Raumplanung : Aufruhr im Chaletparadies

Nr. 28 –

Im Wallis sorgen die Reform des Raumplanungsgesetzes und die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative für hitzige Diskussionen. Hotelier Art Furrer und Bauunternehmer Christian Constantin mischen an vorderster Front mit. Ein Besuch in ihren Reichen.

Vom Architekturbüro Constantin gebaut: Einkaufszentrum Le Cristal in Martigny, eröffnet 2010.

Der kleine Mann mit dem grossen Cowboyhut ist schon von Weitem zu sehen. Art Furrer, 75, Hotelier, Bergführer, passionierter Skilehrer und Inbegriff des Cervelatpromi, steht auf dem verwaisten Vorplatz seines Resorts zwischen den sechs grossen Hotelgebäuden mit Giebel und Holzverkleidung und winkt. Auf der Riederalp im Oberwallis, unterhalb der Gletscherzunge des Aletschgletschers auf 1980 Meter über Meer, geht gerade die Zwischensaison zu Ende. In den Zeitungskästen vor den Hoteleingängen wartet die Sommerausgabe des hauseigenen Blatts auf die Feriengäste: «Ein Paradies auf Erden!» Beim Fotografen und dem Reporter legt sich Gastgeber Furrer gleich mächtig ins Zeug. Im neuen Panoramarestaurant Royal werden uns zum Mittagessen reichlich Fendant und eine Walliser Platte aufgetischt, die auch für fünf reichen würde. Der Grund unseres Besuchs ist allerdings ein anderer: Art Furrer hat das Ja zur Zweitwohnungsinitiative des Schweizer Stimmvolks vom letzten März und die Raumplanungsreform des Bundes ausdrücklich begrüsst und plädiert für ein Umdenken im Walliser Tourismus. Damit steht er in der Szene ziemlich alleine da.

Beim Alpencowboy

Von der Terrasse des «Royals» geht der Blick über den Neun-Loch-Golfplatz des Resorts, den Furrer auf dem Riederalper Hochplateau vor 25 Jahren einem Moor abgetrotzt hat, Richtung Monte-Rosa-Massiv und Matterhorn, das sich auf der südlichen Seite des Rhonetals erhebt. Furrer, der Einheimische, der zwischen 1959 und 1973 in den USA lebte und dann auf der Alp als Hotelier begann, hat hier systematisch immer weiter Land dazugekauft: «Niemand sollte mir einen Kasten vor die Berge stellen.» Als Furrer sein erstes Hotel baute, kostete der Quadratmeter elf Franken, heute über tausend. Für die Bewirtschaftung der 400 Betten und dreizehn Restaurants beschäftigt die Art Furrer Hotels AG im Winter bis zu 90 Angestellte, im Sommer sind es 35. Im Viersternehaus gehört Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck zu Furrers Lieblingsgästen. Den Furrers gehören auf der Riederalp mehr Betten als allen anderen Hotelbetrieben zusammen. «Andere kaufen mit ihrem Geld weiss der Teufel was. Ich habe immer alles in den Betrieb reinvestiert. Keine dicken Karren und keine Jacht gekauft, nie gross Ferien gemacht. Immer alles reinvestiert. Dann wächst man einfach. Automatisch», sagt Art Furrer. So verdrängte das Unternehmen auf der Riederalp die Konkurrenz: «Das ist wie mit einem Krebsgeschwür. Ich meine das nicht negativ, aber von der Struktur her. Dem Kleinen daneben geht das allerdings direkt an die Wurzel. Das hat die Atmosphäre auf der Riederalp jahrelang geprägt.»

Fertig mit Gebirgskatholizismus

Mittlerweile sind die Verhältnisse in Furrers kleinem Reich klar. Jenseits der Riederalp bringt ganz anderes die WalliserInnen aus der Fassung: die Annahme der Zweitwohnungsinitiative und das Ja der eidgenössischen Räte zum neuen Raumplanungsgesetz. Der Verfassungsartikel zur Zweitwohnungsinitiative, die sogenannte «Lex Weber», verlangt, dass die Schweizer Gemeinden ihren Anteil an Zweitwohnungen, eben etwa das «Chalet» oder das «Heimetli», generell auf zwanzig Prozent des gesamten Wohnungsbestands beschränken müssen. Das betrifft das Wallis besonders, da der Zweitwohnungsanteil im Tourismuskanton sehr hoch ist: Er liegt durchschnittlich bei 35 Prozent, während er gesamtschweizerisch nur 11 Prozent beträgt. Auch vom neuen Raumplanungsgesetz des Bundes, mit dem die Zersiedelung gebremst werden soll, indem überdimensionierte Bauzonen wieder verkleinert werden müssen, fühlt man sich im Wallis speziell eingeschränkt: Im alten Bergbauernkanton tummeln sich aussergewöhnlich viele LandbesitzerInnen. Ein Erbrecht, das bis in die achtziger Jahre nicht auf die Zusammenführung von vererbtem Land unter einem Besitzer, sondern auf dessen Aufteilung ausgerichtet war, machte viele WalliserInnen zu BesitzerInnen kleiner Kartoffeläcker oder Wiesen. Nach der Einzonung passte dort meistens gerade noch ein Chalet drauf.

