Koran-Verbrennungen in Afghanistan: Gestärkt werden die einheimischen IslamistInnen

Nr. 9 –

In den Protesten seit der Koranverbrennung durch US-Truppen spiegelt sich die Enttäuschung vieler AfghanInnen über das Versagen des Westens.

Die Verbrennung von Exemplaren des Korans am 19. Februar durch SoldatInnen auf dem US-Stützpunkt Bagram blieb nicht ohne Folgen: tagelange Demonstrationen in etwa der Hälfte der 34 Provinzen Afghanistans; Versuche, Stützpunkte der internationalen Schutztruppe Isaf und Büros der Vereinten Nationen zu stürmen; Dschihadaufrufe, selbst im nationalen Parlament; und rund vierzig Todesopfer – DemonstrantInnen, PolizistInnen, amerikanische Berater.

Es war die grösste Protestwelle, die Afghanistan seit dem Sturz der Taliban 2001 erlebt hat. Als Folge haben die USA, Britannien, Frankreich und Deutschland ihre BeraterInnen aus den Kabuler Ministerien abgezogen. Zumindest «zeitweise», wie es heisst – aber auch das ist präzedenzlos.

Waren die Protestierenden nur eine manipulierte Minderheit, oder sprachen sie für breitere Bevölkerungskreise? Die deutsche «taz» zitierte einen Exilafghanen, der die Protestierenden als «Minderbemittelte, die nicht einmal den Koran lesen können» denunzierte. Doch auch einfache AfghanInnen sind in der Lage zu entscheiden, wann und mit wem sie protestieren. Der Zorn nach der Koranverbrennung war nicht nur bei IslamistInnen gross. Die in der Bevölkerung weit verbreitete Enttäuschung über das Versagen des Westens in ihrem Land und die politische Alternativlosigkeit machen viele AfghanInnen anfällig für «islamistisch»-populistische Parolen. «Kumulativen Zorn» könnte man das nennen, der in pauschal antiwestliche und antidemokratische Haltungen umschlägt.

Andererseits: Selbst wenn gläubige AfghanInnen wegen des Vorfalls zornig sind, heisst das noch nicht, dass sie von Mullahs regiert werden möchten. So kehrten auch nach dem Gebet am vergangenen Freitag, dem bisher folgenreichsten Tag der Proteste, die meisten Gläubigen ruhig nach Hause zurück. Die meisten Proteste blieben friedlich, und es gingen nur ein paar Hundert Menschen auf die Strasse.

Vorfälle wie in Bagram spielen nicht nur den Taliban in die Hände, sondern auch Kabuls HausislamistInnen, den früheren Warlords, die inzwischen als «Dschihadi-Führer» firmieren. Sie bilden den engsten Beraterstab von Präsident Hamid Karzai und arbeiten daran, ihre politische Hegemonie zu festigen. Wer mag etwa derzeit Einspruch erheben, wenn der Kulturminister den afghanischen Fernsehsprecherinnen weniger Make-up und eine ordentliche Verschleierung verordnet? Der Minister gehört zu den liberalsten im Kabinett – er hat sich diese Verordnung kaum selbst einfallen lassen.

Die «Dschihadi-Führer» haben auch erheblichen Einfluss auf die afghanische Jugend, nicht zuletzt auf die Gebildeten unter ihnen. Viele Junge sind zwar entschlossen, etwas Besseres aus ihrem Land zu machen, als sie und ihre Eltern es in den letzten Jahrzehnten unter wechselnden, aber ähnlich verhängnisvollen linken, islamistischen und prowestlichen Regimes erlebt haben. Aber Internetzugang und Fernsehsendungen wie «Afghanistan sucht den Superstar» machen sie nicht automatisch zu DemokratInnen. Die politische Bildung wird von höchster Stelle blockiert: So hatte Präsident Karzai per Dekret jegliche politische Aktivität an den Universitäten verboten. Das eröffnete den IslamistInnen einen vorzüglichen Rekrutierungsraum. Denn im Gegensatz zu den gesetzestreuen und schwachen demokratischen Gruppen halten sich die islamistischen Parteien nicht an das Verbot.

Die Koranverbrennungen, die viele in den USA noch immer für eine Lappalie halten – ein ansonsten kritischer Afghanistanblogger schrieb am Montag unverdrossen von einer «zufälligen Verbrennung» –, hat weitreichende Folgen für die aktuelle westliche Strategie in Afghanistan. Die sogenannte Übergabestrategie besteht darin, afghanische Streitkräfte auszubilden und zu beraten und Ende 2014 alle offiziellen ausländischen Kampftruppen abzuziehen (oder sie ab dann als AusbildnerInnen zu bezeichnen).

Trotz der Ereignisse der letzten Tage ist nicht zu erwarten, dass die westlichen Regierungen ihre BeraterInnen und AusbildnerInnen dauerhaft zurückziehen – auch wenn es nun nicht einfacher wird, Freiwillige für diese Jobs zu finden, und der politische Druck auf eine schnelle Beendigung der Mission weiter steigt. Trotz Wahlkämpfen werden weder die USA noch Frankreich einen Totalrückzug veranlassen. Das können sich die Nato-Mitgliedsstaaten nicht leisten, denn damit würden sie eingestehen, dass die Übergabestrategie gescheitert ist. Und in der jetzigen Situation würde ihnen ohnehin niemand glauben, dass die «Mission Afghanistan» erfolgreich abgeschlossen wurde.

Auf afghanischer Seite hätte eine Abkehr von der aktuellen Übergabestrategie vielleicht positive Folgen: Sie könnte paradoxerweise das Bewusstsein stärken, dass die afghanische Gesellschaft die Verantwortung im Kampf gegen die Taliban selbst übernehmen muss. Zwar zweifeln viele zu Recht an der Qualität der Ausbildung und vor allem an der Moral der afghanischen Sicherheitskräfte, aber sie kämen ohne westliche BeraterInnen möglicherweise besser zurecht. Allerdings könnten auch sie sich – so wie jetzt die ausländischen BeraterInnen – ihrer Nebenleute nicht mehr sicher sein. Vielleicht haben diese soeben einen Deal mit den Taliban gemacht.