Das Gasleck in der Nordsee: Bohren bis ans Limit

Nr. 14 –

Bis jetzt ist die Nordsee knapp von einer ganz grossen Umweltkatastrophe verschont geblieben. Wenig hat gefehlt, und eine Förderplattform des Öl- und Gaskonzerns Total wäre in den letzten Tagen mitsamt der mit ihr durch eine Brücke verbundenen schwimmenden Raffinerie in die Luft geflogen. Inzwischen ist die Flamme auf der Raffinerie erloschen und somit die Gefahr vorerst gebannt, dass sich das auf der Plattform entweichende Gas entzündet.

Doch aus einem Ventil der Total-Plattform, die rund 240 Kilometer vom schottischen Aberdeen entfernt ist, strömt nun Gas in die Atmosphäre. Zum grossen Teil handelt es sich dabei um klimaschädigendes Methan. Ob und wie viel hochgiftiger Schwefelwasserstoff ausströmt, ist unklar. Ausserdem hat sich um die Plattform ein Ölfilm gebildet, auf dem gemäss einer Erkundungsmission der Umweltorganisation Greenpeace gelbe Flocken schwimmen. Was es mit den ins Meer gelangten Substanzen auf sich hat, werden die Laborauswertungen in den kommenden Tagen zeigen. Auf der Plattform selbst herrscht immer noch akute Explosionsgefahr, niemand wagt sich in ihre Nähe. Bis das Leck gestopft werden kann, könnten Monate vergehen.

Zur Entstehung des Lecks führte nicht einfach eine Anhäufung von unglücklichen Zufällen. Mit dem Unfall musste gerechnet werden. Total ist seit der Inbetriebnahme der Gasförderung beim sogenannten Elgin-Gasfeld vom Mai 2001 bewusst an die Grenze des technisch Machbaren gegangen. Das Elgin-Feld liegt bis zu 5000 Meter unter dem Meeresboden, und es herrschen dort, wie die Firma in einer Broschüre schreibt, extreme Druck- und Temperaturverhältnisse. Um dennoch an das Gas zu gelangen, mussten «neue technologische Standards» gesetzt werden, wie sich Total brüstet. Elgin sei das «grösste Hochtemperatur- und Hochdruckprojekt der Welt». Das Risiko machte sich bis zum Unfall bezahlt: Elgin allein lieferte rund drei Prozent der gesamten britischen Gasfördermenge, die britische Regierung gewährte dem Konzern sogar Steuererleichterungen.

Dabei hätte man sich in London der Gefahren bewusst sein müssen: Ein Bericht des schottischen Beratungsunternehmens Highoose warnte die Behörden bereits 2005 vor möglichen Gaslecks, da angesichts der hohen technischen Herausforderungen möglicherweise nicht alle Gefahren erkannt würden. 2009 schrieben mehrere Total-Manager in einem Bericht an die Geologische Gesellschaft Britanniens, dass das Elgin-Feld aufgrund dreier Erdbeben instabiler geworden sei und es Anzeichen gebe, dass sich das Gestein in der Umgebung des Gasfelds verändert habe. Im Oktober 2011 schliesslich hielt der Total-Manager Jean-Louis Bergerot in einem Fachmagazin fest, dass sich der Umgang mit Hochtemperatur- und Hochdruckgasreservoirs als zunehmend schwieriger herausstelle. Auch die Arbeiter auf der Plattform selbst hatten in den letzten Monaten immer wieder über einen erhöhten Druck in den Leitungen geklagt. Doch das Total-Management wiegelte ab.

Total weiss, das Gasgeschäft verspricht in Zukunft noch höhere Gewinne. Während Kohle und Erdöl allmählich wegen ihrer Klimaschädlichkeit in Verruf geraten, findet selbst Greenpeace, dass Gaskraftwerke für eine «begrenzte Zeit» als «Brückentechnologie» dienen könnten.

Erdgas gilt als sauber, trotz vollem Risiko der Energiekonzerne. So betreibt Total etwa mit der russischen Gazprom ein Gemeinschaftsunternehmen zur Förderung von Gas in der Arktis – ein Unterfangen, vor dem UmweltschützerInnen wegen der besonderen Verletzlichkeit dieses Ökosystems vehement warnen. Ausserdem hat sich das französische Energieunternehmen unlängst für 2,3 Milliarden US-Dollar in die sogenannte unkonventionelle Gasförderung in den USA eingekauft. Dort wird seit einigen Jahren im grossen Stil Gas aus Schiefergestein herausgepresst. Dabei wird mit der Fracking-Methode ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien in das Gestein gepumpt (siehe WOZ Nr. 11/12 ). UmweltschützerInnen und AnwohnerInnen laufen dagegen Sturm – sie befürchten, dass die Chemikalien ins Grundwasser gelangen. Ein Verbot dieser Abbaumethode ist in den USA nicht in Sicht. In Frankreich dagegen, wo Total seinen Konzernsitz hat, ist Fracking nicht erlaubt.