Kommentar: Markthörig, arrogant und dreist

Nr. 26 –

Bis auf die Linkspartei werden am Freitag alle Fraktionen des Deutschen Bundestags dem europäischen Fiskalpakt zustimmen. Stoppen kann ihn nur noch das Bundesverfassungsgericht.

Wenn es derzeit eine Gruppe gibt, auf die Albert Einsteins Definition von Wahnsinn zutrifft, dann ist es die Mehrheit der deutschen PolitikerInnen: Wer immer wieder das Gleiche tue und andere Ergebnisse erwarte, soll der Physiker gesagt haben, der sei verrückt. Da hat er recht. Denn spätestens seit Heinrich Brünings Notverordnungen Anfang der dreissiger Jahre, mit denen der damalige Kanzler ein drastisches Sparprogramm dekretierte, müsste man in Deutschland eigentlich wissen, wohin strikte Austeritätspolitik führt: in die Verelendung der Massen, in einen Absturz der Mittelschichten, zu einer Entdemokratisierung und einer Stärkung der nationalistischen Rechten. Aber man muss gar nicht so weit zurückblicken. In Irland und Britannien – beide Staaten waren zu Beginn der Finanzkrise 2008 nur gering verschuldet – schlitterte die Wirtschaft aufgrund rigoroser Kürzungen ebenso in die Rezession wie in Spanien oder Portugal, von Griechenland ganz zu schweigen.

Und was macht die deutsche Regierung? Sie will nicht nur das eigene Land in ein enges Sparkorsett zwingen, sie unterwirft auch die europäischen Nachbarstaaten ihrem Credo der bedingungslosen Haushaltskürzung. Und das auch noch dauerhaft: Die Schuldenbremse, Kern des europäischen Fiskalpakts, ist praktisch unkündbar. Selbst wenn sich die Verhältnisse ändern, sollen die Parlamente keinen Ausstieg beschliessen dürfen.

Trotzdem stimmen zwei der drei oppositionellen Bundestagsfraktionen – die der SPD und der Grünen – dem Fiskalpakt zu. Bei Verhandlungen mit der schwarz-gelben Koalition am Wochenende signalisierten die sozialdemokratisch regierten Bundesländer Zustimmung, und am kleinen Sonderparteitag der Grünen am Sonntag befürwortete eine knappe Mehrheit den Antrag der grünen Bundesspitze. Nur die Linkspartei ist geschlossen gegen den Fiskalpakt und den dauerhaften Rettungsfonds ESM (eine Art zweite Bankenrettung) und wird das Bundesverfassungsgericht anrufen. Mit dem Fiskalpakt, so argumentiert sie, verliere der Bundestag sein Haushaltskontrollrecht und damit eines seiner wichtigsten Befugnisse. Das Oberste Gericht teilt offenbar die Sorge über eine schleichende Entmachtung des Parlaments. Jedenfalls hat es den Bundespräsidenten aufgefordert, das Gesetz nicht vor Abschluss seiner Beratungen zu unterzeichnen.

Warum unterstützen SPD und Grüne ein internationales Abkommen, das die beteiligten EU-Staaten völkerrechtlich dazu zwingt, bis 2014 rund 500 Milliarden Euro einzusparen, obwohl die Folgen absehbar sind? In allen Ländern ist die öffentliche Hand mit bis zu fünfzig Prozent an der Wirtschaftsleistung beteiligt. Drastische Haushaltseinschnitte verstärken daher die Krise, die sich mittlerweile auch in Deutschland abzeichnet: Das Steueraufkommen sinkt, das Budgetdezifit steigt, die Staatsschuldenquote nimmt weiter zu. Man habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wesentliche Zugeständnisse abringen können, verteidigen sich SPD und Grüne. Zum Beispiel bei der Finanztransaktionssteuer. Doch der Kompromiss hätte auch aus der Feder der wirtschaftsliberalen FDP fliessen können: Die Regierung werde die Einführung einer solchen Abgabe – die nach Massgabe der EU den Devisenhandel aussen vor lässt und Derivategeschäfte mit gerade mal 0,01 Prozent belastet – «wenn möglich» bis Ende des Jahres prüfen, sofern neun andere Staaten mitziehen und die Steuer für den Finanzplatz und die Versicherungswirtschaft «keine negativen Folgen» hat. Unverbindlicher gehts kaum.

Weshalb diese Kollaboration? Die Antwort ist einfach: Auch die Spitzen der Sozialdemokratie und der Grünen sind zutiefst davon überzeugt, dass nicht der deregulierte Finanzsektor für die Eurokrise verantwortlich ist, sondern die unsolide Finanzpolitik der Staaten. Nur aus dieser Sicht heraus ergibt die Schuldenbremse einen Sinn. Aber diese Sicht ist genauso falsch wie der bei SPD und Grünen weit verbreitete Glaube, dass Wachstum vor allem durch Massnahmen wie die Agenda 2010 aus der rot-grünen Regierungszeit (1998–2005) entsteht: Lohnkürzungen, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Sozialabbau und Privatisierungen. Damit kann man allenfalls andere Volkswirtschaften in Grund und Boden konkurrieren – und auch das nur für kurze Zeit.

Es ist mithin nicht nur die zu Recht gescholtene Angela Merkel, die in Deutschland und Europa einen stramm neoliberalen Kurs fährt. Auch bei Rot-Grün haben vernebelte Köpfe die ökonomische Vernunft auf betriebswirtschaftliches Niveau geschrumpft. Man erhebt den Zeigefinger, doziert oberlehrerhaft und in herablassendem Ton über die Versäumnisse der südlichen Schuldenstaaten und forciert gleichzeitig eine dummdreiste Politik, die ganze Gesellschaften und Generationen ruiniert. Aber ist nicht vor allem die deutsche Exportwirtschaft auf einen Fortbestand der Währungsunion angewiesen? Das schon. Die Rettung des Euro verlangt jedoch mehr als nur kurzfristig-monetaristisches Denken. Dazu ist in Deutschland derzeit jedoch kaum jemand in der Lage, weder in der Politik noch in der Wirtschaft. Denn den Staat, den Friedrich Engels einmal als ideellen Gesamtkapitalisten charakterisierte – den spart man gerade weg.