Rohstoffplatz Schweiz: Wie Glencore dreckige Rohstoffe vergoldet

Nr. 8 –

Erst der Börsengang, nun die Fusion mit Xstrata. Glencore kommt immer mehr aus der Dunkelheit hervor. Doch wie verdient der Rohstoffkonzern das Geld, das die Kassen der hiesigen Steuerämter klingeln lässt? Eine Spurensuche über die Weltmeere nach Sambia.

Die Geschichte des Rohstoffplatzes Schweiz ist die einiger Milliardäre, eines kleinen, verschwiegenen Landes, dessen Bevölkerung von Steuermillionen profitiert, und einer unglaublichen Verdrängung. Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse, hätte seine wahre Freude daran gehabt.

Enden tut ein Strang der Geschichte in Rüschlikon, einer 5000-Seelen-Gemeinde am linken Ufer des Zürichsees, in der Villa von Ivan Glasenberg, CEO des Rohstoffgiganten Glencore. Zu Gesicht bekommen haben ihn bisher angeblich fast nur jene DorfbewohnerInnen, die um fünf Uhr früh mit ihrem Hund spazieren gehen, wenn Glasenberg sein morgendliches Jogging absolviert; oder jene 153 Nasen, die im Dezember 2010 an die Gemeindeversammlung kamen, als der aus Südafrika stammende Glasenberg den roten Pass erhielt.

Milliardäre und Steuermillionen

Ivan Glasenberg, am 7. Januar 1957 als Sohn einer Südafrikanerin und eines litauischen Einwanderers in Johannesburg geboren, stieg mit 27 Jahren bei der damaligen Marc Rich + Co. ein, landete 1991 nach Stationen in Australien, Hongkong und Beijing in der Schweiz, wo er sich drei Jahre später mit Frau und Kindern in Rüschlikon niederliess. 2002 wurde er zum Konzernchef ernannt, letztes Jahr brachte er Glencore an die Börse. Der Börsengang, der das Geheimnis um Glasenbergs Anteil am Unternehmen lüftete (15,7 Prozent), verdoppelte Glasenbergs Vermögen auf rund 8,2 Milliarden Franken. Die Rüschliker freuts: Gut fünfzig Millionen Franken Steuern gaben Glasenberg sowie weitere ansässige Glencore-Kaderleute laut Gemeinde letztes Jahr ab. Kein Wunder, hatten die 153 EinwohnerInnen Glasenbergs Einbürgerungsgesuch fast einstimmig abgesegnet.

Goldgräberstimmug herrscht nicht nur in Rüschlikon. Sondern auch im südlich davon gelegenen Kanton Zug. Dort liegt Glencores steuerlicher Hauptsitz. Wie auch der Sitz des Bergbaukonzerns Xstrata, der zu gut einem Drittel Glencore gehört und der – wie kürzlich bekanntgegeben – mit Glencore fusionieren soll. Und die beiden sind nicht die einzigen lukrativen Rohstoffkonzerne in Zug und der übrigen Schweiz. In jüngster Zeit ist die Schweiz beinahe unbemerkt zu einer der grössten Rohstoffdrehscheiben der Welt avanciert: Die Nettoeinnahmen des Landes aus dem Rohstoffhandel sind in den letzten zehn Jahren von einer auf über siebzehn Milliarden Franken hochgeschossen.

Der Grund dafür ist offensichtlich: Die Konzerne ziehen hierher, weil die Schweiz etliche Steuerparadiese bietet. Der Kanton Zug liegt auf der Liste der europaweit tiefsten Unternehmenssteuern mit einem Satz von 15,6 Prozent auf Rang zehn. Hinzu kommen etliche Sonderregeln. Etwa jene für gemischte Gesellschaften, als die die meisten Rohstoffkonzerne, laut KennerInnen auch Glencore, registriert sind: Gesellschaften, die überwiegend im Ausland geschäften. Die Kapitalsteuer beträgt 0,01 Prozent, ausländische Gewinne werden nur teilweise besteuert.

