Medientagebuch: Politik an weisser Sauce

Nr. 32 –

Lotta Suter über die Wahlberichterstattung der US-Medien.

Meine Mutter servierte alles Gemüse an einer dicken weissen Sauce. So habe ich das wenigstens in Erinnerung. Die Männer meiner Familie wollten lieber nicht so genau wissen, ob unter der milchig trüben Béchameldecke Krautstiele, Kohlrabi, Blumenkohl oder gar Rüebli versteckt waren. Hauptsache, die obligaten vegetarischen Beilagen schmeckten alle etwa gleich.

Längst haben die Mainstreammedien der USA den beliebten Hausfrauentrick aus den fünfziger Jahren übernommen. Sie versuchen damit, dem breiten Publikum die obligaten fleischlosen Informationshäppchen schmackhaft zu machen. Vor allem die Präsidentenwahl 2012 wird von den grossen US-Medien zurzeit flächendeckend mit einer zähen undurchsichtigen Pampe aus journalistischer Ausgewogenheit und Objektivität überzogen. Und sie verwenden dabei Zutaten, deren Verbrauchsdatum längst abgelaufen ist. In diesem medialen Einheitsbrei versinken die Konturen, die Faktizität und die gesellschaftliche Bedeutung der real existierenden Politik wie ehedem das welke Gemüse meiner Mutter in der weissen Sauce.

Egal, wie weit sich die Republikanische Partei in den USA nach rechts bewegt, der publizistische Mainstream bewegt sich einfach mit. Ohne eigenen Kompass und ohne eigene Orientierung. Egal, wie offen und unverschämt die Führung der Republikaner die antidemokratische Radikalisierung vorantreibt, die massgeblichen US-Medien präsentieren auch die diesjährige Präsidentenwahl unhinterfragt als klassisches demokratisches Ritual: als ein für die Willensnation bedeutsames politisches Kräftemessen der im Prinzip gleichwertigen Kandidaten der republikanischen und demokratischen Partei. Denn schliesslich wollen die Medien kräftig von den Werbegeldern beider Lager profitieren, von Propagandabudgets, die noch nie so hoch – und so intransparent – waren wie dieses Jahr. Angesichts dieses Affentheaters fragt sich bloss, was schlimmer ist: dass die Medien den republikanischen Extremismus – und Rassismus! – ständig verharmlosen? Oder dass Präsident Obama mit seinem lauen Zentrismus und seiner einseitigen Kompromissbereitschaft aus Gründen der medialen Symmetrie zum ideologischen Gegenspieler der fanatischen Rechten aufgebauscht wird?

Wenn Präsidentschaftskandidat Mitt Romney Parolen ausspuckt, die denen des Geheimbunds Ku-Klux-Klan zum Verwechseln ähnlich sind, empören sich die US-Medien kaum. Jedenfalls reagieren sie nicht stärker, als wenn Präsident Obama auch Homosexuellen das Recht auf Eheschliessung zugestehen will. Im ersten Fall werden Menschenrechte verletzt, und im zweiten Fall werden sie bestätigt. Doch die Medien behandeln beide Äusserungen gleich. Das heisst, sie werfen die Aussagen als blosses Echo zurück, ungeachtet ihres Inhalts. Wo bleibt die Aufklärung? Einzig die JournalistInnen der Alternativszene verstehen sich offenbar noch als WächterInnen der Demokratie.

Es sind jedenfalls nicht die grossen US-Medien, sondern vielmehr Stimmen aus dem politischen Establishment – darunter auffallend viele Konservative –, die heute feststellen: Die Republikaner reagieren kaum mehr auf Fakten, logische Beweisführung und wissenschaftliche Erkenntnis. Sie sind keine politische Partei mehr, sondern eine apokalyptische Sekte.

Diese gefährliche Entwicklung sollte von den grossen Medien wirklich nicht länger zugepampt werden.

Lotta Suter ist WOZ-Autorin.