Crowdfunding: Keine zu klein, eine Wohltäterin zu sein

Nr. 18 –

Finanzierung von Kunstprojekten über die Masse: Was seit neustem über Internetplattformen auch in der Schweiz funktioniert, ist in Wirklichkeit eine alte Idee.

20 000 Franken waren das Ziel. Mit 26 395 Franken in 45 Tagen ist das Theaterprojekt «True Nature» von Anna Tenta und Hannes Glarner klar Spitzenreiter im Schweizer Crowdfunding – zu Deutsch «Schwarmfinanzierung». Und es wird es wohl noch eine Zeit lang bleiben. Es sei denn, «Die Schwalbe» holt in der noch verbleibenden Zeit gewaltig auf.

Was nicht einfach wird, denn das Filmprojekt des Regisseurs Mano Khalil («Unser Garten Eden») hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 50 000 Franken müssen bis zum 4. Mai, Mitternacht, an Spenden zusammenkommen. Sonst gilt der Versuch, die kulturübergreifende Liebesgeschichte aus Kurdistan teilweise über die Website wemakeit.ch zu finanzieren, als gescheitert. Die Spendewilligen erhalten dann ihr Geld zurück, und Khalil und sein Produzent Samir müssen auf die bereits zugesicherten 20 955 Franken (Stand 2. Mai) verzichten.

Merke: Im Crowdfunding ist es matchentscheidend, die Spanne zwischen Wunsch und Wirklichkeit richtig einzuschätzen. Wer sich zu hohe Ziele setzt, riskiert, mit leeren Taschen aus- und unterzugehen.

Wenn viele wenig geben

Kultur kostet – und das meist nicht zu knapp. Viele Projekte scheitern bereits, weil das Budget kein Geld für die Werbung übrig liess: Das Publikum bleibt aus. Ohne finanzielle Unterstützung läuft darum wenig. Und so gleicht der Weg vieler Kulturschaffender oft einem Spiessrutenlauf durch die Förderinstanzen. Statt Theater, Musik oder Filme zu machen, schreiben sie umfangreiche Eingabedossiers und klopfen damit an die Türen von Gemeinden, Kantonen, dem Bund, Stiftungen oder privaten MäzenInnen. Mit Crowdfunding öffnet sich ein – scheinbar – neuer Weg, der zudem über einen ganz eigenen Unterhaltungswert verfügt.

Seit Beginn des Jahres wurden in der Schweiz mehrere Internetportale aufgeschaltet, auf denen Kulturschaffende ihre Projekte vorstellen können, um so die Unterstützung der grossen Webgemeinde anzuzapfen. Ganz nach dem Motto «Kleinvieh macht auch Mist»: Wenn viele wenig geben, kommt am Schluss doch ein erkleckliches Sümmchen zusammen.

Um die Internauten zum Geben zu motivieren, lockt man mit einer unterhaltsamen Projektbeschreibung, einem möglichst überzeugenden Videotrailer – und mit Belohnungen. Wer etwa die Eso-Business-Selbstfindungs-Satire «True Nature» mit dem Höchstbetrag von 5000 Franken unterstützt hätte, wäre unter anderem in den Genuss einer Privatstunde Yoga mit Hannes Glarner und Anna Tenta gekommen, ausserdem wäre man mit den beiden Theaterschaffenden essen gegangen und hätte bis zu 200 FreundInnen zu einer Privatvorstellung einladen dürfen. Auf der anderen Seite des Spektrums konnte man die Tournee des ebenso zeitgeistig-aktuellen wie humorvollen Kleintheaters auch mit dem Mindestbetrag von fünf Franken unterstützen und erhielt dafür das Versprechen, in eine Meditation eingeschlossen zu werden. Auch bei «Die Schwalbe» winkt vom handsignierten Drehbuch über DVDs bis zur Nennung als KoproduzentIn ein breit gefächertes «Goodies»-Angebot.

