Mehr Ferien: Mach mal Pause!

Nr. 8 –

Die Ferien-Initiative erhält wenig Beachtung und scheint chancenlos. Auch so manche Linke zeigen sich skeptisch. Völlig zu Unrecht, findet die WOZ-Redaktion und gibt Antworten auf die fünf drängendsten Fragen.

Über den Preis streiten Schweizerinnen und Schweizer gerne: Heftig diskutieren sie über die Wiedereinführung der Buchpreisbindung, aber eine andere Abstimmung geht dabei fast vergessen. Gehts darum, weniger zu arbeiten, frei- oder blauzumachen, herrscht redliches Schweigen. 55 Prozent der Stimmberechtigten wollen gegen die Initiative «6 Wochen Ferien für alle» stimmen und damit gegen die eigenen Interessen. Die Vorlage fordert bescheiden sechs statt vier Wochen Ferien. Pro Woche entspricht das eineinhalb Stunden Arbeit weniger. Selbst so manchen Linken scheint die Initiative suspekt zu sein. Höchste Zeit, mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen:

Killen mehr Ferien Jobs?

«Mehr Ferien = weniger Jobs», lautet der Slogan der GegnerInnen der Ferien-Initiative. «Der Slogan ist absurd, den versteht kein Mensch», sagt Daniel Lampart, Ökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds: «Wenn die Leute mehr Ferien machen, sind weniger Leute im Betrieb, also gibt es mehr Arbeit zu verteilen. Das hat man auch 1984 gesehen, als der gesetzliche Ferienanspruch von zwei respektive drei Wochen auf vier Wochen angehoben wurde: Das war klar eine Phase, als die Arbeitslosigkeit in der Schweiz zurückging.»

Die Behauptung der GegnerInnen ist auch sonst Unsinn, da die Leute ohnehin mehr arbeiten, als sie müssten. Lampart hat errechnet: Mit den Überstunden, die die Erwerbstätigen im Jahr 2010 anhäuften, hätten über 100 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. «Die tatsächlich geleisteten Überstunden dürften aber noch höher sein», sagt Lampart, «ein Teil der Firmen weigert sich nämlich, die Arbeitszeiten zu erfassen, obwohl das vorgeschrieben ist.» Ausserdem arbeiteten immer mehr Beschäftigte – vor allem im Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialwesen – regelmässig in der Freizeit. In Anbetracht dieses aufgenötigten Zusatzfleisses killen zwei zusätzliche Wochen Ferien keine Jobs, sondern bringen lediglich einen kleinen Ausgleich.

Wann wurden die Ferien erfunden?

Der Bund erliess 1879 eine erste Regelung für Beamte, die zur Kur reisten. Die Ferien sind in der Schweiz also knapp 150 Jahre alt. Ihre Geschichte ist eng verknüpft mit der Diskussion über Hygiene und Gesundheit am Ende des 19. Jahrhunderts. Damals galt die Kopfarbeit als ermüdend und wurde höher bewertet als die Handarbeit. Im Ferienanspruch spiegelte sich deshalb immer eine Arbeitshierarchie: Gemäss einer Fabrikstatistik von 1910 wurden gerade einmal acht Prozent der ArbeiterInnen Ferien gewährt, während die Mehrheit der Angestellten bereits vierzehn Tage im Jahr frei hatte. Noch heute haben Angestellte im Service durchschnittlich weniger Ferien als solche in Banken.

Mit der Erfindung der Ferien entwickelte sich der Tourismus. Auch hier war die Erziehung der Bevölkerung entscheidend: Um die Arbeiterschaft von der Ginflasche wegzubringen, organisierte der britische Abstinenzler Thomas Cook erste Pauschalreisen. Die Glanzzeit des Tourismus begann in der Schweiz mit der Eröffnung des Gotthardtunnels 1882: Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden fünfzig Seil- und Zahnradbahnen, die Zahl der Hotels verdoppelte sich. 2010 unternahmen die EinwohnerInnen der Schweiz 16,6 Millionen Reisen – die meisten davon zum Zweck der Erholung.

Mehr Ferien = mehr Erholung?

«Mehr Ferien sind grundsätzlich etwas Positives. Ich habe keine Untersuchung gefunden, die das Gegenteil belegt», sagt Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. Die Stossrichtung der Ferien-Initiative sei richtig, durch den enormen Produktivitätszuwachs der letzten Jahre sei sie auch längst finanziert, man könne sie nur unterstützen. «Allerdings bringt es natürlich wenig im Sinne der Erholung, wenn wir mehr Ferien bekommen, aber die Betriebe die Arbeit nicht auf mehr Schultern verteilen werden.»

