Fussball und andere Randsportarten: Die Prinzessin ist traurig

Nr. 39 –

Pedro Lenz wünscht sich den Doppelpass von Literatur und Fussball.

«Die Prinzessin ist traurig … Was ist mit der Prinzessin los? / Die Seufzer entfahren ihrem Erdbeermündchen, / welches das Lächeln verlor und die Farbe verlor. / Bleich sitzt die Prinzessin auf ihrem goldenen Sessel.»

So beginnt das Gedicht «Sonetina» des nicaraguanischen Dichters Rubén Darío. Etwas weiter unten lesen wir: «Ach, die arme Prinzessin mit dem Rosenmund! / Sie möchte eine Schwalbe sein, ein Schmetterling, / sie will leichte Flügel haben, will zum Himmel fliegen.» Und noch etwas später schreibt der Dichter, die blauäugige Prinzessin sei eine Gefangene in einem Käfig aus Gold, Tüll und Marmor.

Rubén Darío, der 1867 in Managua zur Welt kam und 1916 starb, gilt in der spanischsprachigen Welt als Wegbereiter einer literarischen Epoche, des sogenannten Modernismo. Er lebte lange in Paris und amtete von 1908 bis 1910 als Botschafter seines Landes in Madrid. Und genau in Madrid haben nun weite Teile der spanischen Sportpresse dieses über hundertjährige Gedicht neu abgedruckt, um damit die Trauer des Fussballers Cristiano Ronaldo zu erklären.

Nicht nur Sportinteressierte dürften mitbekommen haben, dass der Real-Madrid-Star vor einigen Tagen den kryptischen Satz von sich gab: «Ich bin traurig, und die Leute im Klub wissen, warum.» Das löste weit über die spanische Grenze hinaus Spekulationen aus, was den begnadeten portugiesischen Goalgetter, der nach seiner Rückennummer auch CR7 genannt wird, so traurig gemacht haben könnte. Bald war zu lesen, seine Trauer habe mit der beruflich unbefriedigenden Situation seines Mannschaftskameraden und brasilianischen Freunds Kaká zu tun. Dann hiess es, die mysteriöse Trauer sei eine Folge des Umstands, dass er mit zehn Millionen Euro Jahresgehalt nur halb so viel verdiene wie andere, vielleicht weniger begabte Berufskollegen. Andere Fachleute wollten wissen, sein leiblicher Vater, den er kaum gekannt habe, sei gestorben.

Da jedoch keine der vielen Vermutungen über den Grund von Ronaldos ominöser Trauer offiziell bestätigt werden konnte, fiel es einem Blog-Journalisten ein, Rubén Darío zu bemühen. Dies inspirierte sofort eine grössere Zahl von BerufskollegInnen, die literarische Fährte weiterzuverfolgen. Der magische Rubén Darío habe mit seinem Gedicht über die traurige Prinzessin in prophetischer Voraussicht alles gesagt, was zur Prinzessin CR7 zu sagen sei, fanden sie übereinstimmend heraus. Es handle sich bei der Trauer von Cristiano Ronaldo um die klassische Trauer derer, die alles hätten ausser Freiheit. Dem Real-Madrid-Star fehle die Leichtigkeit, die jenen abhanden kommt, deren Taschen voller Gold sind. Das Motiv komme in der Literaturgeschichte seit der Antike immer wieder vor. Und an der gleichen Prinzessinnentrauer hätten zum Beispiel Lady Di oder die Gattin des Fürsten von Monaco, Charlene Wittstock, gelitten.

Uns Fussballfans, die wir fast alles über Doppelpässe und Blutgrätschen, aber nichts über Königshäuser und Blaublütige wissen, könnte diese Prinzessinnentheorie vollkommen kaltlassen.

Interessieren sollte uns aber immerhin der Ansatz, Fragen des Fussballalltags mithilfe der Literatur zu erklären. Würden Poesie und Fussball öfter und enger miteinander verknüpft, könnten beide profitieren. Die FussballerInnen bekämen die Möglichkeit, neue, bisher weitgehend unbekannte Sensibilitäten zu entwickeln. Poetinnen und Poeten wiederum könnten sich vom Spieltrieb und der Verwegenheit des Fussballmilieus inspirieren lassen.

Um einen solchen interdisziplinären Brückenschlag erfolgreich zu meistern, braucht es freilich gewisse Anstrengungen von allen Seiten. Schreibende können sich beispielsweise einem Fussballteam anschliessen. Fussballerinnen und Fussballer sollen Lesezirkel oder Literaturgruppen gründen. Und Cristiano Ronaldo möge während der Massagesession Rubén Darío studieren.

Pedro Lenz (47) ist Schriftsteller und lebt in Olten. In diesen Tagen ist beim Cosmos-Verlag in Muri sein neuer Erzählband, «Liebesgschichte», erschienen. Pedro Lenz: «Liebesgschichte». Cosmos Verlag AG. Muri-Bern 2012. 144 Seiten. 29 Franken.