Sexuelle Gewalt: Als ob das kein Verbrechen sei

Nr. 26 –

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag feiert diese Woche sein zehnjähriges Bestehen, Anfang des Jahres hat er sein erstes Urteil gefällt. Doch sexualisierte Gewalt, die sämtliche bewaffneten Konflikte dieser Welt prägt, wird in Den Haag ignoriert.

In jedem bewaffneten Konflikt werden Menschen vergewaltigt oder sexuell versklavt. Das war im letzten Kongokrieg, der 2003 endete, nicht anders. Im ersten Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs, der jetzt sein Zehn-Jahre-Jubiläum feiert, wurde kürzlich der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga Dyilo der Rekrutierung von KindersoldatInnen schuldig gesprochen. Bereits im Vorfeld des Prozesses waren Zeugenberichte bekannt geworden, wonach Lubanga und seine Milizen Jungen zu Vergewaltigungen gedrängt und Mädchen zu Sexsklavinnen gemacht hatten.

Jeder Konflikt verschärft bestehende Geschlechterrollen: Frauen werden in ihrer Rolle als Mütter als Verkörperung der eigenen Ethnie gepriesen; als Soldatinnen werden sie zu Leibeigenen und zu Geliebten hoher Armeeangehöriger. Die Ethnologin Rita Schäfer, die zu Geschlecht und bewaffneten Konflikten in Afrika forscht, sagt, Rekruten würden teilweise mit Hormontabletten zum Sex animiert, um sich als wahre Männer zu fühlen und ihre Todesangst zu überwinden. Auch Männer würden vergewaltigt, um sie zu unterwerfen und sie zu demütigen. Um ihre Loyalität zu demonstrieren, müssten junge KämpferInnen zudem häufig Gewalt an der eigenen Familie ausüben.

Keine Anklagen

Gegen Ende der Kriege im Balkan, rund um die Jahrtausendwende, hatten viele Frauen das Schweigen gebrochen und vor dem Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Jugoslawien über erlittene Vergewaltigungen geredet. Sie tauschten sich aus, bildeten Kollektive und sagten gegen die Täter aus. In der Folge kam etliches in Gang: Erstmals wurde sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten juristisch thematisiert. Und schliesslich wurde diese Form der Gewalt als Straftatbestand anerkannt.

In sämtlichen Fällen, in denen in Den Haag bisher ermittelt wurde, hat sexualisierte Gewalt eine entscheidende Rolle gespielt. Verhandelt wurde dieser Straftatbestand jedoch selten. Das war im Prozess gegen Lubanga nicht anders: Die sexualisierte Gewalt wurde in der Anklage unter den Punkt «Zwangsrekrutierung» gefasst. Und als der Anwalt einer Zeugin den Antrag stellte, die bestehende Klage aufgrund der Aussage seiner Mandantin zu sexualisierter Gewalt neu zu bewerten, lehnte dies der Chefankläger Luis Moreno Ocampo ab.

«An den Gerichtshöfen gibt es kein Wissen über die Dynamik sexualisierter Gewalt», sagt Monika Hauser, die mit der nichtstaatlichen Organisation Medica Mondiale traumatisierte Mädchen und Frauen in Krisengebieten unterstützt: Viele AnwältInnen und RichterInnen blendeten aus, dass Vergewaltigungen als Kriegstaktik, als Waffe eingesetzt würden. Auch Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Sondertribunals für Jugoslawien, hatte Klagen wegen Vergewaltigung verhindert, um Prozesse zu beschleunigen. Zudem hatten sich Zeuginnen auf dem Heimflug aus Den Haag neben dem Anwalt des Angeklagten wiedergefunden. Die Flüge waren vom Strafgerichtshof gebucht worden.

