Die Cutterin: «Die Arbeit war ein Handwerk – das war eine Freude!»

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Ein Film entstehe eigentlich erst am Schnittplatz, hört man immer wieder. Maya Schmid erklärt, wie aus einer Stunde Rohmaterial eine beeindruckende Szene von vier Minuten wird.

«Meine Arbeit fordert eine gewisse Flexibilität: Ich muss mich immer wieder auf neue Arbeitsorte, neue Leute und neues Filmmaterial einlassen», sagt Maya Schmid und strahlt. Sie mag ihre Arbeit: Seit den achtziger Jahren ist sie Filmcutterin, arbeitet jeweils ein halbes Jahr in Genf beim Schweizer Fernsehen, wo sie Spielfilme und Dokumentationen schneidet, die andere Hälfte des Jahres arbeitet sie jeweils an einem Dokumentarfilm eines oder einer freien Filmschaffenden. So schnitt sie unter anderem Ueli Grossenbachers «Messies, ein schönes Chaos», der in Solothurn zu sehen ist (vgl. Seite 7).

Zurzeit arbeitet Schmid an einem Dokumentarfilm des Berner Regisseurs Dieter Fahrer. Schmid sitzt in Fahrers gemütlichem Atelier in der Berner Altstadt. Mitten im Raum hängt eine Schaukel, auf zwei Tischen stehen grosse Bildschirme, und auf einer langen Tischplatte liegen systematisch geordnete Farbausdrucke von Filmszenen und Protagonisten. Über zwei Jahre hat Fahrer für seinen Film in der Strafanstalt Thorberg recherchiert und gefilmt, gemeinsam mit Schmid wird er die riesige Menge Filmmaterial zu einem eineinhalbstündigen Film montieren.

Wie eine Bildhauerin

«Der Film entsteht am Schnittplatz» – ein Satz, den man immer wieder hört. Aber was macht eine Cutterin nun genau?

«Wenn wir mit dem Schneiden beginnen, setze ich mich meistens mit dem Regisseur oder der Regisseurin zusammen. Wir schauen das Filmmaterial an, das schon in den Computer gespielt ist, und ich höre zu, welche Szenen oder welche Figuren für ihn wichtig sind.» Sie müsse herausfinden, was dem Regisseur gefalle, und verstehen, was er wolle, sagt Maya Schmid, denn: «Ich mache seinen Film und nicht meinen eigenen.» Durchschnittlich zwischen fünfzig und hundert Stunden Filmmaterial werden heute für einen Dokumentarfilm gedreht, Schmid schaut sich meist eine vom Regisseur selektionierte Vorauswahl der Aufnahmen an. Sie liest weder Drehbücher, noch besucht sie die Dreharbeiten – Schmid möchte das Rohmaterial unvoreingenommen anschauen können.

Schon beim Sichten des Materials macht sie Notizen und Markierungen. Filmaufnahmen werden im Schnittprogramm geordnet und abgespeichert – mit jedem Regisseur muss ein neues Ordnungssystem gefunden werden. Wenn es dann an den Schnitt einer konkreten Szene geht, ist sie am liebsten alleine: «Das ist ein kreativer Moment, in dem ich herauszufinden versuche, wie der Rhythmus und der Ablauf sind. Da brauche ich Ruhe.» Immer und immer wieder schaut sie sich das Material für die Szene an und geht dann vor wie eine Bildhauerin: Zuerst schneidet sie eine grobe Fassung, die sie mit dem Regisseur anschaut. Später, im Kontext mit anderen Szenen, feilt und schleift sie daran. So entsteht aus einer Stunde Material eine vierminütige Szene. Bei unterschiedlichen Ansichten diskutiere man: «Als Cutterin musst du im richtigen Moment deine Sicht der Dinge einbringen können.»