Jahrzehntelang wurde bis in die Lawinenhänge hinein eingezont. Trabantenskistationen nach französischem Vorbild wie Nendaz entstanden. Kiesgrubenfirmen machten aus dem vom Staat zum Schleuderpreis verkauften Rhonekies Beton. Anwälte und Notarinnen verwandelten vererbtes, unprofitables Landwirtschaftsland in gewinnbringende Bauzonen und kassierten hohe Verschreibungsgebühren. Erben von Bauernfamilien machten sich selbst zu Bauherren. Das Baugewerbe verbaute schliesslich den einheimischen Beton. Ob in den Chalets und Ferienwohnungen am Ende auch jemand Ferien machte, interessierte kaum jemanden. Hauptsache, es wurde Baumaterial produziert, eingezont, gebaut und die Bodenpreise stiegen. Über allem stand in diesem «Geldberieselungssystem», wie Art Furrer das nennt, die «Gottespartei», die CVP: JuristInnen und Gewerbler führten sie, Bauarbeiter und Landerbinnen wählten sie. Seit 155 Jahren ist die Christlichdemokratische Volkspartei im Wallis an der Macht und hält zusammen mit den Christlichsozialen (CSP) trotz massiver Verluste bei den letzten Wahlen von 2009 immer noch die absolute Mehrheit. Art Furrer spricht vom «Gebirgskatholizismus»: «Er bildet die Klammer zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Establishment.» Wer früher nicht Christparteien wählte, war im Wallis schon auf halbem Weg ins Fegefeuer. «Der musste dann über den Aletschgletscher geistern», sagt Furrer. Nun scheint ausgerechnet die trockene Materie der Raumplanung dieser schillernden wirtschaftlich-politischen Metaphysik im Wallis den Garaus zu machen.

«Wir Walliser haben überbordet, jahrzehntelang haben wir Laisser-faire betrieben und darauf noch einen Fendant getrunken», kritisiert Furrer und fordert jetzt Innovation: Die bestehenden 61 000 Zweitwohnungen im Wallis, 35 Prozent aller Wohnungen im Kanton, will er sanieren, anstatt neue zu bauen. Und so aus kalten Betten warme machen: «Nur das hilft dem Tourismus, alles andere bloss dem Baugewerbe.» Profitieren davon würde, so findet Furrer, auch das Kleinhandwerk: «Das kann sanieren, die Betonmischer können nur neue Buden aufstellen.»

In der Burg des Bauunternehmers

Ein Repräsentant dieser Walliser Metaphysik ist auch Christian Constantin. Nur dass der berüchtigte Präsident des FC Sion den Katholizismus durch den Fussball ersetzt hat. In Martigny unten im Rhonetal empfängt uns der Bauunternehmer in der Gartenwirtschaft eines seiner Hotels. Auch sein Architekturbüro ist hier einquartiert. Auf dem Parkplatz steht Constantins Ferrari, er hat immer den neusten. Der Flachdachbau aus den achtziger Jahren erinnert mit seinen runden, turmähnlichen Flügeln an eine mittelalterliche Burg, eingeklemmt zwischen einer Umfahrungsstrasse und einem Verkehrskreisel, auf dem verzweifelte Kunst steht. Dahinter erheben sich die Weinberge. Ein paar Sion-Spieler schwirren um den Fussballmagnaten herum.

«Art Furrer ist zwar ein sehr guter Hotelier», sagt Constantin. Er habe aber auch gut reden: «Seine Riederalp ist gebaut, er ist aus dem Schneider.» Constantin hingegen, zwanzig Jahre jünger als Furrer, hat noch einiges vor: In Randogne bei Crans-Montana baut er auf 41 000 Quadratmetern gerade ein Resort mit Fünfsternehotel und diversen Ferienwohnungen. Regelmässig pflanzt er im Unterwallis neue Bürogebäude und Einkaufszentren auf die grüne Wiese. Er beschäftigt fünfzig Angestellte und erzielt einen Jahresumsatz von geschätzten 150 Millionen Franken. Entsprechend deftig wird Constantin, wenn es um das neue Raumplanungsgesetz und die «Lex Weber» geht: «C’est très simple: Aujourd’hui tout le monde nous emmerde.» – «Ganz einfach: Heute scheissen alle auf uns.» Mit «uns» meint Constantin das Wallis. Wobei das bei ihm wohl auch ein Synonym für sich selbst ist. So wie er von sich in der ersten Person Singular spricht, wenn er eigentlich seinen Fussballklub meint: «In der letzten Saison verlor ich zu viele Heimspiele.»