Für die entsprechenden Kantone und die Schweiz allgemein ist das dennoch ein schönes Geschäft. Denn ohne die Privilegien hätte sich kaum jemals ein Rohstoffunternehmen in die Schweiz verirrt. Der Gesamtkonzern Glencore bezahlte 2010 laut Börsenprospekt 234 Millionen US-Dollar Steuern. Wie viel davon in der Schweiz landete, wollen auf Anfrage weder die Zuger Steuerbehörde noch Glencore verraten. Doch es dürfte ein grosser Teil der Summe sein.

In der Schweiz ist man über die sprudelnden Geldquellen erfreut. Res Strehle, Ko-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», schrieb kürzlich in einem Kommentar: Dass die Schweiz zunehmend mit Rohstoffhandel identifiziert werde, müsse nicht schlecht sein, die Welt brauche die Waren. Und: «Ein paar gute Steuerzahler tun jeder Gemeinde gut, wie Rüschlikon weiss.»

Doch wo kommt das Geld her, das die Kassen der hiesigen Steuerämter flutet?

Glencore ist ein Handelsunternehmen, dessen Arme von Zug aus den gesamten Globus umschlingen. Mit Tausenden von Last- und Zugwagen und einer Hochseeflotte von rund 200 Schiffen transportiert es seine Agrar-, Energie- und Metallrohstoffe von einem Ort der Welt zum anderen. Ivan Glasenberg in einem seiner seltenen Interviews: «Wir sind die DHL der Rohwaren. Wir kaufen Rohwaren in einem Land ein, verschiffen sie in ein anderes und erleichtern so den Warenhandel und schaffen dabei Mehrwert. Wir schliessen die Lücke zwischen Produzenten und Konsumenten.»

Und das nicht zu knapp: Glencores Anteile am sogenannt freien Rohstoffmarkt (dem grenzüberschreitenden Markt abzüglich etwa des konzerninternen Handels) sind laut eigenen Angaben immens: 9 Prozent bei Getreide, 28 bei Kohle, 45 bei Blei, 50 bei Kupfer. Und gar 60 Prozent bei Zink. Das sind 1,7 Millionen Tonnen verkauftes Zink im Jahr.

Glencores Marktmacht ist enorm. Entsprechend steigen die Befürchtungen, dass der Konzern seine Oligopolstellung missbrauchen könnte, um die Verkaufspreise in die Höhe zu treiben. Wasserdichte Untersuchungen dazu gibt es keine. Doch Rohstoffexperte Andreas Missbach von der Erklärung von Bern (EvB) sagt: «Wenn jemand die Preise beeinflussen kann, dann Glencore.» Der Konzern sei in der Lage, Schiffe in den Terminals zurückzubehalten, um das Angebot künstlich zu verknappen. Zudem besitze Glencore Metalllagerhäuser, wo die Rohware gehortet werden kann. Und: Der Konzern kann die Produktion herunterfahren.

Denn Glencore ist längst nicht mehr nur die «DHL der Rohwaren». Sondern auch Produzent. Der Konzern baut auf vier Kontinenten Agrarrohstoffe auf insgesamt 270 000 Hektaren Land an, besitzt Anteile an Mehlfabriken, Ölpressen und Silos in elf Ländern. In der Energiebranche ist Glencore am russischen Ölkonzern Russneft beteiligt sowie an Kohle- und Koksminen in Kolumbien, Südafrika, Australien und Kanada. Das eigentliche Imperium besteht jedoch aus den zahlreichen Beteiligungen der Firma an über zwei Dutzend Minen, in denen Zink, Kupfer, Blei, Nickel, Kobalt oder Eisenerz gefördert werden – in Italien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Kasachstan, Australien, auf den Philippinen, in Peru, Chile, Bolivien, Argentinien, im Kongo, in Burkina Faso, Südafrika oder Sambia (vgl. Karte).