Erste Versuche, die grosse Masse über Kleinstbeträge an einem Projekt zu beteiligen, gab es schon 1937. Nicht aus finanziellen Überlegungen, sondern aus politischer Überzeugung wurde «La Marseillaise» von Jean Renoir über eine öffentliche Subskription finanziert. In der «Neuen Zürcher Zeitung» schrieb Siegfried Kracauer am 26. April jenes Jahres: «Dieser Film, so ungefähr argumentiert Renoir, darf kein Produkt der Branche sein, denn er ist eine Angelegenheit der Nation; und da er sich an die republikanisch gesinnten Massen wendet, muss er auch durch die Massen zustande kommen. (…) Tatsächlich ist die Emission von Anteilen in der mikroskopisch geringen Höhe von zwei Francs projektiert. Sowohl den Kinobesitzern wie den Kinobesuchern werden die Zwei-Franc-Anteile als Zahlungsmittel dienen: jenen beim Bezug des Films, diesen beim Eintritt in alle Kinos, die ihn spielen.»

Die moderne Version des Konzepts entstand um die Jahrtausendwende in den USA, wo es wegen der zunehmenden Raubkopien immer schwieriger wurde, Produktionsgelder für eine eigene CD zu finden. Auf der Crowdfundingplattform artistshare.com war es MusikerInnen erstmals möglich, ein Album zu finanzieren, noch bevor es aufgenommen war – im Oktober 2003 wurde das erste Projekt realisiert. Über das europäische Pendant sellaband.com, das 2006 online ging, konnten schon über achtzig Bands ihre erste CD produzieren, und bereits über 20 000 Projekte wurden bei der 2009 gegründeten US-Website kickstarter.com vorgestellt, davon 11 000 erfolgreich vorfinanziert.

Am meisten Aufsehen im europäischen Umfeld erregte die Crowdfundingaktion für die Kinoverfilmung der deutschen Fernsehserie «Stromberg» im letzten Dezember: Innerhalb einiger Wochen sammelten über 3000 SpenderInnen eine Million Euro, damit die Kultserie das Licht der Leinwand erblicken kann. Die Dreharbeiten sollen noch dieses Jahr beginnen.

Die Sache ist ansteckend

In der Schweiz war wemakeit.ch von Rea Eggli, Johannes Gees und Jürg Lehni die erste Crowdfundingplattform für Kulturprojekte – nach mehreren privaten Initiativen, einzelne Filmprojekte über Internetschwärme zu finanzieren. Seit Mitte Februar dieses Jahres haben Romano Strebel und Christian Klinner, die Gründer des erfolgreichen «Stadtmagazin-Newsletters» ronorp.ch, mit dem weniger kulturspezifischen 100days.ch nachgezogen. Bereits buhlen hier gegen siebzig Projekte und Veranstaltungen um die Gunst der Unterstützenden, von denen knapp zehn Prozent ihr selbst gestecktes Finanzierungsziel erreicht haben.

Allen Crowdfundigplattformen gemeinsam ist, dass allein schon die Anwesenheit eines Projekts auf der Website dessen Bekanntheitsgrad beträchtlich erhöht. Und ansteckend ist die Sache auch: Wer sich ein Projekt auf wemakeit.ch oder 100days.ch anschaut, klickt rasch auch auf die anderen dort hochgeladenen Videos – ein ähnlicher Effekt wie beim Anschauen von youtube.com und diversen Social-Media-Plattformen, nur dass man hier aktiv mithelfen kann, Ideen Gestalt zu verleihen, die man für unterstützenswert hält. So werden Menschen, die sich das sonst nie leisten konnten, plötzlich zu Doppel- oder gar DreifachmäzenInnen. Denn bei Beiträgen weit unter hundert Franken ist es nicht allzu ruinös, an einem Projekt beteiligt zu sein.

Übrigens: In der Schweiz ist mit c-crowd.com nun die erste Crowdfundigplattform für junge Unternehmen gestartet. Hier können «Company-Projekte», «Charity-Projekte» oder «Campus-Projekte» einer breiten Masse vorgestellt und InvestorInnen gefunden werden. Das allerdings nennt sich dann bereits «Crowdinvestment» und hat mehr mit Kapitalbeteiligung als mit Kulturbeflissenheit zu tun.

«True Nature» in: Zürich, Restaurant Weisser Wind, So, 6. Mai 2012, 19 Uhr, Mo, 7., bis Do, 10. Mai 2012, 20 Uhr, So, 13. Mai 2012, 19 Uhr, Mo, 14., bis Do, 17. Mai 2012, 20 Uhr. www.weisserwind.ch