Enzyklopädie zeitgenössischer Irrtümer (11): Familie (als Hobby zu betreiben)

Nr. 22 –

Erstaunlich viele Schweizer Politiker geben in ihren Steckbriefen die Familie als Hobby an. Damit entlarven sie sich selbst.

Endlich Feierabend. Herr P. verlässt nach einem anstrengenden Arbeitstag das Büro, steigt in sein Auto und fährt los. Montags geht er jeweils mit Kollegen Golf spielen, mittwochs trinkt er ein Bier im «Hirschen» mit alten Verbindungsfreunden – doch am Dienstagabend ist er voll und ganz für seine Familie da. Freudig stellt Herr P. den CD-Player an, «Mueter sorg di nümm, ’s chunt sicher guet, du bisch nöd elei», singt er mit Adrian Stern und nimmt die Kurven heute besonders dynamisch.

Er freut sich auf seine Frau. Wie jeden Dienstagabend wird sie ihn in einem hübschen Rock empfangen, die Haare hochgesteckt, auf den Wangen ein bisschen Rouge (sie weiss, dass er das mag). Sie werden sich einen schnellen Kuss auf die Lippen geben, während im Hintergrund die beiden pausbäckigen Kinder brav warten. Der Junge trägt ein gebügeltes Hemd, das Mädchen eine rote Schleife im Haar. Sie werden ihren Vater freudig begrüssen, ihm von ihrem Tag erzählen. Dann werden sie sich artig an den gedeckten Tisch setzen, und seine Frau wird ein leckeres Abendessen servieren. Später, wenn seine Frau die Kinder ins Bett gebracht hat, wird er noch einen Whisky trinken, während sie seine Schultern massiert und ihn nach seinem Tag fragt.

Ja, Herr P. hat Glück: Er hat zwei brave Kinder und eine hübsche und tüchtige Frau, die ihm den Rücken frei hält. Das ist enorm wichtig für ihn und seine Karriere. Denn Herr P. muss viel arbeiten, ist erfolgreich und gut verdienend – was natürlich auch seiner Frau zugutekommt, zahlt er ihr doch ein überaus grosszügiges Haushaltsgeld aus (manchmal erhält sie sogar ein kleines Extra). Im Schoss seiner Familie findet Herr P. Ruhe, Erholung und Entspannung, und er kann Energie tanken. Nur logisch also, dass Herr P., wenn er nach seinen Hobbys gefragt wird, neben Golf auch seine Familie angibt.

Herr P. ist damit nicht alleine: Erstaunlich viele Schweizer Politiker geben in ihrem Steckbrief die Familie als Hobby an. In der FDP ist es besonders beliebt. Doch es kommt auch in der SVP, der CVP und in der EDU vor.

Ob ihr Familienleben so aussieht wie jenes von Herrn P.?

Ein Hobby ist gemäss Wörterbuch «eine Tätigkeit, der man sich nicht aus Notwendigkeit, sondern freiwillig und aus Interesse, Faszination oder sogar Leidenschaft unterzieht und die Vergnügen, Spass und Lustgewinn mit sich bringt». Das Praktische für Hobby-Väter ist, dass sie sich um nichts kümmern müssen, das ihnen keinen Spass bereitet – und davon gibt es im Familienleben ja doch einiges: Wäsche waschen, Böden fegen, in der Migros an der Kasse zwängelnde Kinder vom Boden aufnehmen, die Küche aufräumen, schreienden Kindern die Zähne putzen, sich prügelnde Geschwister trennen, verschissene Kinderpos putzen, mitten in der Nacht weinende Kinder beruhigen, angemalte Wände putzen, verkotzte Betten frisch anziehen – seien wir ehrlich, der Lustgewinn, das Vergnügen und der Spass bei all dem ist verdammt klein.

Doch weil der Herr P. in seinem Selbstverständnis ein Hobby-Papa ist, fühlt er sich hier gar nicht zuständig. Und sollte es ihm mit seiner Freizeitfamilie doch einmal zu ungemütlich werden, kann er ja einfach das Hobby wechseln.

Bei den oben genannten Parteien scheint das Wort «Gleichberechtigung» einen hohen Stellenwert zu haben. So liest man auf der Website der EDU: «Gleichberechtigung bedeutet für uns, dass jede Person, unabhängig vom Geschlecht, das Recht auf freie Entfaltung hat»; die SVP behauptet: «Mann und Frau sind gesellschaftlich und beruflich gleichgestellt»; die CVP glaubt: «Die CVP ist die Familienpartei. Sie macht sich auf allen Ebenen für eine familienfreundlichere Schweiz stark», und die FDP verlangt die «Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf».

Tatsache ist: In der Schweiz tragen noch immer drei Viertel der Frauen, die in Paarhaushalten mit Kindern unter fünfzehn Jahren leben, die Hauptverantwortung der Hausarbeit ganz alleine. Und solange es noch Politiker gibt, die glauben, sie könten als ihr Hobby ihre Familie angeben, wird sich in dieser Hinsicht nichts ändern.