Unmittelbar nach der Abstimmung über die Zweitwohnungsinitiative im März fabulierte Constantin im «Tages-Anzeiger» vom Austritt des Wallis aus der Eidgenossenschaft: Das Wallis müsse sich überlegen, ob es nicht besser zu einem zweiten Fürstentum Liechtenstein werden sollte. Heute relativiert er ein wenig: Er habe nicht für die Unabhängigkeit des Wallis plädiert, sagt Constantin. «Aber wenn die Schweiz bereit ist, für die Raumplanung ihren tief verwurzelten Föderalismus aufzugeben, müssen wir im Wallis schauen, ob unsere Interessen in Bern noch vertreten werden.» Die Schweiz und das Wallis seien wie ein Ehepaar: «1815 haben wir geheiratet, jetzt können wir uns auch wieder trennen, wenn es nötig ist.» Constantin befürchtet, dass das Wallis im globalen Wettbewerb um die zahlungskräftigsten TouristInnen an Boden verlieren wird, wenn eine neue Raumplanung grosse Infrastrukturprojekte verhindert: «Irgendwann werden auch die Furrers wieder an Grenzen stossen, müssten weiter ausbauen. Spätestens dann, wenn ihre Feriengolfer aus aller Welt nur noch auf Achtzehn- statt auf Neun-Loch-Plätzen spielen wollen. Mit den neuen Gesetzen wird das schwierig.»

Und was passiert, wenn die neuen Gesetze umgesetzt werden, Herr Constantin? «Dann gehen wir bis zum bitteren Ende, genau so, wie ich es mit dem FC Sion getan habe.» Im letzten Sommer wickelte Constantins Klub Spielertransfers ausserhalb der dafür vorgeschriebenen Periode ab. Der europäische Fussballverband Uefa strafte, Constantin prozessierte. Am Ende zogen die Funktionäre der Schweizer Fussballliga dem FC Sion 36 Punkte ab, die Uefa schloss ihn aus dem Europacup aus. Constantin findet das heute lustig.

Walliser Referendum

Doch die wenigsten im Wallis, die gegen die «Lex Weber» und die Raumplanungsreform sind, spielen mit separatistischen Gedanken wie Constantin. Sie bevorzugen die institutionellen eidgenössischen Wege: Letzte Woche teilte die CVP Unterwallis mit, dass sie zusammen mit dem Schweizerischen Gewerbeverband das Referendum gegen das neue Raumplanungsgesetz ergreifen werde. Die vom Bundesrat eingesetzte Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative legte in ihrer Abschlusssitzung Ausnahmen für Maiensässe und Rustici fest: Sie dürfen weiterhin zu Ferienhäuschen umgebaut werden, auch wenn der Anteil der Zweitwohnungen in der betroffenen Gemeinde zwanzig Prozent überschreitet.

Art Furrer, Hotelier auf der Riederalp: «Ich habe immer alles in den Betrieb reinvestiert.»
Christian Constantin, Bauunternehmer in Martigny: «Dann gehen wir bis zum bitteren Ende.»

In Montreux am Genfersee nimmt der Vater der Zweitwohnungsinitiative, Franz Weber, diese Gegenangriffe aus dem Wallis gelassen. Es wäre nicht die erste Schlacht mit dem Walliser Gebirgskatholizismus, die zu seinen Gunsten endet: Als er in den siebziger Jahren in Verbier gegen einen Gebirgsflugplatz protestierte, ging der Bauherr, Anwalt, Notar, Skilehrer, Bergführer, Oberst der Gebirgsbrigade 10 und damalige Walliser CVP-Nationalrat Rodolphe Tissières vor laufenden Fernsehkameras auf Weber los. Der Angriff diskreditierte Tissières in der Öffentlichkeit, sein Projekt musste er begraben. Franz Weber sagt heute: «Wir werden wieder gewinnen.»

Tourismus, Bau und Industrie

Die Reformen im Bereich der Raumplanung kommen für das Wallis in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit: Während das Baugewerbe 16 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Wallis beiträgt, steuern der Tourismus 25 und die Industrie 30 Prozent bei. Letztere ist mit ihrer bedeutenden Chemiesparte (Lonza) und der traditionellen Metallverarbeitungsindustrie, zu der viele Autozulieferer gehören, stark exportorientiert.

Entsprechend leiden sowohl der Tourismus als auch die Industrie unter dem starken Franken. Die Zahl der Logiernächte sank 2011 auf das Niveau der frühen siebziger Jahre. Seit damals hat sich die Anzahl Zweitwohnungen im Wallis allerdings verdoppelt. Gemäss der Walliser Handelskammer wuchs die Walliser Wirtschaft in den ersten drei Monaten 2012 praktisch nicht.