Ein fiktiver Brief: Werter Herr Verleger …

Nr. 19 –

Mit oder ohne Preisbindung: Die Krise in der Verlagsbranche zeigt sich auch im Verschwinden der Lektorate. Mit fatalen Folgen für AutorInnen. Fiktiver Brief eines Autors an einen Verleger – vor durchaus realem Hintergrund.

Ihre unmissverständliche Antwort auf meine Anfrage, wann ein Platz im Verlagsprogramm für meinen neuen Gedichtband frei sei, hat mich dann doch überrascht. Vielleicht bin ich immer noch nicht ganz im knallharten Business unserer Tage angekommen. Wenigstens weiss ich nun, woran ich bin: dass Sie mit mir, dem wenig verkaufsträchtigen Autor, nicht weiter planen, dass ich ohne Verlag bin. Wieder einmal, zum dritten oder vierten Mal in meinem Autorenleben.

Wenn ich nun von der für Veranstaltungen zuständigen Person im Verlag nach Erscheinen meines Gedichtbands achtzehn Monate lang trotz wiederholter Zubringerarbeiten nichts mehr höre, dann finde ich schon, dass da die Unterstützung des Verlags fehlt, zumal bei einem Gedichtband, der viel mehr noch als Prosa auf Hilfe angewiesen ist. Bei so viel Outsourcing, bei dermassen knapp bemessenen Stellendeputaten kommen zumindest die Autoren unter die Räder, deren Bücher sich nicht mehr oder weniger von alleine verkaufen. Darauf genau, dass sich Bücher von alleine verkaufen, weil ihre Autoren ein trendiges Thema besetzen oder ein regionales oder einfach mehr Glück haben als andere, scheint Ihre Geschäftspolitik hinauszulaufen.

Ich weiss, dass Sie mir jetzt mit den Kosten kommen. Aber ich leide, wenn ich gezwungen bin, meine Klappen- oder Vorschautexte selber zu verfassen, mindestens so wie Sie bei der Akquisition von Druckkostenzuschüssen. Es ist mir zutiefst peinlich, für mich selbst werben zu müssen. Dieses Geschäft oblag in früheren Zeiten zu Recht dem Verlag. «Verleger» bedeutet ja ursprünglich, etwas «auf seine Rechnung nehmen». Auf ihre Rechnung nehmen Verlage heutzutage nur noch das Allernotwendigste: die Herstellung der Vorlagen und den Druck.

Vielleicht möchten Sie mir entgegnen, dass ich von einer untergegangenen heilen Verlagswelt träume. Ich würde Ihnen entgegnen, dass sich die Branche diese Misere zu einem Gutteil selbst zuzuschreiben hat und vor allem die Autoren unter ihr leiden – bei der Qualität des Lektorats, der Bewerbung ihrer Bücher und nicht zuletzt bei den Honoraren. In den Nachkriegsjahren galt die Maxime, ein gebundenes Buch solle so viel kosten wie ein Paar Schuhe. Wer würde heute hundert Euro oder mehr für ein Buch ausgeben?

Gut, es hat seither technische Innovationen gegeben, allerdings haben die auch in der Schuhindustrie stattgefunden. Und dann kam das Taschenbuch, ein Segen zwar fürs Portemonnaie von Schülern und Studenten. Andererseits hat dies dazu geführt, dass die Lebensdauer gebundener Ausgaben nur noch fünf Monate beträgt. Wessen Buch es bis dahin nicht in ein Taschenbuch geschafft hat, ist als Autor weg vom Fenster.

Der allerschwerste Sündenfall indessen ist die gestaffelte Rabattierung der Bücher durch die Verlage. Während eine normale Sortimentsbuchhandlung, in der ausgebildete Buchhändlerinnen und Buchhändler den Kunden beraten, 33 Prozent Rabatt bekommt, kann dieser bei Buchhandelsketten auf über 60 Prozent steigen. Der Druck der Ketten ist gross: Wenn der Verlag seinen Rabatt nicht erhöht, liegen seine Bücher nicht mehr an prominenter Stelle oder überhaupt nicht mehr im Geschäft. Also lieber zwei Paletten Bestseller vor die Ladentür als zwei Exemplare eines anspruchsvollen Buchs im Keller.

