Asyldebatte: Angst in Athen, Bange in Bern

Nr. 36 –

Muhammadi Yonous sollte recht behalten. «Es steht uns eine schlimme Zeit bevor», sagte der Präsident der afghanischen Community von Athen im Mai. Die Schlägergang Chrysi Avgi, die «Goldene Morgendämmerung», war mit rund sieben Prozent ins griechische Parlament eingezogen. Im Wahlkampf hatten die Mitglieder ihre Gewalt zurückgehalten, um als demokratische Saubermänner zu erscheinen. Sind die Wahlen erst einmal vorüber, so die Befürchtung von Yonous, werden die Neofaschisten erst recht Angst und Schrecken verbreiten.

In den letzten zwei Monaten kam es zu 200 rassistischen Übergriffen, die brutalsten ereigneten sich am 12. August in Athen und am 25. August in der Kleinstadt Nea Manolada: Fünf schwarz gekleidete Motorradfahrer verfolgten in Athen einen Iraker, traktierten ihn mit den Füssen, stachen mit Messern auf ihn ein. Der 19-Jährige verlor sein Leben. In Nea Manolada klemmten zwei Griechen den Kopf eines Ägypters in das Seitenfenster ihres Autos und schleiften ihn einen Kilometer mit. Der 22-Jährige ist mittlerweile ausser Lebensgefahr.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hält in einem Bericht fest, dass die meisten Übergriffe von organisierten Gruppen verübt werden. «Der Polizei gelingt es nicht, die Opfer zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.» Im Gegenteil: Jeder zweite Polizist hat bei den Wahlen für die Neofaschisten gestimmt. Wenige Tage vor der Ermordung des Irakers inhaftierte die Polizei bei einer Grossrazzia Tausende von Papierlosen.

Seit 2005 sind 750 000 Menschen über die Grenze nach Griechenland gekommen, viele von ihnen aus Kriegsgebieten wie dem Irak oder Afghanistan. Gemäss dem Dubliner Abkommen können Flüchtlinge nur in dem europäischen Staat ein Asylgesuch stellen, den sie zuerst betreten. In Griechenland ist das fast unmöglich: Lediglich zwanzig Gesuche nehmen die Behörden in der Millionenstadt Athen pro Woche entgegen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schaffen die Dublin-Staaten zwar keine Asylsuchenden mehr nach Griechenland zurück. Am Schicksal von Hunderttausenden, die in Athen festsitzen, hat das Urteil allerdings nichts geändert: Ihnen drohen weiterhin Rechtlosigkeit, Obdachlosigkeit, Hunger, Gewalt.

In Griechenland ereignet sich eine Krise in der Krise. Derweil die Europäische Union die Wirtschaftskrise mit marktradikalen Rezepten noch verstärkt, lautet beim Scheitern der Migrationspolitik die Devise: Wegschauen. Dabei bildet das Dublin-Mitglied Schweiz keine Ausnahme. Beispielhaft dafür ist die dumpfe Debatte, die der Nationalrat vor den Sommerferien führte. Die Situation in Griechenland und die Mitverantwortung der Schweiz wurden in der zweitägigen Diskussion bloss in zwei Voten erwähnt.

Stattdessen wurde von SVP bis GLP im Stakkato gefordert, die Attraktivität der Schweiz als Asylland zu senken. Obwohl nachweislich bekannt ist, dass die aktuellen Schwierigkeiten im hiesigen Asylwesen grösstenteils hausgemacht sind, beispielsweise wegen kaputtgesparter Unterkünfte, sollen die Asylsuchenden dafür bezahlen, unter anderem mit der Einführung von Nothilfe für alle.

Am kommenden Dienstag diskutiert der Ständerat über die Gesetzesrevision. Er will statt Nothilfe die schon praktisch bestehende «Sozialhilfe light» gesetzlich festschreiben – und ansonsten alle Verschärfungen durchwinken. Auch mit der zehnten Asylgesetzrevision seit 1979 wird das sinnlose Spiel fortgesetzt: Den Pflock zehn Meter rechts neben sich einschlagen: «Nothilfe für alle!» Dann doch nur fünf Meter weit rennen und humanitär lächeln: «Sozialhilfe light!» Dann den Pflock wieder zehn Meter weiter rechts einschlagen, die Forderung wurde bereits erhoben: «Nothilfe für einzelne ganz abschaffen!» Und so weiter.

Das Spiel hat zu einer Isolierung und Illegalisierung der Asylsuchenden geführt. Es hat einigen Medien den Kopf so verdreht, dass sie das Asylwesen für das grösste Problem des Staates halten. Es ist wünschenswert oder vielmehr dringend, dass im Ständerat das Wort Griechenland mehr als zweimal fällt.