Gentech-Moratorium: Die Wissenschaft hat gesprochen

Nr. 36 –

Das schweizerische Anbaumoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen läuft im November 2013 aus. Die Debatte um eine befristete Verlängerung spaltet auch Wissenschaft und Forschung.

Vergangene Woche hat das Nationale Forschungsprogramm 59 (NFP 59), «Chancen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen», in Bern seine Resultate präsentiert. Der Bundesrat hatte das Programm 2005 nach der Volksabstimmung über das Gentech-Moratorium beim Schweizerischen Nationalfonds in Auftrag gegeben; die Resultate kommen rechtzeitig für die Debatte um eine Moratoriumsverlängerung.

Skeptisch äusserte sich seinerzeit Dieter Imboden, Präsident des Forschungsrats des Nationalfonds: «Solche Programme wecken die Erwartung, die Wissenschaft solle eine polarisierte Frage entscheiden. Das kann die Wissenschaft nicht leisten.»

Eindeutige Botschaften?

Doch die Leitung des NFP 59 gab sich an der Präsentation ihres Schlussberichts Mühe, den Eindruck zu erwecken, die Wissenschaft habe entschieden. Zwei Aussagen standen im Zentrum:

• Das NFP 59 hat keine gentechnikspezifischen ökologischen Risiken gefunden.

• Der Zusatznutzen gentechnisch veränderter Pflanzen (GVP) und der Zusatzaufwand, den sie mit sich bringen, halten sich unter den Bedingungen der Schweizer Landwirtschaft von heute die Waage. Weil sich die Technik aber rasant entwickelt, dürfte der Nutzen die Kosten bald übersteigen.

Die Programmleitung präsentierte klare, eindeutige Botschaften – doch hielt die einige Stimme der Wissenschaft nicht einmal bis zum Ende der Medienkonferenz hin. Auf eine Journalistenfrage sagte der am NFP 59 beteiligte Forscher Lucius Tamm vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), die Kosten-Nutzen-Abschätzung des NFP 59 habe diverse Kosten nicht berücksichtigt, die bei einem Nebeneinander von GVP und konventionell gezüchteten Pflanzen auch anfallen würden. Würde man diese Kosten miteinbeziehen, müsste der Zusatznutzen der GVP schon «erheblich» sein, damit sich ihr Anbau unter dem Strich lohne.

Auch die erste Aussage wird von Beteiligten bestritten. Der grösste Teil des Programmbudgets floss in Projekte rund um die Freisetzungsversuche von Weizen, dem Mehltau-Resistenzgene eingepflanzt worden waren. Sie hatten unter anderem gezeigt, dass Weizenlinien, die im Gewächshaus deutlich mehr Ertrag gebracht hatten, im Freiland ertragsärmer waren. Und dass die mehltauresistenten Weizenlinien anfälliger waren für den hochgiftigen Mutterkornpilz. Das sei kein gentechspezifisches Risiko, sagt Dirk Dobbelaere, Präsident der Leitungsgruppe und Professor für Zellbiologie an der Universität Bern, auf Anfrage: «Das Problem des Mutterkornbefalls ist seit Hunderten von Jahren bekannt.» Simon Zeller, der an diesen Pflanzen geforscht hat, widerspricht: «Das Mehltau-Resistenzgen wirkte im Weizen sehr viel stärker als erwartet. Dadurch wurde die Fruchtbarkeit der männlichen Blüten reduziert, sodass die weiblichen Blüten länger blühen mussten, um bestäubt zu werden. Das hat sie anfälliger gemacht für Mutterkornbefall. Diese Kette von Folgen hat uns vollkommen überrascht, und ich wüsste nicht, dass dasselbe auch in der Natur vorkommt. Das ist ein gentechspezifisches Risiko.»

Irrelevante Studien?

Zeller sagt, er sei über die Präsentation der NFP 59-Resultate «sehr frustriert» gewesen. «Das war ein sehr interessantes Forschungsprogramm, weil viele Forscher mit verschiedenen Meinungen zusammenkamen. Es gab Reibungen, aber man raufte sich zusammen. Doch am Schluss hat das Lager derer, die eine klare Empfehlung zugunsten der Gentechnik abgeben wollten, das Ruder herumgerissen.»

Vom Weizen war an der Schlusspräsentation kaum die Rede – trotz des Stellenwerts, den die Freisetzungsversuche im Forschungsprogramm einnahmen. Dafür wurden die Resultate einer Literaturstudie stark hervorgehoben, die tausend wissenschaftliche Publikationen zu ökologischen Risiken der landwirtschaftlichen Gentechnik auswertete und zum Schluss kam, die Umweltrisiken von GVP lägen «im Rahmen dessen, was man aus der konventionellen Zucht kennt».

Urs Niggli, Direktor des FiBL, sagt, diese Gewichtung passe zum Eindruck, den er während seiner Arbeit als Mitglied der Begleitgruppe des NFP 59 gewonnen habe: «Es gab ein Riesenbedürfnis, die Gentechnik als nützlich darzustellen. Die Literaturstudie hat wissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht ins Schönwetterbild passten, systematisch als irrelevant disqualifiziert.» Niggli relativiert auch die Aussagekraft einer ebenfalls im Rahmen des NFP 59 entstandenen Studie am FiBL: «Wir fanden tatsächlich keine Risiken, aber wir konnten nicht mit den neusten Sorten arbeiten, weil wir von der Industrie das Saatgut nicht bekamen. Neuere Sorten könnten aber gewisse Risiken stärker zur Geltung bringen.»

