Kommentar: Bundesgericht für Spitzelsystem

Nr. 36 –

Das Bundesgericht hat in einem knappen Entscheid alle Beschwerden gegen das verschärfte Sozialhilfegesetz im Kanton Bern abgewiesen. Im Zentrum steht eine Generalvollmacht, die den Sozialbehörden Einblick in sämtliche persönlichen Verhältnisse von SozialhilfebezügerInnen erlaubt. Die WOZ druckte die Mustervorlage in der letzten Ausgabe ab. Das von den Bürgerlichen durchgeboxte Gesetz installiert ausserdem ein Spitzelsystem gegen Hilfsbedürftige: Firmen, Vermieter oder WG-Mitbewohnerinnen werden zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet, also zur Denunziation.

Das Bundesgericht betonte, dass das Sozialhilfegesetz «keine Sternstunde der Gesetzgebung» sei. Es zweifelt daran, ob die buchstabengetreue Auslegung des Gesetzes verfassungskonform sei. Dennoch vertraut die Mehrheit des Gerichts – der Entscheid fiel im Verhältnis drei zu zwei – bei der Auslegung des Gesetzes auf die Sozialbehörden. Diese hätten kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung. Woher wissen das die BundesrichterInnen? Ein Bundesgericht muss Regierung, Parlament und Sozialbehörden nicht vertrauen, es muss sie kontrollieren. Es hat BürgerInnen im Zweifelsfall vor dem unverhältnismässigen Zugriff staatlicher Stellen zu schützen. Das ist hier nicht der Fall. Das Bundesgericht öffnet damit Missbrauch in Sozialbehörden Tür und Tor.

Zur gesetzlich legitimierten Denunziation hat sich das Bundesgericht in der öffentlichen Verhandlung nicht geäussert. Dazu muss die Öffentlichkeit die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Es sei allerdings schon hier zu zivilem Ungehorsam aufgerufen, sollten Sozialbehörden von Menschen aus dem Umfeld Hilfsbedürftiger Spitzeldienste einfordern.