Kommentar von Ruedi Küng: Kongos Schätze zu Schleuderpreisen

Nr. 3 –

Hunger trotz fruchtbarer Böden, Armut trotz viel Gold: Die Republik Kongo kommt aus ihrer Misere nicht heraus. Und die offensichtliche Wahlfälschung von Präsident Joseph Kabila wird vom Ausland akzeptiert. Weshalb nur?

Fast zwei Monate nach dem Wahlgang wissen die Menschen im Kongo immer noch nicht, wie ihr neues Parlament zusammengesetzt ist. Sie wissen aber, dass der unter fragwürdigen Umständen wiedergewählte Präsident Joseph Kabila ihre prekären Lebensumstände nicht verbessern wird. Denn auch elf Jahre nach seiner Machtübernahme gehört im Kongo der Hunger zum Alltag. In unzähligen Familien sind es mal die Kinder, die den ganzen Tag nichts zu essen haben, mal sind es die Eltern. Die Lage wird vom Global Hunger Index 2011 als «extrem alarmierend» bezeichnet, drei Viertel der 67 Millionen EinwohnerInnen Kongos sind unterernährt.

Dabei hat der Kongo fruchtbare Böden im Übermass und könnte auch noch die Bevölkerung der Nachbarländer ernähren. Doch die BäuerInnen sind auf sich selber gestellt. Da ist kein Staat, der sie mit günstigen Krediten oder gar Subventionen bei der mühsamen Feldarbeit unterstützt. Sie können auch nur schwer ihre Produkte auf den Markt bringen. Fast überall im riesigen Land mangelt es an Strassen. Wo es welche gibt, sind sie oft in einem erbärmlichen Zustand. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert, trotz Präsident Kabilas Entwicklungsprogramms «Infrastruktur, Gesundheit und Bildung, Wasser, Strom und Jobs», das er nach seinem Wahlsieg von 2006 grossspurig verkündet hatte.

Der Kongo kann sich nicht selber ernähren und muss Nahrungsmittel in grossen Mengen importieren. Die hohen Nahrungsmittelpreise verschlimmern den Hunger vor allem der StadtbewohnerInnen. Auch das Gesundheits- und Schulwesen sowie die Strom- und Wasserversorgung sind völlig ungenügend. Der Kongo figuriert beim Uno-Index der menschlichen Entwicklung an letzter Stelle.

Fast alle Projekte im sozialen Bereich werden von ausländischen Entwicklungsagenturen und Hilfswerken finanziert. Für Infrastrukturvorhaben schloss Kabilas Regierung Verträge im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar mit ausländischen – vor allem chinesischen – Firmen und InvestorInnen ab. Das Prinzip lautete dabei: Leistung gegen Bergbaulizenzen. Mit dem Strassen- und Eisenbahnbau, der Stromproduktion und -verteilung geht es aber nur langsam voran. Der vierzigjährige Kabila verweist gerne auf das Wirtschaftswachstum das Landes, das in den vergangenen Jahren zwischen fünf und sieben Prozent lag. Doch es ist fast ausschliesslich dem Bergbau zu verdanken. Der Kongo verfügt unter anderem über grosse Vorkommen an Gold, Kupfer und Coltan. Die weltweit grosse Nachfrage danach hat die Preise in die Höhe getrieben.

Kabilas Regierung hat bei seinen Handels- und InvestitionspartnerInnen allerdings Vertrauen eingebüsst. Wiederholt griff sie in den Bergbausektor ein. Auf den ersten Blick ist das verständlich: Mehrere Untersuchungen von Uno-SpezialistInnen und auch des kongolesischen Parlaments haben gezeigt, dass fast alle vor 2006 vergebenen Bergbaulizenzen zu Schleuderpreisen vergeben wurden. Die Regierung machte deshalb geltend, bessere Bedingungen aushandeln zu wollen.

Doch tatsächlich hat das nur den jeweiligen FunktionärInnen substanzielle Schmiergelder eingetragen. Laut dem britischen Parlamentarier Eric Joyce haben Präsident Kabila und verschiedene Regierungsmitglieder auch in den letzten Jahren die Schürfrechte Dutzender Minen weit unter ihrem Wert abgetreten. Lizenznehmer waren etwa dubiose Firmen auf den Jungferninseln, aber auch der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore mit Sitz in Baar. Während dadurch gemäss Joyce einige wenige KongolesInnen sehr reich wurden, sieht sich die Bevölkerung um den Reichtum ihres Landes betrogen.

Dennoch wird die Bevölkerung mit dem System Kabila weiterleben müssen. Laut offiziellem Ergebnis der Präsidentenwahl vom 28. November 2011 hat Joseph Kabila nämlich mit knapp 49 Prozent der Stimmen gewonnen. Der ewige Oppositionelle Etienne Tshisekedi soll bloss 32 Prozent erreicht haben. Die Staatengemeinschaft hat dieses Resultat akzeptiert. Trotz einer Mehrheit von Kabila-Leuten in der angeblich unabhängigen Wahlkommission. Trotz massiver Gewaltanwendung von Polizei und Militär gegen Oppositionelle. Trotz Gängelung von JournalistInnen und oppositionellen Medien vor, während und nach dem Wahlgang. Trotz offensichtlicher Unregelmässigkeiten bei der Auszählung der Stimmen. Trotz unverhohlener Kritik der katholischen Bischofskonferenz und des Erzbischofs von Kinshasa sowie internationaler WahlbeobachterInnen.

Insider wollen wissen, dass den ausländischen Diplomatinnen und Unternehmensvertretern ein, wenn auch korrupter, Kabila lieber sei als der unberechenbare, bald achtzigjährige Tshisekedi. Dieser hatte vergeblich versucht, sich in einem Sportstadion vereidigen zu lassen. Die Polizei verhinderte das Vorhaben mit Tränengas. Möglicherweise kann die Opposition jetzt immerhin verstärkt ins Parlament einziehen. Das offizielle Resultat der Parlamentswahlen hätte verfassungsgemäss am 13. Januar 2012 veröffentlicht werden müssen. Es soll nun am 26. Januar bekannt gegeben werden.