Kultour

Nr. 8 –

Konzert

Real Estate und Shabazz Palaces

Im Oktober 2006 eröffnete in St. Gallen das Palace (1924 vom Elektromonteur und Kinounternehmer Jules Schulthess als Kino gebaut) neu als Kulturlokal – mit einer «Wiener Gala». Historisch durchaus bewusst: Schon 1924 startete der Kinobetrieb mit einem Auftritt der ersten Solotänzerin der Staatsoper Wien.

Leicht verspätet feiert die Association Palace St. Gallen das fünfjährige Bestehen des Kulturlokals. Unter dem Motto «Friede den Hütten! Fünf Jahre & mehr Palace» spielen zwei US-amerikanische Bands auf: Real Estate (im Englischen: Immobilien, Grundbesitz, Ländereien) aus den Vororten von New Jersey präsentiert, so die Palace-Leute, «befreite Auswege aus trügerischen Konstrukten, um auf utopische Zukunftsentwürfe zu stossen».

Hinter Shabazz Palaces steckt ein Rapper alter Schule: Ishmael Butler alias Butterfly, der es Anfang der Neunziger mit den Digable Planets zu Kultstatus gebracht hat und nun mit dem Perkussionisten Tendai Maraire eine Musik macht, «die man nicht mehr für möglich hielt, seit das visionäre Hip-Hop-Label Anticon an Schärfe verloren hat».

Auch die Palace-Leute lassen Glanz und Schärfe nicht vermissen: «Unser Betrieb fällt in ein Jahrzehnt, das im Rückblick die Bezeichnung Nullerjahre erhielt und sich durch die Schliessung auszeichnet. (…) Es könnte ein Hinweis sein, dass die gesellschaftliche Alternative in öffentlichen Räumen liegt. Wir wollen einen zentralen städtischen Raum aus der kommerziellen Verwertungslogik nehmen. Unsere Musik, das Fest und die Politik sind der Versuch, Offenheit herzustellen. Deshalb gibt es auch keine Türsteher.»
Adrian Riklin

«Friede den Hütten! Fünf Jahre & mehr Palace»: Doppelkonzert mit Real Estate (USA) und Shabazz Palaces (USA) in: St. Gallen Palace, Fr, 24. Februar, 21 Uhr (Türöffnung: 20 Uhr).

Festival

20 Jahre Moods/Intakt-Festival

Der Zürcher Jazzclub Moods wurde am 18. September 1992 im ehemaligen Bahnhof Selnau eröffnet. Zu den Ersten, die dort spielten, gehörten die Pianistin Irène Schweizer und der Schlagzeuger Pierre Favre. Ziemlich genau acht Jahre nach dem Umzug des Moods in den Schiffbau eröffneten die beiden die Festivitäten zum zwanzigjährigen Bestehen des Jazzclubs, die sich über das ganze Jahr verteilen werden.

Bereits 1986 wurde mit dem kryptischen «I A X» auf ein Solokonzert der Pianistin im Zürcher Volkshaus hingewiesen. Darauf angesprochen meint sie, das habe «In Amerika Xsi» bedeutet und sich auf ihr erstes Konzert nach einem längeren USA-Aufenthalt bezogen.

Nach New York soll es nicht nur für die Pianistin demnächst wieder gehen. Das Zürcher Intakt Label, das vom früheren WOZ-Redaktor Patrik Landolt betrieben wird, wurde von John Zorn eingeladen, für den von ihm gegründeten New Yorker Jazzclub «The Stone» während zweier Wochen im März das Programm zu gestalten. Als Einstimmung auf die Reise treffen sich die MusikerInnen aus dem Umfeld des Intakt-Labels zu einem langen Konzertsonntag im Moods. Neben Schweizer und Favre gehören auch Co Streiff, Gabriele Friedli, Philipp Schaufelberger, Jürg Wickihalder, Lucas Niggli, Dieter Ulrich und andere zur Delegation. Im «Stone» wird es dann zu Begegnungen mit Grössen wie Oliver Lake, Andrew Cyrille, Fred Frith und Elliott Sharp kommen.
Fredi Bosshard

Intakt Festival in: Zürich Moods im Schiffbau, So, 26. Februar, ab 16 Uhr; Mo, 27. Februar, 20.30 Uhr, Irène Schweizer und Pierre Favre. 
www.moods.ch / www.thestonenyc.com

Jazzfestival Wetzikon

Floma Forte, das Quartett um den Gitarristen Florian Mächler, eröffnet das zweite Jazzfestival Wetzikon mit Jazzigem auf Popbasis. Der Pianist Thise Gloor präsentiert mit seinem Oktett, das einige der profiliertesten MusikerInnen der Region versammelt, das neue Programm «Die Hindin»: skurrile Klanglandschaften, die mit verspielten Texten erweitert werden und für die Gloor zwischendurch auch in die Tasten eines Toy-Pianos greift. Karin Meiers Lampion bringt in erster Linie Kompositionen der Sängerin zur Aufführung.