Quantität allein genügt aber nach Ansicht des Arbeitspsychologen nicht. «In einem nächsten Schritt müsste man bei der Qualität der Arbeitszeit ansetzen.» Etwa bei den Pausen und der Erholung während der Arbeitszeit. Noch sei ein Ende der Leistungsverdichtung nicht absehbar, die Rationalisierung habe längst auch den Dienstleistungssektor und das Privatleben erfasst. Dieser Prozess werde weitergehen, solange die Betriebswirte die Kosten dieser Entwicklung auf die Volkswirtschaft abwälzen können. Die Banken etwa lagern mit E-Banking oder Geldautomaten Dienstleistungen an ihre KundInnen aus und machen sie so zu Dienstleistern ihrer selbst. «Dieser Verdichtungsdruck hat längst auch Schulen, Spitäler und die Freizeit erfasst.» Wehner wünscht sich flexiblere Tages-, Monats-, Jahres- und Lebensarbeitszeiten, also fantasievollere Ansätze bei der Organisation der Arbeit. «Die Forschung hat hier neue Erkenntnisse anzubieten, die aber leider kaum genutzt werden.»

Arbeitet man hier am meisten?

Seit Jahrhunderten singen Wirtschaftsverbände und bürgerliche PolitikerInnen dasselbe Lied: Längere Ferien vernichten Arbeitsplätze, kürzere Arbeitszeiten ruinieren die Wirtschaft, und überhaupt geht demnächst die Welt unter. Nicht nur in der Schweiz wird so argumentiert. Auch in Frankreich und Deutschland war das Gezeter gross – vor der Einführung der 35-Stunden-Woche zum Beispiel, die (wie viele Studien nachgewiesen haben) Arbeitsplätze sicherte. In diesen beiden Nachbarländern haben die Lohnabhängigen zudem einen Ferienanspruch von dreissig Tagen, in Frankreich gesetzlich, in Deutschland durch die meisten Gesamtarbeitsverträge (GAVs).

Untergegangen sind die Volkswirtschaften trotzdem nicht. In Frankreich verfügen die Beschäftigten dank weiter gehender GAVs im Schnitt sogar über 37,5 Ferientage. In Finnland und Dänemark besteht ein gesetzlicher Anspruch auf 30 bezahlte Tage, in Britannien sind es 28 Tage, in Polen 26. Wie wenig die Wirtschaftskraft einer Region mit der Zahl der arbeitsfreien Tage zu tun hat, zeigen auch die Beispiele der ökonomisch starken deutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg: Dort gibt es neben den Ferien deutlich mehr Feiertage als etwa im ökonomisch angeschlagenen schwachen Bundesland Bremen. Oder in der Schweiz.

Warum scheitert die Initiative?

Die Ferien-Initiative wird nicht wegen der Gegenkampagne von Economiesuisse scheitern, schätzt Kurt Imhof, Soziologe an der Universität Zürich. «Sondern wegen Luther, Calvin und Marx.»

Luther habe die göttliche Berufung mit dem Beruf gleichgesetzt. Calvin habe den Erfolg im Beruf zur Frage des Gnadenbeweises für die Gläubigen gemacht. Die Theorie von Marx schliesslich baue auf dem Arbeitsbegriff auf, wodurch auch innerhalb der gesamten Arbeiterbewegung Arbeit als zentrales Merkmal menschlichen Daseins reproduziert werde. «Ausser der Romantik, die das Schöpferische mit der Musse verband, gab es nie eine Gegenbewegung, die die Arbeit als Säule des Lebenssinns infrage gestellt hätte», sagt Imhof.

Reicht das aus, um den Masochismus der SchweizerInnen zu erklären, sich gegen zwei Wochen Ferien pro Jahr zu wehren? «Masochismus ist es nicht», findet Imhof. «Höchstens im übertragenen Sinn, weil Nichtarbeit bis weit in linke Milieus mit reduziertem Lebenssinn verbunden wird.» Im Gegensatz zum Protestantismus fehlten dem Hedonismus eben die alten weisen, weissen Männer wie Luther, Calvin und Marx. Imhof bleibt dabei: «Alle anderen Gründe sind entweder sekundär oder daraus abgeleitet.»

PS: Keine Ferien brauchen selbstverständlich AnarchistInnen. Sie bestimmen selbst über ihre Zeit. Am besten hat dies einmal Kinderbuchanarchistin Pippi Langstrumpf erklärt, die immer frei hatte. Sie meldete sich bloss für die Schule an, um endlich auch Ferien zu haben.

Zusammenstellung: Susan Boos, Kaspar Surber, Andreas Fagetti, Pit Wuhrer, Carlos Hanimann