Kost und Logis: Zuppa-Revolution

Nr. 18 –

Nicole Ziegler über essbare Rettungsanker an schwierigen Vernissagen.

Ich stehe im zuckenden Licht, aus dem Lautsprecher neben mir dröhnt elektronischer Lärm, und ich halte mir mit geschlossenen Augen die Ohren zu. Wenn ich kurz die Augen öffne, sehe ich zwischen den Lichtblitzen an der Wand Bilder eines Films, der so schnell geschnitten ist, dass ich nicht in der Lage bin, darin einen Sinn zu erfassen. «Geil, was!?», schreit mir meine Freundin Nora ins zugestöpselte Ohr. Ich sage nichts und verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse. Probeweise nehme ich einen Finger aus dem linken Ohr – es zurrt, surrt, piepst und pfeift ohrenbetäubend. Ich stecke den Finger wieder ins Ohr und denke an meinen Vater, der mir einmal eine Fehlfunktion seines Hörgeräts beschrieben hat. Dieses zurrt, surrt, piepst und pfeift, wenn seine Frau mit ihm spricht, weil ihre Stimme dummerweise eine Frequenz hat, die sein Hörgerät nicht verträgt. «Trinkst du was?» Nora zerrt mich am Arm Richtung Bar. Ich stolpere mit, durch all die Menschen, die verzückt auf die Bilderflut schauen und sich mit einem Bier in der Hand Kommentare zuschreien.

An der Bar sind kaum Leute, das Licht zuckt hier nicht, sondern die Theke wird von einer normalen Glühbirne beleuchtet, was mich ein wenig entspannt. Endlich kann ich normal gucken, und dabei entdecke ich neben der Bar eine weitere Bar, auf der aber keine Getränke oder Gläser stehen, sondern grosse Einmachgläser, die mit Pasten in den unterschiedlichsten Farben gefüllt sind. Hinter den Einmachgläsern stehen zwei gut gelaunte Mädels und schauen mich erwartungsvoll an. «Was ist das denn?», frage ich sie und stelle mich vor die Gläser. «Das Pinke hier ist die Barbabietola, eine Randen-Kartoffel-Knoblauch-Paste, das Grüne ist die Guacalette, eine Avocado-Limetten-Paste, und dieses Komischfarbene ist die Pomgorucca, eine Gorgonzola-Mascarpone-Apfel-Paste …» Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. «Ja gut, ja gut», sage ich und bestelle mir drei Brötchen mit drei verschiedenen Pasten drauf.

Ich schaue den beiden auf die Finger, und vor meinen Augen verwandeln sich schnöde Scheiben Brot in farbenfrohe essbare Kunstwerke, verziert mit bordeauxroten Sprossen, Dattelstücken und Baumnüssen. Ich beisse in das erste Brötchen. In meinem Mund schmecke ich Süsses mit einem leichten Stich Knoblauch, und eine gerade noch nicht boshafte Schärfe kneift in meine Zunge. Ich bin entzückt und habe plötzlich gute Laune. «Schöne Musik, was?», sage ich deshalb zu den beiden Brötchenzauberinnen. Die beiden grinsen mich fassungslos an. «Das meinst du doch nicht ernst, oder?» Ich grinse zurück und schaue auf die Schürzen, die sich die beiden um die Hüfte gebunden haben: «¡Viva la Zuppa Revolución!» steht da drauf. So fängt eine neue Liebe an, denke ich und finde alles Weitere unter www.mamazuppa.ch.

Nicole Ziegler lebt und isst hauptsächlich 
in Bern und müsste sich anstatt nur ums 
Essen eventuell ein bisschen mehr um ihr Kunstverständnis kümmern.