Philippinen: Das viel zu langsame Ende der Gewalt

Nr. 36 –

Seit zwei Jahren gibt es auf den Philippinen einen Hoffnungsschimmer, dass die Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahrzehnte aufgearbeitet werden. Die Vorsitzende der staatlichen Menschenrechtskommission erklärt, warum.

«Die politische Kultur der Straflosigkeit auf den Philippinen ist das grösste Problem bei der Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen der letzten Jahrzehnte», sagt Loretta Rosales. Die ehemalige Lehrerin weiss, wovon sie spricht. Seit zwei Jahren ist Rosales Vorsitzende der staatlichen Menschenrechtskommission (CHR), die einzige Institution des Landes, bei der Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden können und der die Bevölkerung zutraut, diese dann auch zu verfolgen.

Neunzig Prozent Sozialpolitik

Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Institutionen sitzt tief. Viele der Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit der Diktatur unter Ferdinand Marcos (1965–1986) wurden bis heute nicht aufgearbeitet. Auch Rosales war Opfer dieser Diktatur: Zweimal wurde sie in den achtziger Jahren inhaftiert und schwer gefoltert. Die Präsidentschaft von Gloria Macapagal-Arroyo von 2001 bis 2010 war dann geprägt von ungehemmter Korruption, unverhohlenen Wahlfälschungen, staatlichen Auftragsmorden, Massakern und einer äusserst repressiven Politik gegen MenschenrechtsvertreterInnen, Gewerkschaften und den verschiedenen RebellInnengruppen des Landes.

Erst seit dem Amtsantritt von Benigno Aquino 2010 scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben. Selbst Loretta Rosales ist verhalten optimistisch, wie sie der WOZ erzählt. «Ich halte Aquino für einen ehrlichen Mann», sagt sie, «besonders wenn man sich daran erinnert, wie sehr seine Vorgängerregierung das Land geplündert hat.»

Mehr will Loretta Rosales zur Vergangenheit nicht sagen. Sie spricht lieber über die Gegenwart: «Seit Aquino im Amt ist, hat ein Umdenken in der Politik stattgefunden – zumindest auf Ebene der Regierung und in der Führung der Sicherheitskräfte.» So seien diese nun der Ansicht, dass das Problem der Aufstände zu neunzig Prozent mit Sozialpolitik und nur zu zehn Prozent mit militärischen Mitteln bekämpft werden sollte. «Die Umsetzung ist aber eine andere Sache. Es gibt noch immer Menschenrechtsverletzungen, die von den unteren Rängen des Militärs und der Polizei begangen werden.»

Genau hier setzt die Kritik der CHR an. «Natürlich ist es ein langwieriger Prozess, bis die Menschen umdenken», sagt Rosales. «Doch die aktuelle Regierung forciert diesen Prozess nicht, und die Bürokratie arbeitet sehr langsam.» Entsprechend hat die CHR Mitte August von der Regierung gefordert, Hunderte aussergerichtliche Tötungen aus den Jahren 2005 bis 2009 auf der südlichen Insel Mindanao zu untersuchen und die Schuldigen – häufig VertreterInnen der Sicherheitskräfte – zur Verantwortung zu ziehen. Nur so könne die Regierung glaubhaft machen, dass sie ihrer Rhetorik zur Beendigung der Straflosigkeit auch Taten folgen lässt.

«Hysterische Kritik»

Loretta Rosales versteht unter dem Schutz der Menschenrechte jedoch weit mehr, als «nur» das vergangene Unrecht aufzuarbeiten. So unterstützt die CHR bereits seit einigen Jahren die Projekte des schweizerischen christlichen Hilfswerks Fastenopfer auf den Philippinen und leistet Hilfestellung zum Beispiel bei dessen Einsatz gegen eine geplante Freihandelszone in der Provinz Aurora im Norden des Landes. Bei diesem Projekt wurden den letzten Monaten immer wieder KleinbäuerInnen, Fischerfamilien und indigene Völker von ihrem Land vertrieben und ihrer Lebensgrundlage beraubt.

«Der Schutz der Menschenrechte hat viele Formen», sagt Rosales. Als die Mitbegründerin von Akbayan, einer progressiven BürgerInnenpartei, zu der sich 1998 soziale Bewegungen, Gewerkschaften und politische Gruppierungen zusammengeschlossen hatten und für die Rosales zwölf Jahre im Kongress sass, 2010 zur CHR wechselte, war ihre Ernennung von, wie sie sagt, viel «hysterischer Kritik» begleitet. «Erstaunlicherweise kam sie nicht von rechten, sondern vor allem von linken Gruppen», erzählt sie mit einem Anflug von Sarkasmus. Das sei jedoch kein Wunder. Als sie angetreten sei, habe sie verkündet, dass sie Menschenrechtsverletzungen verfolgen werde, egal welche Seite sie begangen habe. «Und natürlich passt es gewissen Gruppen nicht, wenn ich sage, dass die sogenannte Revolutionssteuer, die Rebellen von der Bevölkerung eintreiben, nur ein anderes Wort für Erpressung ist – und sich nicht von den Bestechungsgeldern unterscheidet, wie sie etwa die Polizei verlangt.»

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