Ich habe es ja erlebt, dass das, was ich schreibe, unterdessen als «literarische Literatur» gilt. Dieser Euphemismus bedeutet wohl: schwer verkäuflich. Und im Umkehrschluss ist Literatur ohne diesen Zusatz leicht verdaulich, unliterarisch, minderwertig, verkäuflich. Es soll ja Verlage geben, die bei der Beurteilung eines Manuskripts Nebensätze zweiten Grades mit Minuspunkten bewerten. Dass durch die Rabattierung auch in Deutschland der feste Ladenpreis, den die Verleger als hehres Schutzschild vor sich hertragen, längst beerdigt ist, kommt hinzu. Er sollte ja dazu dienen, die Versorgung mit Büchern flächendeckend sicherzustellen. Darum foutieren sich die Verlage längst schon. Dieser Kniefall geht auf Kosten der Autoren: Das Regelhonorar von 10 Prozent vom Ladenpreis, das die Schriftstellerverbände im deutschsprachigen Raum einst durchgesetzt hatten, ist längst Makulatur.

In Ihrem wie in vielen mittleren Verlagen gibt es schon lange kein Lektorat mehr. Keines meiner bei Ihnen erschienenen Bücher ist begutachtet worden. Der Verleger als Patron entscheidet alleine über die Annahme eines Manuskripts. Der Rest verliert sich im Ungefähren. Vielleicht blättert der Verlagsassistent noch mal im Manuskript. Das nicht stattgefundene Lektorat wird auf den Hersteller überwälzt. Ihm, dem outgesourcten Kleinunternehmer, ist der Autor auf Gedeih und Verderb anheimgegeben. Dabei wäre das Lektorat das Herzstück eines Verlags. Es allein kennt dessen Programm und Autoren, also dessen Kapital. Es ist mir unvorstellbar, wie man um die Qualität eines Werks wissen soll, ohne das Manuskript lektoriert zu haben.

Ohne Lektorat kann der Verlag den merkantilen Misserfolg eines Buchs immer dem Autor in die Schuhe schieben. Mit intakten Lektoraten hingegen müsste die Branche nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Digitalisierung starren. Der lektorierte Lexikonartikel stellt den Mehrwert gegenüber Wikipedia dar. Facebook oder Wikipedia sind, wenn Nachprüfbarkeit und verschriftete Qualität gefordert sind, letztlich scheindemokratisch.

Verlage, durchaus auch renommierte, betreuen schon lange nicht mehr Autoren und ihr Werk. Sie kaufen ein Manuskript als Halbprodukt zum niedrigsten aussertariflichen Preis und hoffen, es als Ware ohne grösseres Zutun mit möglichst hoher Gewinnmarge loszuschlagen. Dass diese Margen nicht jenen entsprechen, die verlagsfremde Investoren gewohnt sind, mussten in den letzten zwanzig Jahren einige Verlage schmerzlich erfahren, indem sie pleitegingen oder verlorenes Terrain durch den Abbau ihrer Lektorate und den Umstieg auf nicht literarische Literatur wiedergutmachen mussten. Die Verlagsbranche ist nur mehr ein Abbild der neoliberalen Gesellschaft und ihrer schwindenden Demokratie, der Trennung von Reich und Arm, Bestsellerautoren und Heimarbeiterinnen. Ihren kulturellen und intellektuellen Status sollten wir ihr schleunigst aberkennen.

Jochen Kelter (65) lebt in Ermatingen und Paris. 
Er ist Autor zahlreicher Erzählungen, Romane, Gedichte, Essays, Stücke und Kolumnen.

Der letzte Gedichtband, «Eine Ahnung von dem was ist», erschien im Verlag Klöpfer & Meyer. Tübingen 2009. 118 Seiten. Fr. 23.50.

Soeben erschienen: «Der Sprung aus dem Kopf. Essays und Texte 1981–2011». Allitera Verlag. München 2012. 224 Seiten. Fr. 32.90.

Am Donnerstag, 10. Mai 2012, um 20 Uhr spricht Kelter im Bodman-Haus in Gottlieben mit WOZ-Redaktor Stefan Keller über sein neues Buch.