Durch den Monat mit Veronika Jaeggi (1): Wie war das, als Sie aus der Wüste kamen?

Nr. 18 –

Veronika Jaeggi war im Frühling 1979 grad erst von einer Reise in die Sahara nach Solothurn zurückgekehrt, als sie einen folgenschweren Auftrag annahm. Daran arbeitet die Geschäftsleiterin der Solothurner Literaturtage noch heute.

Veronika Jaeggi vor der Genossenschaftsbeiz Kreuz: «Solothurn ist eine Kleinstadt, wo man sich gezwungenermassen immer wieder über den Weg läuft.»

WOZ: Veronika Jaeggi, Sie sind seit den ersten Solothurner Literaturtagen 1979 massgeblich dafür verantwortlich, dass alles gut über die Bühne geht. Ihre Liebe zur Literatur muss unerhört sein …
Veronika Jaeggi: Die Literaturleidenschaft packte mich in unserer kleinen Dorfschulbibliothek. Ich bin auf einem Bauernhof im solothurnischen Kriegstetten aufgewachsen. Da hatten wir ausser einer Hausbibel und einem Landwirtschaftsratgeber keine Bücher. Als ich in der Schulbibliothek alles gelesen hatte, schlich ich mich als jugendliche Ausleihhilfe in die Pfarrbibliothek ein, um an die Erwachsenenbücher zu kommen. Mit dem ersten Lohn als KV-Stiftin trat ich gleich zwei Buchklubs 
bei und erhielt jeden Monat Bücher zugestellt. Meine Dostojewski-Dünndruckausgabe stammt noch von da. Und als ich die Lehre abgeschlossen hatte, ging ich in die Buchhandlung Lüthy arbeiten. Wenig später leitete ich die Taschenbuchabteilung. Das war 1966.

Da waren Sie zwanzig.
Ja, und ich blieb bis 1971. Aufgehört habe ich, weil ich zu wenig Zeit zum Lesen hatte. Denn es gab immer mehr Verlage, die immer noch mehr Taschenbücher herausgaben. Für mich aber galt: Eine richtige Buchhändlerin kennt jedes Buch, das sie verkauft. Ich ging jeweils über Mittag mit einem Bücherstapel in ein Café und las mich oberflächlich durch die Neuerscheinungen. Nach fünf Jahren befriedigte mich das nicht mehr, und ab da verdiente ich mein Brot in Bibliotheken. Dort hatte ich mehr Zeit zum Lesen …

Aber der Lesehunger war nicht gestillt …
Es ging ja nicht nur um Literatur. Anfang der siebziger Jahre herrschte gesellschaftspolitisch Aufbruchstimmung. So war ich auch bei der Gründung der Genossenschaftsbeiz Kreuz dabei und machte dort die Buchhaltung, war «Hausmutter» im ersten Jugendberatungszentrum Solothurn, betreute eine Vorschulkontaktstelle und eine Galerie. Das «Kreuz», die erste Genossenschaftsbeiz in der Deutschschweiz, war Treffpunkt für linke Kultur- und Politikinteressierte bis weit über die Region hinaus.

Und dann sollten im Städtchen neben den Filmtagen gleich auch die landesweit wichtigsten Literaturtage stattfinden?
Solothurn ist eine Kleinstadt, überschaubar, wo man sich gezwungenermassen immer wieder über den Weg läuft. Ein idealer Ort für Begegnungen – daher rührt teilweise auch der Erfolg der Literatur- und auch der Filmtage.

Und wie kam es zur Gründung der Literaturtage?
Wahrscheinlich haben sich während der Filmtage im Januar 1978 einige Schriftsteller im «Kreuz» gefragt, warum es so eine Werkschau nicht auch für die Literatur gibt. Sie sprachen mit weiteren Literaturinteressierten, mit Buchhändlern und Lehrern. Und wie das so geht in der Schweiz: Wenn man eine Idee hat, gründet man einen Verein. Im August 1978 war es so weit. Dabei waren die Solothurner Schriftsteller Otto F. Walter, Rolf Niederhauser, Fritz Dinkelmann, Peter Bichsel und Ernst Burren sowie Franz Hohler. Walter war der Motor.

Eine sehr männliche und auch lokale Angelegenheit …
Unter den 39 Gründungsmitgliedern waren immerhin 10 Frauen. Und von Anfang an waren Autorinnen und Autoren aus der ganzen Schweiz involviert. Die Präsenz der vier Landessprachen wurde statutarisch festgeschrieben. Monique Laederach aus der Romandie oder Giovanni Orelli aus dem Tessin waren bei der Gründung dabei. Ein rätoromanischer Autor wie Leo Tuor wurde erstmals in Solothurn einem grösseren Publikum bekannt, lange bevor er übersetzt wurde.

Damals gab es ja noch zwei Schriftstellerverbände. Ein paar Jahre zuvor hatte sich die Gruppe Olten vom Schweizerischen Schriftstellerverband abgespalten. Von beiden Verbänden war je eine Person in der unabhängigen Programmkommission vertreten, neben Literaturkritikerinnen und Wissenschaftlern.

Und wie wurden Sie zur Geschäftsleiterin?
Im Herbst 1978 machte ich mich auf eine Afrikareise. Die längste Zeit verbrachte ich bei den Tuareg im südlichen Algerien. Kaum war ich im März 1979 wieder zurück, kamen Noldi Lüthy, der Buchhändler, und Rolf Niederhauser, der Schriftsteller, auf mich zu und sagten: «Nun bist da ja wieder da und hast noch keinen Job. Das erste Programm ist zusammengestellt, die Programmkommission hat die Autoren eingeladen, und der Bund hat 25 000 Franken gesprochen. Jetzt brauchen wir jemanden, der das Programm schreibt und kopiert und verschickt.»

Und dann?
Habe ich mich an meine Hermes gesetzt und zu den 27 Autorenlesungen, vier Werkstätten und zum Podiumsgespräch ein «Progrämmli» zusammengestellt: Namen, Jahrgänge, Titel. Zwei A4-Bögen, acht Schreibmaschinenseiten. Das habe ich tausendmal fotokopiert und an die 500 Adressen verschickt, die die Gründungsmitglieder zusammengetragen  hatten. Heute versenden wir ein 58-seitiges Programmheft an über 8000 Adressen. Ja, und dann kamen sie schon, die vielen Leute …

Veronika Jaeggi (64) ist seit 1979 Geschäftsleiterin der Solothurner Literaturtage. 
Die 34. Ausgabe vom 18. bis 20. Mai 2012 ist 
ihre Dernière. Auf Ende Juni übergibt 
sie ihr Amt Bettina Spoerri.

Mitarbeit: Cornelia Brunnschweiler