Die Wuppertaler Saxophonlegende Peter Brötzmann ist mit dem Bassisten Marino Pliakas und dem Schlagzeuger Michael Wertmüller unterwegs. Ihr Trio heisst nicht nur Full Blast, sie spielen auch so. Für einen besinnlicheren Ausklang sorgen die Blechgenossen an der sonntäglichen Matinee mit Werken von Prokofjew, Strawinsky und Cherubini.
Fredi Bosshard

Jazzfestival in: Wetzikon The Classroom, Bahnhofstrasse 132, Fr/Sa, 24./25. Februar, 20.30 Uhr; So, 26. Februar, 11 Uhr. 
www.thisegloor.ch

Film

Weiterleben

Gemäss einer Studie leidet in der Schweiz jede vierte Person, die als Flüchtling anerkannt wird, unter den Folgen systemischer Gewalt. Die Beschwerden sind körperliche Schmerzen, Panikattacken, Depressionen oder soziale Isolation.

Hans Haldimanns Dokumentarfilm «Weiterleben» (siehe WOZ Nr. 6/12 ) porträtiert vier Menschen, die in ihrer Heimat wegen ihrer politischen Tätigkeiten verhaftet und gefoltert wurden und heute in der Schweiz leben.

Im Kino Riffraff in Zürich findet nun eine Sondervorführung des Films statt, der ein wichtiges Thema sorgfältig behandelt. Gast am Podiumsgespräch im Anschluss an die Filmvorführung ist Manfred Nowak, Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien und von 2004 bis 2010 Uno-Sonderberichterstatter über Folter. Geleitet wird das Gespräch von Susanne Brunner, Moderatorin des «Tagesgesprächs» auf Schweizer Radio DRS.
Silvia Süess

«Weiterleben» in: Zürich Kino Riffraff, Do, 23. Februar, 18 Uhr. Podiumsgespräch im Anschluss an den Film. www.riffraff.ch

Salecina

Vierzig Jahre sind vergangen, seit der Zürcher Buchhändler Theo Pinkus und seine Frau Amalie Pinkus-De Sassi das selbstverwaltete Ferienzentrum Salecina im Engadin gründeten. Damals wie heute fanden und finden in Salecina politische Seminare und kulturelle Anlässe statt. Gepflegt wird aber auch das gemütliche Beisammensein. Salecina ist ein Gästehaus, das von den Gästen mitgetragen wird. Die Gäste kochen gemeinsam, und die Abende, die daraus entstehen, können bei einem guten Glas Wein sehr lang und überaus diskursiv werden.

Wie Salecina ist auch die «Giesserei» ein visionäres Projekt, bei dem ein Zusammenleben aller Generationen gefördert werden soll: Die Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen baut in Winterthur eine Holzbausiedlung im Minergie-P-Eco-Standard mit 160 Wohnungen und Gewerberäumen. Im Baurestaurant Mabuhay wird nun ein Dokumentarfilm über Salecina gezeigt: «Von der Weltrevolution zur Alpenpension?» heisst der Film von Rahel Holenstein und Reto Padrutt, der eine Tour d’Horizon durch die Chronik der alpinen Denkschmiede ist. Vor der Filmvorführung gibt es Bündner Suppe, danach diskutieren der Journalist Jürg Frischknecht, der Filmemacher Reto Padrutt, der Publizist Jürg Altwegg und andere in Salecina Engagierte über Selbstverwaltung.
Silvia Süess

Filmabend mit Bündner Suppenznacht in: Winterthur Baurestaurant Mabuhay, Sa, 3. März, Suppe ab 18 Uhr, Film ab 19.30 Uhr. Anmeldung bis 25. Februar unter info@kuengcoach.ch.

Kunst

Praktiken des Experimentierens

In den letzten zehn Jahren hat sich das Departement Kunst und Medien der Zürcher Hochschule der Künste (mit den Vertiefungen Bildende Kunst, Fotografie, Mediale Künste und Theorie, dem Institut für Gegenwartskunst und dem Institut für Theorie) mit seiner Programmatik und Praxis des Experimentierens einen Namen gemacht und sich so zu einer Art «alchemistischem Labor» entwickelt.

«Praktiken des Experimentierens» ist ein Jahrbuch des Departements betitelt, das nun im Zürcher Cabaret Voltaire präsentiert wird. Die Publikation gibt Einblicke in Lehre und Forschung im Departement sowie in den zeitgenössischen Künsten im Allgemeinen. Das zweisprachige Buch (deutsch und englisch) versammelt achtzehn Beiträge, darunter Texte von Autoren wie Felix Stalder (über translokale Praktiken), Giaco Schiesser (über künstlerische Forschung) oder Heiner Goebbels (über Zeit).
Adrian Riklin

Vernissage «Praktiken des Experimentierens» in: Zürich Cabaret Voltaire, Mi, 29. Februar, 19 Uhr. www.zhdk.ch