Vergiftetes Klima

Wo die Literaturstudie unerwünschte Effekte von GVP gefunden habe, seien diese nicht auf die Gentechnik zurückzuführen, sondern auf «mangelhafte landwirtschaftliche Praktiken», heisst es in der Pressemitteilung. Urs Niggli sagt, es sei zwar richtig, dass ökologisch schädliche Anbaupraktiken wie Monokulturen oder fehlende Fruchtwechsel nicht erst mit der Gentechnik gekommen seien. Aber die heutigen GVP seien auf solche Praktiken hin entwickelt worden. «Würde man grundsätzlich in Richtung einer nachhaltigen Landwirtschaft umdenken, wären viele der Lösungen, die die Gentechnik anbietet, gar nicht nötig.» Dabei will er nicht ausschliessen, dass es in Zukunft gentechnische Entwicklungen geben könnte, die selbst in einer biologischen Landwirtschaft ihren Platz hätten. Nigglis Fazit aus dem NFP 59: Die Gentechnik sei wohl nicht so schlimm, wie von ihren GegnerInnen dargestellt – aber auch nicht so nützlich, wie von ihren PromotorInnen behauptet.

Ein solcher Befund passt schlecht in eine polarisierte Debatte. Und die Polarisierung wirkt auf die Forschung zurück. So sagt Bernhard Schmid, Professor für Pflanzenökologie an der Universität Zürich und Simon Zellers Doktorvater: «In der öffentlichen Debatte gibt es nur Schwarz oder Weiss. In dieser Situation haben viele Wissenschafter grosse Bedenken, etwas zu sagen, was von der ‹falschen Seite› benutzt werden könnte.» Offenbar, sagt Schmid, habe auch die Programmleitung des NFP 59 aufgrund dieser Bedenken die Resultate nun so wenig differenziert dargestellt.

Das Klima ist vergiftet – bis in die Wissenschaft hinein. «Manche Ko-Autoren unserer Studie mussten sich von Kollegen Vorwürfe anhören, weil sie bei einer solchen Studie, die als gentechkritisch bezeichnet werden könnte, mitgewirkt hätten», sagt Schmid. Die gentechkritische Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) wiederum bezeichnete den Befund, dass die Freilandversuche gegenüber den Erkenntnissen aus Labor und Gewächshaus Überraschungen zeitigten, als «Trivialität». «Natürlich wussten auch wir, dass es immer Unterschiede zwischen Gewächshaus und Freiland geben kann», so Schmid. «Aber noch nie hat das jemand in diesem Ausmass wissenschaftlich gezeigt. Die Gentechnikgegner hätten auch sagen können: Seht, nun haben wir den Beweis!»

Lobbyisten als AutorInnen

Wie es um die «intellektuelle Hygiene» des NFP 59 bestellt sei, fragte ein Westschweizer Kollege an der Präsentation des Schlussberichts. Man wisse doch, dass einige ForscherInnen der Industrie nahestünden. Man habe strenge Evaluationskriterien angewandt, antwortete Programmleiter Dirk Dobbelaere, schliesslich gehe es hier um Wissenschaft.

Tatsächlich spielten allfällige Interessenkonflikte von ForscherInnen bei der Projektvergabe keine Rolle. Vor allem zwei Personen in der Leitungsgruppe des NFP 59 weckten den Argwohn der GentechkritikerInnen: Detlef Bartsch und Jeremy Sweet. Beide sitzen sowohl in der gentechfreundlichen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als auch in Lobbygruppen wie der International Society for Biosafety Research; Sweet ist mit mehreren Firmen im Gentechnikbereich verbunden.

Ausgerechnet Sweet und Bartsch haben nun im Rahmen des NFP 59 auch die Literatur zu ökologischen Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen ausgewertet. Bei qualitativen Literaturauswertungen spielen subjektive Interpretationen und Gewichtungen zwangsläufig eine grosse Rolle. Die Wahl von Bartsch und Sweet als Autoren trägt nicht dazu bei, Vertrauen in die Studie zu wecken.

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Nachtrag vom 14. Februar 2013 : Überwachter Weizen

Die Gentechnikforschung rüstet auf: Am Stadtrand von Zürich soll eine Anlage für Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen entstehen. Die drei Hektaren grosse «Protected Site» wird eingezäunt und rund um die Uhr bewacht. Das plant die landwirtschaftliche Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz gemeinsam mit der Universität Zürich. Die Anlage soll jährlich 750 000 Franken kosten.

2014 will die Universität den nächsten Freisetzungsversuch mit mehltauresistentem Weizen starten. Sie hat beim Bund ein Gesuch dafür eingereicht. Ähnliche Versuche gab es im Reckenholz bereits im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen» (NFP 59), das letztes Jahr abgeschlossen wurde. Sie waren nicht gerade ermutigend: Der Weizen brachte im Freiland deutlich weniger Erträge als im Gewächshaus. Zudem war er äusserst anfällig für den giftigen Mutterkornpilz. Die Universität Zürich will es nun mit neu entwickelten Weizenlinien versuchen.

Landwirtschaftliche Forschung ist wichtig und sinnvoll, wenn sie die Ökosysteme respektiert und die Autonomie der BäuerInnen fördert. Gentechpflanzen bringen das Gegenteil: Sie führen in die Abhängigkeit und fördern eine industrielle Landwirtschaft. Gentechsaatgut ist patentiert und wird von multinationalen Konzernen verkauft – oft zusammen mit den passenden Pestiziden. Zum Beispiel von Syngenta: Der Basler Konzern meldete soeben, er habe 2012 Rekordgewinne erzielt.