Immer und ewig: Die Stimme aller Stimmen

Nr. 10 –

Venedig sehen und dann sterben – ich würde mir diese Plattitüde allenfalls über Tom Waits erlauben, zweifle aber, dass es zu Lebzeiten dazu kommen wird. Nicht, weil das spitzbärtige Knautschgesicht schon über sechzig ist, und auch nicht, weil sich der Barde mit seltenen Ausnahmen der Öffentlichkeit verweigert. Mal abgesehen davon, dass er sich seine raren musikalischen Liveperformances vergolden lässt; wahrscheinlich würde mich der «reale» Tom Waits auch bitter enttäuschen.

Das hat nur bedingt damit zu tun, dass Waits eine kunstvolle Inszenierung ist und der Mensch längst hinter der Pose des coolen Outlaws verschwunden. In diesen, respektive in «Zack» aus Jim Jarmuschs «Down by Law», habe ich mich als Teenie verliebt. Genau genommen war ich hin und weg, als die ersten Takte von «Jockey Full of Bourbon» eingesetzt hatten und diese un-glaub-liche Stimme zu erzählen anhob. «Rain Dogs» war mein erstes Tom-Waits-Album.

Viele LPs –und CDs – später wundere ich mich noch immer über diese Stimme, die eigentlich ein Instrument ist, das mal im rauchigen Bariton haucht, mal hart an der Schmerzgrenze dröhnt, krächzt und scheppert, mal mit Megafon bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird. Blechern klingt Waits dann, wie überhaupt das Blech eine grosse Rolle spielt bei seinen andern selbstgebastelten Instrumenten. Auch Mundharmonika, Posaune oder Klavier tönen, als quetsche er aus ihnen in ähnlich reduktionistischer Weise das Letzte heraus, wie Charles Bukowski es aus seinem angeblich hundert Wörter umfassenden Vokabular getan hat.

Nein. Zusehen möchte ich diesem vertonten Bukowski beim Soundtüfteln in einem seiner Labors, jener Scheune etwa, in der «Bone Machine» entstand. Meinen Buben würde das wahrscheinlich auch gefallen. Für sie ist Tom Waits «der lustige Mann», den sie immer wieder zu hören verlangen. Auch wenn der Jüngere zuweilen die Stirn runzelt und befindet, das töne jetzt grad doch ein bisschen unheimlich.
Franziska Meister

Für Unerschrockene: Das Neumarkt-Theater in Zürich zeigt ab Freitag, 9. März, Georg Büchners «Woyzeck» als Rockoper mit Musik von Tom Waits. www.theaterneumarkt.ch