Nidwalden: Eine Technologiepionierin, die keinen Franken verdient

Nr. 10 –

Die Firma Mondobiotech will seltene Krankheiten heilen. Ihr moderner Ansatz beeindruckte die Nidwaldner Regierung so stark, dass sie dem Unternehmen ein Kloster überliess. Aber dort arbeitet bloss eine Handvoll Leute.

Aus der Ferne sieht alles normal aus. Auf den Gräbern liegt Schnee, ein Messingkreuz ziert das Türmchen auf dem Dach, eine Mauer umrandet das grosse Grundstück. Doch wer die massiven Stufen zur Eingangspforte des Stanser Klosters emporsteigt, sieht neben der Holztüre eine Alarmanlage blinken. Im Sekundentakt erstrahlt das alte Gemäuer in grellem Blau. Nicht Mönche haben die Elektronik installiert, sie wohnen schon lange nicht mehr im Kloster. Heute gehört die Immobilie dem börsenkotierten Forschungsunternehmen Mondobiotech.

Ein Blick durchs Fenster zeigt jedoch, dass im Büro der Firma die Computer ausgeschaltet sind. Seit einem halben Jahr sehe man kaum mehr jemanden im Kloster, erzählen sich die Leute im Dorf. Am letzten Freitag hat die Firma bekannt gegeben, dass sie eine Fusion prüfe.

Die Geschichte von Mondobiotech ist eine über das Scheitern des Standortmarketings, das in Nidwalden praktiziert wird wie anderswo: «Innovative Köpfe finden in Nidwalden schnell eine Heimat», heisst es im Projekt der hiesigen Wirtschaftsförderung.

Im Stanser Kloster arbeiteten bis vor acht Jahren Kapuzinermönche. Dann lösten sie ihre Gemeinschaft nach 420 Jahren auf und überliessen das Kloster dem Kanton Nidwalden. Über drei Jahre stand das sanierungsbedürftige Gebäude leer. Vorschläge für eine Nutzung gab es viele, finanzierbar war keiner. Acht Millionen Franken sollte die Sanierung kosten. Doch dann lernte der Nidwaldner Volkswirtschaftsdirektor Gerhard Odermatt Fabio Cavalli kennen, den Gründer der Forschungsfirma Mondobiotech.

Paradiesische Verheissungen

«Cavalli ist eine charismatische Erscheinung», erinnert sich Odermatt. Dass ihn der 56-jährige Gründer von Mondobiotech an einem Apéro ansprach, weil er einen neuen Hauptsitz für sein Unternehmen suchte, schien Odermatt ein Glücksfall. Das leer stehende Kloster in Stans wäre wegen des nahe gelegenen Flughafens der Pilatus-Werke ein interessanter Standort für seine Firma, sagte Cavalli damals. Er spiele aber auch mit dem Gedanken, sich in Liechtenstein niederzulassen, führe deswegen mit Prinz Michael von und zu Liechtenstein Gespräche. «Da wusste ich: Jetzt muss ich handeln», erinnert sich Odermatt. Er lud Cavalli nach Stans ein.

Cavalli kam, zeigte Powerpoint-Präsentationen, jonglierte mit Fachbegriffen und Millionenbeträgen. Mondobiotech, so erklärte er, forsche im Internet nach Dokumentationen über seltene Krankheiten und dann nach Hinweisen auf mögliche Wirkstoffe. Finde das Unternehmen solche Arzneistoffe, lasse es diese patentieren und verkaufe die Rechte an Pharmaunternehmen. Aus Profitgründen forschten diese nicht selbst danach. Bei seiner Präsentation vor der Regierung betonte Cavalli stets, dass im Verwaltungsrat von Mondobiotech der deutsche Chemiker und Nobelpreisträger Professor Robert Huber sitze. «Die hatten das noch irgendwie mit Stanford vernetzt», sagt Odermatt heute.

In seinen Präsentationen machte Cavalli der Kantonsregierung viele Versprechungen, redete von rund fünfzig neuen Arbeitsplätzen und von der Finanzierung des Klosterumbaus. Für dieses Projekt wolle er den Stararchitekten Norman Foster engagieren. Zudem stehe ein Patent seiner Firma kurz vor dem Durchbruch. Schon bald könne – dank Mondobiotech – ein Medikament gegen eine seltene Krankheit auf den Markt gebracht werden. Nach den Gesprächen arbeitete der Volkswirtschaftsdirektor zusammen mit seinen Regierungskollegen an einem Vertrag mit Mondobiotech. «Mich überzeugte vor allem der humanitäre Ansatz», sagt Odermatt rückblickend.

An der Landratssitzung vom Januar 2008 beriet das Parlament über den Vertragsentwurf der Regierung. Die bürgerliche Mehrheit lobte die Regierung, fand, Mondobiotech sei «genau das, was Nidwalden braucht». KritikerInnen gab es wenige. Einzig die damals noch existierende Fraktion Demokratisches Nidwalden bemängelte die «rein wirtschaftliche Nutzung» des Klosters und verlangte ein Gutachten über Cavallis Firma. Odermatt zerstreute diese Zweifel. Ein kleines Risiko dürfe man eingehen, sagte er damals. Die ParlamentarierInnen nahmen den Vertrag mit 47 Ja- zu 5 Neinstimmen an. Einsicht in den Geschäftsbericht von Mondobiotech hatten sie nicht.

Auch das Wef war begeistert

Mondobiotech zog ins Kloster, installierte Alarmanlagen, Überwachungskameras und stellte ein Banner mit dem Firmenlogo vor die Tür. 4350 Franken monatlich zahlte Cavalli für das Baurecht auf der Parzelle 571. Das Kloster selber erhielt er gratis. Verpflichten musste er sich für den Gebäudeunterhalt und dazu, die Kirche während 18 Stunden wöchentlich für die Gemeinde freizugeben. Den Umbau regelt das Vertragswerk nicht. «Eine ausgewogene Regelung», so Odermatt heute.