Wegen fehlender Sicherheitsbedingungen, aber auch aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung verweigern viele Frauen die Aussage – oder sie ziehen sie während des Prozesses zurück. «Die Befragungen sind oft sexistisch, und Frauen fürchten Retraumatisierungen, weil Anwälte oder Staatsanwälte ihnen unterstellen, sie hätten die Täter provoziert», sagt Schäfer. «Viele JustizmitarbeiterInnen haben Vergewaltigungsmythen verinnerlicht.» Die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen werde häufiger in Zweifel gezogen als jene von Männern, bestätigt auch Hauser. «Wirkt eine Frau emotional unbeteiligt, wird ihr nicht geglaubt. Wird sie ohnmächtig oder bricht in Tränen aus, wird die Frage nach der Einschränkung ihres Erinnerungsvermögens gestellt.»

Was bringt Fatou Bensouda?

Häufig tragen jedoch auch Soldaten internationaler Bündnisse wie der Uno dazu bei, die gesellschaftliche Bewältigung nach bewaffneten Konflikten zu unterlaufen. «Etliche Blauhelmsoldaten verhalten sich wie Sextouristen und provozieren durch rassistisches und herablassendes Verhalten die lokale männliche Bevölkerung», sagt Schäfer.

Eine Folge davon: Auch nach dem Krieg bleiben die Netze von Zwangsprostitution bestehen, zum Teil auch, weil ehemalige Kämpferinnen zu überleben versuchen. Die Regeln, die von der Uno dagegen erlassen wurden, sind weitgehend wirkungslos. Hauser fordert deshalb, dass Soldaten für dieses Thema sensibilisiert und bei Verstössen sanktioniert werden. «Wenn ein Soldat sich für fünf US-Dollar eine Dreizehnjährige in einem Bordell kauft, müsste er mit einer unehrenhaften Entlassung und einem Strafverfahren in seinem Heimatland rechnen.»

Obwohl sexualisierte Gewalt inzwischen als eigenständiger Anklagepunkt beim Internationalen Strafgerichtshof aufgenommen worden ist, hat es bisher noch keine Anklage gegeben, die darauf aufbaute. Damit dies möglich wird, müssten Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, einen besonderen Schutz vor erneuten Verletzungen erhalten. Entscheidend ist auch, dass sie über die einzelnen Verfahrensschritte während des Prozesses und ihre Rolle darin laufend informiert werden, damit sie weiterhin handlungsfähig bleiben. Die Gerichtskultur müsse sich ändern, es brauche eine Genderstelle: Das fordern viele Menschenrechtsorganisationen. Und ausserdem seien Schulungen für das Gerichtspersonal notwendig, sagt Hauser. Medica Mondiale hat in den vergangenen Jahren einige Kurse in Den Haag organisiert, doch es fehle an Beständigkeit.

Viel Hoffnung wird nun in die neue Chefanklägerin Fatou Bensouda gesetzt, die im Juni ihr Amt angetreten hat. Bensouda, eine in Gambia aufgewachsene Juristin, die schon während des Tribunals für Ruanda als Rechtsberaterin tätig war, will sich insbesondere für die Gerechtigkeit für afrikanische Frauen engagieren.

Zehn Jahre Gerichtshof

Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Uno-Generalversammlung die Gründung eines Gerichts beschlossen, das Kriegsverbrechen international verfolgen und bestrafen sollte. Doch nachdem in den vierziger Jahren die Hauptverantwortlichen für deutsche und japanische Kriegsverbrechen in den Nürnberger und Tokioter Prozessen verurteilt worden waren, verschwand die Idee einer internationalen Rechtsprechung in der Versenkung.

Die Sieger des Zweiten Weltkriegs waren zu Vetomächten des Uno-Sicherheitsrats geworden und hatten kein Interesse daran, dass auch ihre Verantwortungsträger von einem internationalen Gericht verurteilt werden könnten – die USA und Russland betrachten die Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs bis heute als nicht bindend. Die Vision lebte erst 1993 wieder auf, als der Uno-Sicherheitsrat ein Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ITFY) und im folgenden Jahr ein Tribunal für den Völkermord in Ruanda errichtete. 1998 folgte das Rom-Statut, das den Internationalen Strafgerichtshof begründete und mittlerweile von 120 Staaten ratifiziert worden ist. Am 1. Juli 2002 nahm der Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag seine Arbeit auf.