Holcim in Indien: Die beinharte Taktik der Zementgiesser

Nr. 16 –

Der Schweizer Zementkonzern Holcim feiert sein 100-Jahr-Jubiläum. Für die ArbeiterInnen in Indien gibt es aber wenig zu feiern, denn das Unternehmen verletzt dort Menschenrechte.

Gegen die doppelte Ausbeutung: Demonstration vor den Holcim-Firmen ACC und Ambuja am 8. März im indischen Raipur. Foto: Solifonds

Umweltschutz und soziale Verantwortung sind laut eigener Aussage für den Schweizer Zementkonzern Holcim zentral für sein weltweites Handeln. Die Wirklichkeit sieht teilweise anders aus. So beschäftigt Holcim in zwei indischen Tochterfirmen zu achtzig Prozent LeiharbeiterInnen. Diese üben zwar dauerhaft die gleichen Tätigkeiten wie Festangestellte aus, verdienen aber nur rund ein Drittel des Lohns.

Viele von ihnen sind in der indischen Gewerkschaft der LeiharbeiterInnen (PCSS) organisiert, die seit über zwanzig Jahren für Festanstellungen, gegen die Kriminalisierung von Protestierenden, Entlassungen, Land- und Wasserraub im Bundesstaat Chhattisgarh kämpft.

Gewerkschaftsfeindlich

Anlässlich des 100-Jahr-Firmenjubiläums von Holcim wollte eine Delegation der PCSS in die Schweiz reisen, um über die Geschäftspraktiken des internationalen Konzerns zu informieren, der in über siebzig Ländern tätig ist. Angekommen ist nur Shalini Gera – zwei weitere PCSS-Mitglieder durften wegen «laufender Verfahren» nicht aus Indien ausreisen. «Es ist sehr wichtig, dass wir uns international vernetzen, um gemeinsam Kampagnen gegen multinationale Konzerne umzusetzen», sagt Gera gegenüber der WOZ.

Holcim erwarb 2005 die beiden indischen Zementhersteller ACC und Ambuja Cement Ltd. Bereits seit den neunziger Jahren setzen sich LeiharbeiterInnen der beiden Werke gemeinsam mit der Gewerkschaft PCSS für feste Arbeitsverträge ein. Die neue Konzernleitung verbesserte die prekären Arbeitsbedingungen aber nicht, sondern verschärfte sie. So traten ACC-Holcim und Ambuja-Holcim nach der Übernahme umgehend aus einem indischen Abkommen zwischen Zementfirmen, Gewerkschaften und der Regierung aus. Zudem reduzierte Holcim die Zahl der ArbeiterInnen bei gleicher Arbeitsmenge, was zu schweren Unfällen führte.

Einer Klage der PCSS aus dem Jahr 2000 vor dem indischen Arbeitsgericht wurde 2006 stattgegeben. Das Urteil verpflichtete die neue Besitzerin, ACC-Holcim, die LeiharbeiterInnen fest anzustellen und die Entlassungen nach der Übernahme rückgängig zu machen. Doch der Konzern ging in Berufung. 2011 wurde Holcim von der nächsthöheren Instanz, dem Obergericht von Chhattisgarh, erneut verurteilt, missachtete aber das Urteil. Daraufhin streikten die LeiharbeiterInnen und erhielten auch internationale Unterstützung – von der Schweizer Gewerkschaft Unia, der Internationalen Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeitergewerkschaften (ICEM), dem Internationalen Bau- und Holzarbeitergewerkschaftsbund sowie den nichtstaatlichen Organisationen Solifonds und Multiwatch.

Seit Januar liegt nun auch beim Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft eine Klage der PCSS gegen Holcim vor – wegen Verstössen gegen die Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Holcim erkennt die PCSS nicht an und verweigerte die Teilnahme an mehreren Schlichtungstreffen. «Das gewerkschaftsfeindliche Verhalten von Holcim ist auch im internationalen Vergleich als skandalös einzustufen», sagt Tom Grinter von ICEM, der die OECD-Klage der PCSS unterstützt.

Wasserraub

Holcim verstösst in Indien nicht nur gegen Arbeitsrechte. «Der Konzern privatisiert Gemeindeland und setzt dies mit Einschüchterung und Gewalt durch», berichtet Gera. Ein lokaler Abgeordneter, der eine führende Position in der BäuerInnenorganisation hat, sitzt beispielsweise seit fast einem Jahr im Gefängnis. Ambuja-Holcim wirft ihm Körperverletzung und Raub vor. «Dabei handelt es sich um eine konstruierte Anklage mit vielen Widersprüchen», so Gera. «Und die einzigen Zeugen, die angehört werden, sind die Sicherheitsmänner des Konzerns.»

Auch in anderer Hinsicht werden die Lebensbedingungen der Lokalbevölkerung durch Holcim beeinträchtigt. So führte der hohe Wasserverbrauch der Zementwerke zum Absinken des Grundwasserspiegels, wodurch Brunnen austrockneten. Vergangenes Jahr hatte Holcim ausserdem einen Trinkwasserkanal für vierzig Dörfer in ihre Produktionsstätten umgeleitet.

In einem gemeinsamen Manifest fordern die Gewerkschaften sowie Solifonds und Multiwatch nun Holcim auf, weltweit die Arbeits- und Gewerkschaftsrechte sowie das Mitbestimmungsrecht der Lokalbevölkerung einzuhalten und den Lebensraum Letzterer nicht zu gefährden.

Im Kunstmuseum Bern stellt Holcim derzeit im Rahmen seines Jubiläums Fotos von ArbeiterInnen aus (siehe WOZ Nr. 11/12 ). Seit Anfang der Woche haben Gera und ihre MitstreiterInnen dort mit eigenen Bildern der indischen Holcim-ArbeiterInnen protestiert, die von einer anderen Wirklichkeit erzählen.