Pakistan und die USA: «Wir sind hier am Ende unserer Geduld»

Nr. 24 –

Streit um eine vitale Nato-Nachschubroute, um Drohnenangriffe und einen CIA-Helfer: Die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan sind auf einem Tiefpunkt.

Doktor Ahmed Khan Momand steht zwischen verstaubten Möbeln in seiner bescheidenen Privatpraxis in Peshawar. An den bröckelnden Wänden hängen Aufrufe zum Beten. «Die sogenannte Polio gibt es gar nicht», sagt der Mediziner mit langem Bart und weissem Gebetshut: «Das ist eine Erfindung der westlichen Ungläubigen, um Muslime zu schwächen.» Polioimpftropfen machten impotent, meint der Doktor.

Polio, oder Kinderlähmung, ist im Westen eine schon fast vergessene Krankheit. Pakistan jedoch ist eines von nur drei Ländern der Welt, in denen jedes Jahr neue Fälle auftauchen. Das Misstrauen gegen vom Westen finanzierte Impfkampagnen ist gross. Neu geschürt hat es der Arzt Shakil Afridi: Im Auftrag des US-Geheimdiensts CIA versuchte er letztes Jahr, mit einer fingierten Impfaktion an DNS-Proben von Usama Bin Ladens Familie zu kommen.

Dafür wurde er jüngst von einem Stammesgericht im Nordwesten Pakistans zu 33 Jahren Haft verurteilt. Während Afridi in seiner Heimat als Verräter gilt, sehen ihn die USA als Helden und fordern seine Freilassung. Das belastet die bilateralen Beziehungen.

Auch die regelmässigen US-amerikanischen Drohnenangriffe an der Grenze zu Afghanistan bringen die Bevölkerung gegen die USA auf. Pakistans PolitikerInnen bezeichnen die Angriffe als Verletzung nationaler Souveränität und beklagen die zivilen Opfer. So protestierte die Regierung lautstark nach einem Drohnenangriff in Nordwaziristan, durch den letzte Woche die «Nummer zwei» des Terrornetzwerks al-Kaida, Abu Jahja al-Libi, getötet worden sein soll. Die konservativ-religiösen Parteien und radikalislamische Prediger schüren die antiamerikanische Stimmung zusätzlich.

Misstrauen auf allen Ebenen

Die USA hingegen kündigten an, weiterhin unbemannte Flugzeuge gegen Terroristen einzusetzen, die sich in den Stammesgebieten verstecken. Bereits letztes Jahr war Pakistans Militär schwer beschämt darüber, dass es einem US-Spezialkommando gelang, unbemerkt ins Landesinnere einzudringen und Al-Kaida-Chef Usama Bin Laden zu töten. Die Verletzung nationaler Souveränität wog viel schwerer als die Tatsache, dass der meistgesuchte Terrorist der Welt so lange unbehelligt in Pakistan gelebt hatte.

Geschlossene Transportroute

Der bisherige Tiefpunkt im Verhältnis der beiden widerwilligen Alliierten im Kampf gegen den Terror ist Anfang der Woche erreicht worden: Am Montag haben die USA ihre Delegation zurückgerufen, die mit Pakistan über die Wiedereröffnung der Nachschubroute für die Nato-Truppen in Afghanistan verhandelte. Islamabad hatte vor einem halben Jahr den Landweg aus Protest gegen einen Nato-Luftangriff geschlossen, bei dem 24 pakistanische Soldaten getötet worden waren. Neben einem erhöhten Strassenzoll für die Versorgungslastwagen fordert Pakistan, dass sich die USA für den Luftangriff entschuldigen und die Drohnenangriffe auf pakistanischem Gebiet einstellen. Das lehnen die USA ab, obwohl die gegenwärtige Versorgung der Nato-Truppen über die nördlichen Nachbarländer Afghanistans mehr als doppelt so hohe Kosten verursacht wie über Pakistan. Die pakistanische Regierung will hingegen eine unpopuläre Massnahme wie die Wiedereröffnung der Route nicht verantworten, denn im nächsten Februar stehen Wahlen an.

Auch US-Präsident Barack Obama will offenbar nicht als Weichling dastehen. Fast tägliche Drohnenangriffe und zunehmend schärfere Töne aus Washington sind Signale erhöhten Drucks auf Islamabad. US-Verteidigungsminister Leon Panetta forderte Pakistan letzte Woche mit deutlichen Worten auf, endlich entschieden gegen Terrorgruppen im Grenzgebiet zu Afghanistan vorzugehen: «Wir sind hier am Ende unserer Geduld», sagte er und bezog sich auf das in den Stammesgebieten beheimatete Haqqani-Netzwerk, das in Zusammenarbeit mit al-Kaida und den Taliban regelmässig spektakuläre Anschläge in Afghanistan verübt. Islamabad wies Washingtons Vorwurf zurück, das Terrornetzwerk gewähren zu lassen.

Trotz lauten Krachs hat insbesondere Pakistan Interesse an einer baldigen Normalisierung der Zusammenarbeit mit den USA. Für das wirtschaftlich angeschlagene Land steht viel auf dem Spiel, denn es hängt von milliardenschweren US-Hilfsgeldern ab.