Glencores geplante Fusion mit Xstrata ist lediglich der vorläufige Höhepunkt einer Strategie der vertikalen Integration: Angestrebt wird der Aufbau eines Bergbauunternehmens, das die Rohstoffe gewinnt, verarbeitet und in die gesamte Welt verfrachtet. Der daraus hervorgehende Konzern wird, an seiner Börsenkapitalisierung gemessen, zum viertgrössten Bergbauunternehmen der Welt. Die Marktmacht des Konzerns wird weiter steigen. Die Wettbewerbsbehörden müssen deshalb noch ihren Segen geben.

Ob Glencore die Marktmacht nun nutzt, um die Rohstoffpreise in die Höhe zu treiben oder nicht: Diese sind in den letzten zehn Jahren ohnehin explodiert. Und als produzierender Bergbaukonzern hat das Unternehmen davon gut profitiert. Denn: Für einen Handelskonzern stehen den hohen Verkaufs- ebenso hohe Einkaufspreise gegenüber. Nicht jedoch, wenn er die Rohwaren selber fördert. Glencore streicht zunehmend die volle Marge ein.

Die verdrängte Geschichte

In den grossen Bergbauminen beginnt jener Teil der Geschichte, der der kollektiven Verdrängung unterliegt. Unter anderem in Afrika, wo ein grosser Teil der verbleibenden Rohstoffvorkommen unter dem Boden liegt. Ivan Glasenberg: «Wir brauchen Afrika, um die nächste Mineraliennachfrage zu befriedigen; wo sonst ausser in Afrika ist das noch möglich? Australien, Kanada, Südamerika und die USA sind weitgehend ausgeschöpft.» Nach dem Börsengang besitze Glencore nun genügend Eigenkapital, um seine «Aktiven» auszubauen. In Kolumbien, Kasachstan, Kongo-Kinshasa und Sambia.

Sambia. Ein Land im südlichen Afrika, das hierzulande höchstens in die Schlagzeilen gerät, wenn seine Fussballer den Africa Cup gewinnen. 1989 war das rohstoffreiche Land an einem ähnlichen Punkt wie heute Griechenland. Infolge fallender Rohstoffpreise und steigender Zinsen steckte Sambia tief in den Schulden. 1991 strich es auf Druck der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds den öffentlichen Dienst zusammen. Und im Jahr 2000 wurden die staatlichen Minen an multinationale Konzerne verschleudert – unter Präsident Frederick Chiluba, der 2007 wegen Bereicherung an der Staatskasse verurteilt wurde.

Auch Glencore sicherte sich damals ein Stück vom Kuchen: einen Anteil an der Mopani Copper Mine, einer der grössten Minengesellschaften Sambias. Mittlerweile kontrolliert Glencore 73 Prozent des Unternehmens. Damit hat der Konzern einen lukrativen Deal an Land gezogen. Denn das Unternehmen erhält die Bodenschätze fast umsonst, wie die 2007 publik gewordenen Verträge zwischen Sambia und Mopani belegen: Mopanis «Royalties», eine weltweit übliche Abgabe der Minenkonzerne an den Staat, betrugen bis dahin gerade mal 0,6 Prozent – nach der öffentlichen Empörung, die die Enthüllung auslöste, wurden sie auf 3 Prozent erhöht. Quellensteuer oder Importzölle für Maschinen bezahlt die Mine keine, Investitionen können zu hundert Prozent abgezogen werden. Die Laufzeit des Vertrags: zwanzig Jahre.

Doch das ist nicht alles. Eine von Sambias Steuerverwaltung in Auftrag gegebene Untersuchung des internationalen Wirtschaftsprüfers Grant Thornton zu Mopani, die letztes Jahr verschiedenen nichtstaatlichen Organisationen (NGO) zugespielt wurde, zeigt: Mopani wies in den vergangenen Jahren deutlich höhere Kosten aus als vergleichbare Minen. Gleichzeitig waren die Einnahmen tiefer, als sie sein sollten, wenn das Kupfer – wie es die OECD vorschreibt – zu Marktpreisen verrechnet würde. Resultat: Das Unternehmen schreibt seit Jahren Verluste. Gewinnsteuern bezahlt es in Sambia entsprechend keine – was ebenso für zehn weitere der zwölf Minen im Land gilt.

