Fussball und andere Randsportarten: Der Irrsinn von Düsseldorf

Nr. 21 –

Etrit Hasler zur zunehmenden Paranoia im Umgang mit Fussballfans

Wenn Sie sich nur bedingt für deutschen Fussball interessieren, dann haben Sie vielleicht eine der bizarrsten Debatten über Gewalt verpasst. Wenn ich Ihnen die Fakten ganz kurz zusammenfassen darf: Am 15. Mai spielten Hertha BSC aus Berlin und der FC Fortuna Düsseldorf um die Relegation zwischen der Ersten und der Zweiten Bundesliga – das, was man in unserer Sprachregion mit dem schweizerdeutschen Wort «Barrage» bezeichnet. Als Fan von Underdogs setzte ich mich tatsächlich vor den Fernseher, um mir dieses Spiel anzusehen, immerhin ging es um das Duell zwischen dem unsympathischen Grossklub aus der deutschen Hauptstadt einerseits und jenem sympathischen Kleinverein andererseits, der wohl als einziger in der Geschichte des deutschen Fussballs eine Punkband, die Toten Hosen, als Hauptsponsor auf den Trikots getragen hatte. Nun gut, so sympathisch sind die Toten Hosen auch wieder nicht, und die meisten Fans der Fortuna Düsseldorf kommen leider aus Düsseldorf, aber die Verhältnisse waren klar – wie die meisten Schweizer bin ich fast häufiger gegen eine Mannschaft als für eine.

Das Spiel selbst war gar nicht mal so schlecht – ich hatte mir eine üble Abwehrschlacht vorgestellt, stattdessen bekam ich aufgeregten Angriffsfussball zu sehen –, zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, den die Medien in den Tagen danach als «die Schande von Düsseldorf» bezeichnen sollten: Kurz vor Ende der nicht enden wollenden Nachspielzeit stürmten die Düsseldorfer Fans den Rasen. Zu Hunderten. In der festen Überzeugung, das Spiel sei bereits abgepfiffen, der Aufstieg geschafft und die Fortuna zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren wieder in der obersten deutschen Liga angekommen.

Ich muss zugeben, das Ganze sah ziemlich wild aus: Schiedsrichter und Spieler stürmten in die Kabinen, die Stimme des Stadionsprechers überschlug sich, während er versuchte, die eigenen Fans davon zu überzeugen, dass die Partie noch nicht abgepfiffen sei, und die Fernsehkommentatoren schüttelten höchst verbal die Köpfe darüber, wie schlimm es doch sei, dass die Gewalt nicht aus den Stadien zu bekommen sei. Dazu muss man fairerweise festhalten, dass es beim Abstieg des 1. FC Köln nur wenige Tage zuvor tatsächlich zu wüsten Szenen gekommen war, nach denen die Tribüne des Rhein-Energie-Stadions aussah, als sei darunter gerade der Ätna ausgebrochen. Und ja, auch bei mir wurden in Düsseldorf für einen ganz kurzen Moment Bilder des grossen Fussballmassakers von Port Said in Ägypten wach.

Das war der Moment, in dem ich mich schämte. Denn was in Düsseldorf vor sich ging, war ganz normal. Hier stürmten keine «Chaoten» den Platz, sondern Menschen, die sich so sehr mit ihrem Verein, mit dem ewigen Leiden und Verlieren identifizierten, dass es einfach aus ihnen herausbrach. Sie rannten aufs Feld, um zu feiern. Mit ihrer Mannschaft, mit ihren Funktionären, miteinander. Ein Fan (zugegebenermassen nicht der hellste angesichts der laufenden Fernsehkameras), der den Penaltypunkt mit blossen Händen ausgrub, als Erinnerungsstück an diesen für ihn so einzigartigen Moment. Fans, die den Sicherheitskräften freudentränenüberströmt um den Hals fielen – was diese so sehr verwirrte, dass sie vergassen, ihr Tränengas einzusetzen. Weit und breit keine Gewalt. Anzahl Verletzte am Abend: null.

Das Spiel hat im Nachhinein gewaltig zu reden gegeben. Die unterlegene Hertha BSC hat Rekurs eingereicht, da ihre Spieler «unter Todesangst» gelitten hätten. Das glaube ich denen sogar. So sehr sind wir alle schon überzeugt, dass Fussballfans zu gar keiner anderen Aktion imstande sind, als dreinzuschlagen und Dinge anzuzünden. Doch Gewalt gab es an jenem Abend keine. Zumindest nicht vonseiten der Düsseldorfer Fans. Allerdings hat inzwischen der Schiedsrichter des Spiels Strafanzeige gegen Spieler von Hertha eingereicht. Diese seien beim Unterbruch des Spiels auf den Schiedsrichter losgegangen.

Etrit Hasler hat grundsätzlich mit allen Mühe, die die Angst zum Primat ihrer Handlungen machen. Und wenn Ihnen der Satz zu intellektuell ist, dann lesen Sie die falsche Zeitung.