Durch den Monat mit Dore Heim (Teil 3): Sollten wir alle eine Bildungsrente erhalten?

Nr. 11 –

Nicht die Arbeit geht aus, sondern die Gesellschaft will für notwendige Arbeit im Sozialbereich nicht mehr bezahlen. Dabei wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen durchaus sinnvoll, meint Dore Heim.

Dore Heim: «Die ökonomische Eigenständigkeit ist für Frauen weniger selbstverständlich als für Männer.»

WOZ: Dore Heim, spüren Sie selber die aktuelle Krise?
Dore Heim: Nein, ich selber spüre die Krise nicht. Ich arbeite bei der Stadtverwaltung und habe einen sehr guten Lohn. Anders ist die Situation für meine Schwester, die im Pflegebereich arbeitet. Da herrscht ein Dauerstress, um die Qualität der Pflege trotz Sparübungen und Personalkürzungen einigermassen aufrechtzuerhalten. Auch in meinem übrigen Umfeld ist die Krise sehr spürbar.

Hat sich auch die Arbeit im Gleichstellungsbüro verändert?
In der Beratung merken wir, dass die Situation für Frauen mit Kindern schwieriger geworden ist. Es kommt häufiger vor, dass Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub nicht mehr in ihren Betrieb zurückkehren können. Die veränderte Lebenssituation wird von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern als Gelegenheit zum Stellenabbau genutzt.

In früheren Krisen wurden verheiratete Frauen als «Doppelverdienerinnen» an den Herd zurückgeschickt. Das ist spätestens seit dem Gleichstellungsgesetz nicht mehr möglich. Wie wird die knapper werdende Erwerbsarbeit heute umverteilt?
Der traditionelle Ernährerlohn hat ausgedient. Doch die ökonomische Eigenständigkeit ist für Frauen nach wie vor weniger selbstverständlich als für Männer. Sie müsste aber auch dann gelten, wenn Kinder kommen. Denn nicht bloss der vollständige Verzicht auf Erwerbsarbeit, sondern auch die geringfügigen Teilzeitpensen, auf die Frauen nach der Geburt eines Kindes oft zurückgreifen, gefährden die Gleichstellung. Eine 40-Prozent-Stelle ist nun mal prekärer als ein Vollzeitjob. Wir raten den Frauen deshalb ganz dringlich, in der Erwerbsarbeit drinzubleiben und nicht von sich aus zu kündigen oder sich freiwillig zurückzuziehen.

Hat es denn genug Erwerbsarbeit für alle?
Es gibt zweifellos genug Arbeit für alle. Aber sie ist zum Teil miserabel bezahlt. Im Gesundheits- und Pflegebereich etwa mangelt es ja nicht an Arbeit, sondern an genügend Stellen und guten Löhnen.

Die Gesellschaft stellt also nicht genügend Geld für die nötige Arbeit bereit?
In der Finanzkrise hiess es, die Männer würden die Verlierer sein, weil gutbezahlte «Männerjobs» gestrichen werden. Im Gegensatz dazu seien die typischen Frauenberufe weit weniger konjunkturabhängig. In den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Aufgaben falle immer Arbeit an. Das stimmt so nicht. Denn wenn das Geld knapp wird, dann wird doch zuerst bei der Bildung, der Pflege und bei Sozialaufgaben gespart. Die Unterbewertung der Frauenarbeit hat eine lange Tradition.

Es ist kaum sinnvoll, die Existenzsicherung ausschliesslich von der Erwerbsarbeit abhängig zu machen. Was halten Sie von Alternativen wie dem garantierten Grundeinkommen?
Mein Bruder und seine Partnerin, die seit langem in Frankreich leben, kamen in den Genuss eines solchen existenzsichernden staatlichen Einkommens. Die Rente sicherte den Haushalt, ermöglichte der Frau eine Zusatzausbildung und damit eine erfolgreiche Berufskarriere. Auch für die zwei Töchter wurde eine gute Ausgangslage geschaffen. Eine ganze Familie wurde vor einer äusserst prekären Situation gerettet. Das alles hat mir grossen Eindruck gemacht. Doch so etwas wird in der Schweiz nie akzeptiert.

Sie geben dem bedingungslosen Grundeinkommen keine Chance. Und einer Zahlung, die an bestimmte Bedingungen geknüpft wird?
Soeben haben wir bei der Volksabstimmung über «6 Wochen Ferien für alle» erlebt, dass weiter gehende soziale Forderungen in der Schweiz einen äusserst schweren Stand haben. Dabei würde ein Grundeinkommen durchaus Sinn ergeben. Zum Beispiel für junge Leute. Heute hofft man einfach, dass sie nach der Ausbildung wie von selbst irgendwo in der Arbeitswelt landen werden. In der Krise brauchen sie dazu aber vielleicht eine staatlich finanzierte Einstiegshilfe. Das wäre doch ein Gewinn für alle: Die Betriebe oder NGOs bekämen hochmotivierte PraktikantInnen, die Jungen machten eine reelle Arbeitserfahrung, und sie bekämen gleichzeitig eine Existenzsicherung.

Sie plädieren für eine Art Bildungsrente.
Diese ersten Arbeitserfahrungen sind sehr wichtig. Wir haben an unserer Fachstelle für Gleichstellung bereits heute einen Kredit, mit dem wir Wiedereinstiegspraktika in der Stadtverwaltung für Frauen nach der Familienpause finanzieren können. Damit haben die Frauen ein aktuelles Arbeitszeugnis in der Hand und eine viel bessere Chance, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben.

Und die Gleichstellung bei der unbezahlten Arbeit?
Die grösste Chance sehe ich in einer generellen Arbeitszeitverkürzung. Dann wäre es eher möglich, bezahlte und unbezahlte Arbeit im Lot zu halten. Auch diejenigen, die bisher 45 Stunden in der Woche arbeiteten, müssten sich dann mit der unbezahlten Arbeit auseinandersetzen. Denen nähme man das Argument weg, dass sie nicht posten und putzen können, selbst wenn sie es wollten.

Für Dore Heim (53) ist Emanzipation ohne Erwerbsarbeit undenkbar. An der Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung berät sie auch junge Mütter, die in der Krise besonders gefährdet sind.