Verhandlungsposition des Südens: «Die Natur ist keine Ware»

Nr. 24 –

Boliviens Verhandlungsführer René Orellana will in Rio die Weltwirtschaft auf Entwicklung statt auf Profite ausrichten.

WOZ: Herr Orellana, was erwartet die bolivianische Regierung vom Rio+20-Gipfel?
René Orellana: Wir erhoffen uns Antworten auf die dringenden Menschheitsprobleme: auf die Armut, die Umwelt-, die Wirtschafts- und die Nahrungsmittelkrise. Das Prinzip der differenzierten Verantwortung muss weiterhin gelten: Die entwickelten Länder müssen die Krise lösen, die sie verursacht haben. Das entspricht der Position der Gruppe der links regierten Länder Lateinamerikas sowie der Gruppe der Länder des Südens und Chinas.

Was bedeutet Ihnen das Konzept der «grünen Wirtschaft»?
Die Uno-Vollversammlung hat im Dezember 2009 beschlossen, den Begriff der «grünen Wirtschaft» zu definieren. Die EU und das Uno-Umweltprogramm haben das sehr geschickt im Sinne der Unternehmen getan. Die Gruppe der Länder des Südens und Chinas sieht das anders. Wir wollen, dass das Recht auf souveräne Entwicklung respektiert wird, dass es verschiedene Modelle geben darf. Für uns ist die grüne Wirtschaft nichts mehr als ein Werkzeug, das die Länder freiwillig übernehmen können. Die Weltwirtschaft muss auf Entwicklung, nicht auf Profit ausgerichtet werden. Die Kleinbauern müssen gestärkt, ihr Saatgut muss geschützt und die Lebensmittelpreise sollen kontrolliert werden. Wir wollen gerechten Handel, die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Die Natur ist keine Ware. Wir setzen uns für das Konzept der «Rechte der Mutter Erde» ein.

Halten Sie die Verabschiedung neuer quantitativer Ziele für nachhaltige Entwicklung für sinnvoll?
Nein, zuerst müssen wir uns über die Prinzipien einigen. Es ist sinnlos, über Ziele zu reden, solange die Umsetzung unklar ist. Dabei muss es um Technologietransfer und Geld gehen – und niemand darf diskriminiert werden.

Erwarten Sie in der jetzigen Lage Zugeständnisse des Nordens?
Schon vor der Wirtschaftskrise in Europa war die Position der entwickelten Länder ziemlich restriktiv. Aber das ist für uns kein Grund nachzugeben.

An der Klimakonferenz von Cancún 2010 hat Bolivien als einziges Land einer windelweichen Abschlusserklärung die Zustimmung verweigert. Kann es sein, dass sich das in Rio wiederholt?
Wir werden bis zur letzten Minute verhandeln, aber natürlich ist auch eine Ablehnung möglich. Allerdings werden wir zusammen mit den anderen links regierten Ländern Lateinamerikas agieren, mit denen wir politische und ideelle Grundüberzeugungen teilen.

Um die «Rechte der Mutter Erde» wird ja auch in Bolivien heftig gestritten. So möchte die Regierung auf Biegen und Brechen eine umstrittene Strasse durch den Indígena- und Naturpark Tipnis führen ...
Die Entwicklung ist sozusagen ein Tisch mit vier Beinen: Trotz der Rechte der Natur und der Indigenen haben die fünfeinhalb Millionen armen Bolivianer einen Anspruch auf die Überwindung der Armut. Der Staat ist verpflichtet, dies durch den Ausbau der Infrastruktur oder die Förderung von Gas und Öl zu bewerkstelligen. Bolivien hängt von Rohstoffen ab. Wir müssen sie fördern – umso mehr, solange der Technologie- und Geldtransfer stockt, der ja nach Uno-Richtlinien vorgesehen ist.

Der Delegationsleiter

René Orellana Halkyer (43) hat in Amsterdam als Anthropologe promoviert, war Wasseraktivist und unter Präsident Evo Morales Wasser- sowie Umweltminister.

Seit 2011 ist Orellana, der ansonsten als Professor tätig ist, Boliviens Delegationsleiter bei den Uno-Klimaverhandlungen und wird das Land nun auch an der Rio+20-Konferenz vertreten.