Kommentar von Dieter Sauter, Istanbul: Ein neuer Weg gegen den Militärschlag

Nr. 16 –

Über das iranische Atomprogramm verhandelte der Westen seit Jahren ergebnislos mit Teheran. Eine neue Strategie könnte nun Bewegung in die Gespräche bringen.

Nichts Neues aus Istanbul? Auf den ersten Blick scheint die Konferenz des Uno-Sicherheitsrats und Deutschlands mit dem Iran zum iranischen Atomprogramm am vergangenen Wochenende in Istanbul nur eine von vielen zu diesem Thema gewesen zu sein. Die USA halten die Konferenz für eine «positive Etappe», die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton für «konstruktiv». Konkrete Ergebnisse gibt es aber keine. Wie oft hat man das schon gehört? Seit wie vielen Jahren?

1989, zwei Wochen nach dem Tod des Revolutionsführers Ajatollah Chamenei, verständigt sich der damalige iranische Parlamentssprecher Akbar Rafsandschani mit der Regierung Russlands über eine Zusammenarbeit bei der zivilen Anwendung der Atomenergie. 1995 vereinbaren die beiden Länder, dass Russland im iranischen Buschher einen Leichtwasserreaktor baut. Noch im selben Jahr warnt der damalige US-Aussenminister Warren Christopher, Teheran arbeite heimlich an einem Atomwaffenprojekt.

2003 schreckt die EU auf, weil die Nachrichtendienste unüberhörbar warnen, der Iran könne bald selbst Uran für den Bau einer Atombombe anreichern. Am 7. September 2005 zitiert die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» einen «hohen EU-Diplomaten»: «Die Bemühungen der EU, mit dem Iran zu einer langfristigen Vereinbarung über das Nuklearprogramm mit ‹objektiven Garantien› zu kommen, sind am Ende.»

Im September 2008 warnt schliesslich der damalige Chefinspektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed el-Baradei, vor einem Militärschlag gegen den Iran. Ein solcher würde den ganzen Nahen Osten in einen «Feuerball» verwandeln. Drei Monate später hält aber auch er die Verhandlungen seiner Organisation für gescheitert, Teheran von seinem Atomprogramm abzubringen. Ein halbes Jahr später bietet der Iran an, die Gespräche wiederaufzunehmen. Im Januar 2011 loben die Iraner die «positive Atmosphäre» bei den Gesprächen (auch damals in Istanbul), aber nachgeben wollen sie bei ihrem Atomprogramm trotzdem nicht. Zuerst müssten die Sanktionen gegen ihr Land aufgehoben werden. Die Konferenz bleibt ohne Ergebnis.

Und jetzt? Wieder «positiv», aber «ergebnislos»? Tatsächlich scheinen alle Verhandlungsoptionen durchgespielt – und die meisten MilitärexpertInnen erwarten für den Herbst, nach den US-Präsidentschaftswahlen, einen Militärschlag Israels gegen Teheran und seine Atomanlagen, wenn sich der Iran nicht doch noch bewegt.

Tatsächlich war an diesem letzten Wochenende in Istanbul aber doch einiges anders. Von TeilnehmerInnen im Konferenzzentrum in Istanbul war zu hören: Hätten die iranischen Unterhändler bei den letzten Tagungen offenbar den Auftrag gehabt, sicherzustellen, dass die Gespräche auf keinen Fall fortgesetzt werden, so hätten sie dieses Mal wohl die Order gehabt, sicherzustellen, dass die Verhandlungen auf jeden Fall weitergehen.

Sassen sich die VerhandlungspartnerInnen bisher mit ihren unüberbrückbaren Standpunkten kompromisslos gegenüber, so wollen sie nun ein anderes Vorgehen versuchen: Beide Seiten verzichten darauf, lediglich ihre Maximalforderungen zu wiederholen (der Iran soll seine gefährlichen und heimlichen Atombombenspiele aufgeben, umgekehrt soll der Westen seine Sanktionen gegen den Iran aufheben). Stattdessen soll die Lösung des Konflikts in einzelne Etappen aufgeteilt werden: Mit jedem Schritt, den Teheran auf den Westen zugeht, muss dieser seinerseits dem Iran konkret entgegenkommen. Gewährt etwa der Iran in einem ersten Schritt der IAEA den Zugang zu seiner bisher geheim gehaltenen Atomanlage in Fordo, hebt der Westen seinerseits eine bestimmte Sanktion gegen den Iran im internationalen Zahlungsverkehr auf. Das ist gemeint, wenn Catherine Ashton sagt, die nächsten Verhandlungsrunden würden nach dem «Prinzip des gegenseitigen Schritt-für Schritt-Vorgehens» organisiert.

Damit könnten beide Seiten jeweils konkret nachvollziehen und überprüfen, ob es die Gegenseite ernst meint. Das ist angesichts des allgemeinen Misstrauens auch dringend nötig. Während der Westen fürchtet, der Iran verspreche alles und halte im Prinzip nichts, glaubt Teheran, der Westen rede über das Atomprogramm, tatsächlich aber wolle er über diesen Konflikt nur die iranische Regierung stürzen.

Zeigen die Sanktionen gegen Teheran also tatsächlich Wirkung? Oder hat Teheran eingesehen, dass die Regierung in Tel Aviv ihre Drohung ernst machen wird und die USA das israelische Militär nicht daran hindern? Oder versuchen alle, die vor solch einem Waffengang seit Jahren warnen, mit dieser Verhandlungstaktik in letzter Minute einen Krieg abzuwenden?

Sicher ist: Gibt es bei der nächsten Verhandlungsrunde im Mai in Bagdad keinen «Einstieg in konkrete Schritte», muss man wohl im Spätherbst mit einem neuen Krieg im Nahen Osten rechnen. Tel Aviv weicht nicht von seinem Standpunkt ab und kritisiert das Verhandlungsergebnis von Istanbul als ein Spiel auf Zeit. Auch Barack Obama setzt dem Iran ein Ultimatum, wenn er den Nachrichtenagenturen diktiert: «Die Uhr läuft ab!»