Weil es beim Dokumentarfilm meistens extrem viel brauchbares Material gibt, hat die Auswahl, die am Schneidetisch gemacht wird, einen grossen Einfluss auf den Charakter des Films. Viele RegisseurInnen arbeiten immer mit denselben Cutterinnen – der Beruf wird vorwiegend von Frauen ausgeübt. Auch Dieter Fahrer hat bereits mehrere Filmprojekte mit Maya Schmid realisiert und schwärmt: «Maya zeigt leidenschaftliches Engagement und Begeisterung für ihre Arbeit. Sie denkt sehr inhaltlich, geht von der Geschichte und von den Figuren aus. Das ist ihre grosse Stärke.» Ausserdem bringe sie einen riesigen Erfahrungsschatz mit, da sie schon so lange in diesem Beruf arbeite und mit vielen unterschiedlichen Filmschaffenden zu tun habe. «Und schliesslich hat sie hohe Sozialkompetenzen und eine tiefe Menschlichkeit.»

Grosse Maschinen in dunklen Kellern

Maya Schmid ist durch Zufall beim Film gelandet: Sie war Gymnastiklehrerin und hat in Paris eine Mimenschule besucht. Dort hat sie in Filmschulen bei Projekten der Studierenden mitgespielt – so kam sie erstmals mit dem Film in Kontakt. Zurück in der Schweiz, gab sie Tanzunterricht. Anfang der achtziger Jahre machte sie eine Schnittassistenz bei der Cutterin Elisabeth Wälchli, die Schmid anbot, für ein Filmprojekt mit ihr in die USA zu gehen.

Die Arbeit als Cutterin war in den achtziger Jahren noch eine ganz andere als heute, wo alles mit dem Computer erledigt wird: Damals arbeitete man an grossen Schneidetischen, die meist in dunklen Kellern standen. Man schnitt an einer Arbeitskopie, einem Positiv. Die Filmstreifen, die man herausschnitt, wurden beschriftet und in Büchsen gelagert, denn vielleicht brauchte man sie ja wieder. Es gab immer viel aufzuräumen, deswegen hatten die CutterInnen eine Assistenz. «Die Arbeit war ein Handwerk, das war eine Freude! Es war sehr körperlich, und man musste ein Geschick haben in den Händen», erinnert sich Maya Schmid.

Doch sie trauert den alten Zeiten nicht nach: «Wie wir heute beim Schneiden dank dem digitalen Material experimentieren und spielen können, ist ein riesiger Gewinn.» Sie sei sehr glücklich mit der neuen Technik. Was sie jedoch bedauert, ist, dass die Arbeit der Schnittassistenz heute vor oder nach der effektiven Schnittzeit ausgeführt wird und die AssistentInnen deshalb nicht mehr vom kreativen Prozess profitieren können. Und: «Heute bist du als Cutterin alleine.»

In Zürich geht alles etwas schneller

Gerade deswegen schätzt Schmid ihre Arbeit für das Fernsehen. Hier trifft sie regelmässig CutterkollegInnen. Seit 1986 arbeitet Schmid in Genf, auch beim Fernsehen hat man damals noch Zelluloid geschnitten. Da gab es keine Arbeitskopie, es wurde das Originalmaterial geschnitten, das dann über den Sender ging: «Diese Arbeit erforderte eine extreme Konzentration. Du wusstest: Einmal schneiden, dann ist es passiert!» Auch beim Fernsehen ist heute alles digitalisiert. In Genf rechnet man für eine dreissigminütige Reportage drei Wochen Schnitt. Im Studio in Zürich muss das alles etwas schneller gehen.

Bei einem freien Dokumentarfilm dauert die Montage zwölf bis zwanzig Wochen, dann verlässt die «Störcutterin» Maya Schmid das Projekt, ihren Arbeitsplatz und den Filmemacher. Und genau das gefällt ihr an ihrer Arbeit: «Das grösste Glück für mich ist, dass ich extrem konzentriert während eines klar definierten Zeitraums an etwas arbeiten kann. Und dann ist mein Job fertig.»