftlichen Zeitung» aufgefordert, produktiver zu sein und das Internet als Unterrichtsvorbereitung zu nutzen. Und in einem Fernsehinterview behauptete er, grössere Klassen würden keinen Abbau der Qualität bedeuten.

Diese Aussagen seien exemplarisch dafür, wie viel Ballmer von der Realität in den Klassenzimmern verstehe, sagt Mück und beginnt wie alle Anwesenden zu johlen. In der Mitte des Gemeindeplatzes steht auf einmal eine Person, die ein Schnauzgesicht als Maske trägt – sie stellt unverkennbar den Finanzdirektor dar. Mit einer Säge macht sich der Maskierte über ein aus Karton gefertigtes Gebäude her. «Gute Schule Baselland» steht in fetten Lettern an der Fassade. Dann zerfällt das Kartongebäude in seine Einzelteile. Der Maskierte reckt seine Arme in die Luft. Niemand mag diesem Schnauzgesicht zujubeln.