Luzern: Weg da, Mutter Teresa!

Nr. 17 –

Luzern ist nicht Kalkutta. Deswegen darf es hier auch keine ältere Dame geben, die Obdachlose mit Nahrungsmitteln versorgt, sagen die Stadtbehörden und haben Monica P. einen Bussenbescheid zugestellt. Dem will sie allerdings nicht nachkommen.

Über die Busse von 360 Franken wegen «Widerhandlung gegen das Reglement und die Verordnung über die Nutzung des öffentlichen Grundes» kann die 66-jährige Monica P. aus einer Luzerner Vorortsgemeinde nur ratlos kichern. «Bis jetzt habe ich meine Lebensmittel immer auf einer Bank auf dem Perron 2 im Bahnhof Luzern deponiert. Niemand hat reklamiert. Auch die Busfahrer nicht. Nur der Chef der Sipo (Sicherheitspolizei) störte sich daran. Aber jetzt habe ich einen neuen Platz gefunden», erzählt P. Seit mehr als vier Jahren versorgt sie Luzerns Randständige und Süchtige gegen Abend ungebeten mit Lebensmitteln. «Unverkaufte Frischwaren aus vier Tankstellenshops. Sandwichs, Milch, Joghurt, Käse und ganze Menüs», zählt sie auf. Und fügt an: «Das würde ohnehin alles weggeworfen.» Von einer Grossbäckerei erhält sie überschüssige Backwaren.

Konflikt mit der Gassenküche

Die heute allein lebende Mutter dreier erwachsener Kinder stellt mit ihrem täglichen Nahrungsmittelangebot den Obdachlosen und Süchtigen förmlich nach. So wie fütterungsfreudige Tierfreunde sucht sie die aktuellen Besammlungsorte ihrer Zielgruppe auf.

Dabei gerät sie offenbar immer wieder mit Konkurrenten, Behörden oder dem Wetter in Konflikt. «Bei der Luzerner Gassenküche haben sie mich rausgeschmissen. Haben mir gesagt, ich soll nie wieder kommen», erzählt sie freimütig. Der Vorwurf sei gefallen, sie verteile süsse Backwaren, während die Gassenküche ihre Schützlinge mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen trachte. Daraufhin verteilte die unermüdliche Wohltäterin ihre ergatterten Lebensmittel im Krienser Salesia-Park. «Aber dort gibt es keinen Schutz vor Regen und Nässe», berichtet sie. Den bietet der Bahnhof Luzern. Seit bald zwei Jahren verteilt sie dort Lebensmittel an Obdachlose und Süchtige. Aber nicht an Asylsuchende. «Die haben die Lebensmittel gleich sackweise eingepackt, sodass nichts mehr für die Obdachlosen übrig geblieben ist», erzählt Monica P. ohne Groll. Und weiss: «Die Asylsuchenden werden von anderen Stellen betreut.»

Seit anderthalb Jahren im Clinch

Natürlich ist der bahnhöfliche Speisungsstreit nicht lautlos über das Perron gegangen. Und darauf bezieht sich denn auch Rico De Bona, Leiter Dienstabteilung für Stadtraum und Veranstaltungen. «Auf der Grundlage diverser Rückmeldungen von Personen/Institutionen vor Ort haben wir die entsprechende Person vor rund anderthalb Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die Aktion unbewilligt sei und sie ein Gesuch für diese Aktivität bei uns einreichen soll (gesteigerter Gemeingebrauch von öffentlichem Grund). Dies ist dann erfolgt und wurde intern wie extern einer Stellungnahme unterbreitet. Die eingegangenen Mitberichte waren negativ», hält er gegenüber der WOZ fest.

Man habe dann Ende 2010 der Frau den ablehnenden Entscheid mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Und diesem sei – nachdem kein Einspruch erhoben wurde – Rechtskraft erwachsen. «Die Person hat in der Folge ohne Berücksichtigung des Ablehnungsentscheides weiter Lebensmittel verteilt. Es gab dann auch Rempeleien, und der Abfall wurde zu Beginn vielfach liegen gelassen», schildert De Bona weiter. Man habe die Frau wiederholt «mündlich wie schriftlich abgemahnt und auf rechtliche Konsequenzen hingewiesen». Und sie auf andere Abgabemöglichkeiten bei der Notschlafstelle, der Gassenküche und weiteren Institutionen aufmerksam gemacht. Nachdem die Frau nicht darauf reagiert habe, sei eine Strafanzeige zuerst angedroht und dann auch eingereicht worden.

Im Auftrag von Jesus

Nicht immer war der kompromisslose tägliche Einsatz für Mitmenschen in Not ihre Leidenschaft. Der Verlust ihres Mannes erst durch eine Scheidung gegen ihren Willen und dann durch den Krebstod hat Monica P. vor acht Jahren an den Rand eines Suizids getrieben. «Ich wollte unter den Zug. Und es war Jesus, der mich wieder aufgerichtet hat», erzählt sie, die heute jeden Tag in die Kirche geht und betet. Ihren Mitmenschen zu helfen, ist heute ihre Lebenserfüllung. «Ich verteile nicht nur Lebensmittel. Ich helfe auch Menschen mit anderen Nöten. Aus Nächstenliebe. Im Auftrag von Jesus», erklärt die tiefgläubige Rentnerin.

Monica P. ist dehalb nicht bereit, diese Busse zu bezahlen. Aber sie ist flexibel und hat sich nun beim nahen Carparkplatz beim «Inseli» in Verteilstellung gebracht. «Da gibt es ein wettergeschütztes Plätzchen», freut sie sich. Und berichtet mit erstickter Stimme, wie froh und dankbar ihre Schützlinge manchmal sind, wenn sie mit den gesammelten Lebensmitteln auftauche. «Einige von ihnen nennen mich die ‹Mutter Teresa von Luzern›», sagt sie nicht ohne Stolz.