Eine libysche Ärztin in der Schweiz: Wenn die Leute erst aufs Kopftuch gucken

Nr. 15 –

Die Ärztin Aisha Kumati stammt aus Libyen und lebt seit sechzehn Jahren in der Schweiz. Zwar zeigt sich das Traumland ihrer Kindheit als Land mit bürokratischen Hürden und Vorurteilen. Dennoch will sie hier bleiben.

Ganz zufrieden im dritten Leben: Aisha Kumati.

Jede Nacht verbrachte Aisha Kumati im letzten Frühjahr vor dem Fernseher – bis zur völligen Erschöpfung. Auf allen Kanälen flimmerten damals Bilder vom Bürgerkrieg in Libyen. Bilder aus ihrer umkämpften Heimatstadt Bengasi, von wo sie 1996 mit ihrem Ehemann und ihren zwei kleinen Söhnen in die Schweiz geflüchtet war. «Unablässig dachte ich an meine Mutter und die vielen Verwandten in Bengasi. So oft wie möglich versuchte ich, sie zu kontaktieren», sagt die 38-jährige Assistenzärztin, die während jener Wochen nicht mehr zur Arbeit gehen konnte. «Mein Kopf war nicht hier, und mir fehlte die Kraft dazu.»

Seither ist viel passiert, und Aisha Kumati sozusagen in ihrem dritten Leben angekommen: einem Leben ohne das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Leben ohne ihre Mutter, die während der Wirren des Bürgerkriegs verstarb. Und oftmals auch ein Leben ohne ihren Mann, der immer wieder ins befreite Libyen zurückkehrt, um die dortige Entwicklung zu beobachten.

Putzen? Unvorstellbar!

Ihr erstes Leben war unbeschwert. Aisha Kumati wuchs als Kind einer wohlhabenden Familie auf. Früh heiratete sie einen angehenden Ingenieur, der ebenfalls aus begüterten Verhältnissen stammte, und begann, Medizin zu studieren. Sie war Anfang zwanzig, als ihre Söhne zur Welt kamen. Doch das Familienglück dauerte nicht lange: Kumatis Ehemann war ein politischer Aktivist, der gegen das Gaddafi-Regime opponierte. Das brachte ihn ins Gefängnis. An ein unbeschwertes Leben war nicht mehr zu denken.

Das Ehepaar beschloss, schnellstmöglich aus der Heimat zu flüchten. Mit nur leichtem Gepäck – es sollte wie eine Touristenreise aussehen – flog die Familie nach Basel. «Als Kind verbrachte ich dort oft meine Ferien bei Bekannten. Ich liebte die Stadt. Und ich wusste, dass wir in der neutralen Schweiz gut aufgehoben sind», sagt Kumati.

Doch ihr zweites Leben begann mit einem Schock: Statt als Touristin ins noble Hotel ging es als Asylsuchende ins Empfangszentrum. «Gleich am ersten Tag hielt mir eine Betreuerin einen Lappen hin. Ich sollte die Tische putzen. Mein Mann schnappte sich diesen Lappen wutentbrannt und schleuderte ihn zu Boden. Für ihn war es unvorstellbar, dass ich jemals putzen würde», sagt sie. Heute kann Kumati über diese Episode lachen. Und doch schliesst sie immer wieder ihre Augen, schüttelt ihren Kopf, wenn sie von den Anfangstagen in der Schweiz erzählt – von den überfüllten Räumen, den verschmutzten Toiletten, dem ständigen Lärm. Wie im Gefängnis habe sie sich gefühlt.

Rückkehr kein Thema

Die Befreiung hat Aisha Kumati Zeit und Mühsal gekostet. 1998 erhielt sie die B-Bewilligung. Die Familie war unterdessen in Uster untergekommen. Kumati zog die Söhne auf, kämpfte mit den Mühlen der Asylbehörden und schrieb sich an der Universität Zürich ein, um ihr Medizinstudium abzuschliessen. «Es hat mich krank gemacht, immer von anderen abhängig zu sein», sagt sie, «ich wollte so selbstständig wie möglich sein.» Während für sie die Tage und Nächte viel zu kurz waren, um alles erledigen zu können, fiel ihr Ehemann in ein Loch. Vergeblich hatte er versucht, als Ingenieur zu arbeiten, er wurde zunehmend pessimistisch und passiv, fühlte sich unnütz. Eine Entwicklung, die Kumati auch bei anderen – meist gut ausgebildeten – Landsleuten beobachtete, die in die Schweiz geflüchtet waren.

Wie schwierig die Arbeitssuche sein kann, weiss Kumati, die momentan in einer Rehaklinik im aargauischen Bad Schinznach arbeitet, aus eigener Erfahrung. In den Spitälern interessierten die EntscheidungsträgerInnen nicht in erster Linie ihr Uniabschluss oder ihre Arbeitszeugnisse, sondern ihr Kopftuch. Aisha Kumati trägt es schon ihr Leben lang, für sie keine Frage der Religion, sondern der Kultur. «Einmal hatte ich schon die Zusage des Chefarztes für eine Assistenzstelle. Kurz vor meinem Antritt schrieb er mir dann eine Mail, dass ihre Vorbehalte doch zu gross seien. Wegen des Kopftuchs», erzählt sie ruhig, doch in ihren Gesichtszügen ist die Empörung spürbar, die sie dabei empfindet. Auch bei den PatientInnen stosse sie anfangs oft auf Bedenken und Ängste, «aber bei ihnen verschwindet das Kopftuch bald hinter mir als Ärztin und Mensch».

Eine Rückkehr nach Libyen kommt für Kumati momentan nicht infrage. Ihre Buben, die gerade beide eine Lehre machen, wollen in Volketswil bleiben, «wo sie aufgewachsen sind und wo ihre Freunde leben». Und sie selbst will ihre Assistenzzeit in der Schweiz beenden. «Zum Glück gibt es Skype und jede Menge gute Apps», sagt sie und zeigt auf ihr Smartphone. «Damit bleibe ich mit all meinen Verwandten und, wenn er dort ist, meinem Ehemann in Kontakt.» Und glücklicherweise könne sie heute jederzeit zurück in ihre Heimatstadt reisen.