Mit ihrer Begeisterung für Mondobiotech waren die Nidwaldner PolitikerInnen nicht allein. Vor vier Jahren verlieh die Zentralschweizer Industrie- und Handelskammer (IHZ) dem Unternehmen einen Innovationspreis. Der Ansatz, sich auf seltene Krankheiten zu spezialisieren, beeindruckte damals, erinnert sich Reto Abächerli, der Leiter des Wirtschaftsverbands. «Heute bekäme Mondobiotech den Preis nicht mehr.» Das Weltwirtschaftsforum Wef zeichnete die Firma als Technologiepionierin aus.

Heute zeigt die Fassade des Kloster Risse. Der Fensterkitt bröckelt, die Farbe an den Läden blättert. Der Umbau unter der Leitung von Foster fand nie statt. Im ersten Halbjahr 2011 setzte Mondobiotech keinen einzigen Franken um. Das digitale Forschungskonzept bringt kein Geld. Die Firma schrieb in derselben Periode einen Verlust von 54 Millionen. Neue Zahlen erscheinen im April.

Auf ihrer Website präsentiert die Firma immer noch Arzneistoffe, die bald den wirtschaftlichen Erfolg bringen sollen. Doch bislang kam noch kein einziges Medikament mit den von Mondobiotech patentierten Wirkstoffen auf den Markt. Erst nannte Cavalli das Jahr 2011 als Zeitpunkt für einen solchen Markteintritt, dann sprach er von frühestens 2015. Vergangenes Jahr verliess Cavalli schliesslich sein Unternehmen. «Wegen strategischer Unstimmigkeiten», hiess es damals. Er sei ein «Grosskotz», meinen die Stanser aus der Nachbarschaft, reisse alles an und beende nichts.

Im Dorf ist man enttäuscht. Odermatt sei auf Cavalli reingefallen, heisst es. Ein «lieber Tscholi» sei er halt, der Odermatt. Ein wenig delikat sei wohl gewesen, räumt Odermatt ein, dass er bei sich zu Hause vorübergehend einen Briefkasten für Mondobiotech einrichtete. Den Vorwurf aus der Bevölkerung, er und Cavalli seien zu fest verbandelt gewesen, weist er aber von sich. «Wir hatten einfach ein gutes Verhältnis», sagt er heute.

Fusion angekündigt

Zu Ruggero Gramatica, dem jetzigen Geschäftsführer von Mondobiotech, hat Odermatt, so sagt er, ein sachlicheres Verhältnis. Unter Gramaticas Leitung halbierte sich die Belegschaft der Firma. Sieben Mitarbeiter arbeiteten derzeit noch in Stans, heisst es bei Mondobiotech, vier davon täglich. Enttäuscht über den Wegfall der Arbeitsplätze sei er, sagt Odermatt dazu, doch die Baurechtszinsen, die zahle das Unternehmen immerhin pünktlich.

Bis Ende Jahr noch verfüge Mondobiotech über genügend liquide Mittel, lässt das Unternehmen verlauten. Um «die Kapitaldecke von Mondobiotech zu stärken», prüft Gramatica derzeit eine Fusion mit dem italienischen Pharmaunternehmen Pierrel. Die beiden Firmen unterschrieben vergangene Woche eine entsprechende Absichtserklärung. Das Interesse an Mondobiotech freut Odermatt. «Anscheinend muss doch etwas hinter dem unkonventionellen Unternehmen stecken», sagt er. Ob die Firma nach der Fusion jedoch in Stans bleibt und das Kloster endlich umbaut, weiss Odermatt nicht. Bei Mondobiotech – das weiss auch Odermatt – verspricht das längst niemand mehr.

Biotechnologie in der Schweiz

Blühende Geschäfte

In der Schweiz ist die Biotechnologie eine boomende Industrie. Im Jahr 2000 waren in der Schweiz knapp 200 Biotechfirmen registriert, zehn Jahre später bereits 237.

Die Biotechnologie forscht interdisziplinär über die Nutzung von Enzymen, Zellen und ganzen Organismen in technischen Anwendungen. Ziel ist die Entwicklung neuer Verfahren zur Herstellung von chemischen Verbindungen. Diese können in der Landwirtschaft, zur Nahrungsmittelherstellung, in der Umweltbiotechnologie und vor allem in der Medizin eingesetzt werden.

Von den Schweizer Betrieben waren im Jahr 2010 deren 174 in der Entwicklung und 63 weitere als Zulieferer tätig. Insgesamt wurden 9,2 Milliarden Franken umgesetzt. Aufgrund der zentralen Stellung der Pharmaindustrie konzentrieren sich die meisten Schweizer Unternehmen auf die sogenannte «rote Biotechnologie» für den Einsatz in Medizin und Pharmazeutik.

Wegen der hohen Entwicklungskosten wird im Biotechbereich stark mit öffentlichen Institutionen wie den Universitäten zusammengearbeitet. Öffentlich-private Joint Ventures machen einen grossen Teil der Aktivitäten in der Schweiz aus. Als Folge der Finanzkrise ist allerdings das Risikokapital für die Branche in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Trotzdem bleiben vierzig spezialisierte Risikokapitalfirmen und Investmentfonds in diesem Bereich tätig.

Als hochwertige, wissensorientierte Branche zieht der Sektor gut ausgebildete ausländische Arbeitskräfte an. Der jüngste «Swiss Biotech Report» vermerkt unverblümt, dass die Schweiz dank deregulierten Arbeitsmarkts und günstiger Steuersätze ein attraktives Arbeitsumfeld darstelle.
Stefan Howald