Nicht, dass Mopani das Kupfer selbstlos verschenken würde. Laut Gutachten verkauft die Glencore-Tochter den Rohstoff an den Mutterkonzern, der ihn zu Marktpreisen weiterverkauft. So fallen die Gewinne im Steuerparadies Zug an. Kein Wunder, gehen laut Statistiken 51 Prozent von Sambias Exporten in die Schweiz.

Die sambische NGO Centre for Trade Policy and Development (CTPD) hat mithilfe der EvB sowie dreier weiterer NGOs bei der OECD letzten April eine Beschwerde eingereicht, die nun bei der zuständigen Stelle im Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) behandelt wird. Ziel ist es, eine einvernehmliche Einigung zu finden. Bereits gab es Gespräche; über konkrete Inhalte will der CTPD-Direktor Savior Mwambwa, der die Verträge zwischen Sambia und Mopani 2007 aufgedeckt hatte, nichts verraten. Auch Sambias Steuerbehörde hat eine Untersuchung eingeleitet. «Bisher wurde jedoch nichts dazu veröffentlicht», sagt Mwambwa, «doch wir üben weiterhin Druck aus.»

Glencore erklärt auf Anfrage, der diskutierte Bericht sei «ungenau». Zudem habe Sambias «zuständige Behörde» die Vorwürfe mittlerweile «vollständig untersucht»; und diese hätten sich als «unbegründet erwiesen». Die besagte Untersuchung ist allerdings weder von Sambias Steuerbehörde noch von Glencore zu erhalten.

Wie viel bleibt Sambia übrig?

Für Sambia, ein Land, in dem zwei Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und das auf dem Uno-Entwicklungsindex auf Platz 164 liegt, bleibt nicht viel übrig; denn dass Mopani keine Gewinnsteuern bezahlt, ist unbestritten. Es bleiben die Einnahmen aus den Royalties, die Sambias neuer Präsident Michael Sata Anfang Jahr immerhin auf sechs Prozent erhöhte – sechs Prozent der Einnahmen aus den Rohstoffen, die dem Land zu hundert Prozent gehören. Wie viel das in konkreten Zahlen ist, will Sambias Steuerbehörde auf Anfrage nicht verraten.

Den Steuerverlust, der – von den günstigen Steuerkonditionen einmal abgesehen – unter anderem dank der Schweizer Steueroase entsteht, berechnete die NGO Christian Aid auf 174 Millionen US-Dollar. Das ist fast sechsmal mehr, als die Schweiz für das gesamte südliche Afrika an Entwicklungshilfe bezahlt.

Ein Teil von Mopanis Einnahmen bleibt schliesslich bei den 7600 ArbeiterInnen und Angestellten hängen. Allerdings ein sehr kleiner. Die Hälfte der ArbeiterInnen war 2006 in Leiharbeit beschäftigt, mit befristeten Verträgen und rund der Hälfte des sonst in der Mine üblichen Lohns, wie eine Studie zweier Ökonomen zeigt. Dieser lag damals (zum heutigen Kurs) umgerechnet zwischen rund 70 bis 280 Franken im Monat. Hinzu kommt die Belastung der Umwelt: unter anderem durch das Schwefeldioxid, das unablässig aus den Rohren der Kupferhütte bläst und den Menschen an der Lunge nagt.

Bei diesen Menschen, die in Hütten rund um die Mopani-Minen wohnen, beginnt, was in Rüschlikon endet. An einer Gemeindeversammlung ist dort kürzlich eine heftige Debatte darüber entbrannt, was man mit den unverhofften Steuermillionen der Glencore-ManagerInnen anstellen soll. Sollte man einen Teil des Geldes spenden, wie einige BewohnerInnen forderten?

Schliesslich entschied sich eine Mehrheit, lieber die Steuern noch weiter zu senken.