Kultour

Nr. 39 –

Theater

Tell 2291

Als ob nicht schon genug «Wilhelm Tell» gespielt würde auf all den Freilicht- und Stadttheaterbühnen in diesem Land: Nun eröffnet auch noch das Neumarkt-Theater mit einem «Tell» die Spielzeit. Aber brechen wir nicht vor dem Apfelschuss den Stab über die Zürcher Bühne. Immerhin wurde der Stoff von einem Hamburger Punk radikal umgeschrieben: Jens Rachut, bekannt unter anderem als Texter und Sänger der Band Kommando Sonnenmilch, war im Neumarkt bereits in der vergangenen Saison mit einem eigenen Stück («Die Seelenfahnder») als Autor, Regisseur und Darsteller zu sehen.
Nun versetzt er das helvetische Epos in die Zukunft (Regie: Rafael Sanchez): Im Jahr 2291, «auf den Tag genau tausend Jahre, seitdem Wilhelm T. seinem Sohn den Apfel vom Kopf schoss», haben die Deutschen die SchweizerInnen «aus ihren Bauernhäusern rausgeschmissen und in Lern- und Arbeits-Container gesteckt». Schweizerdeutsch ist streng verboten, Wilhelm bringt in einem kleinen Flugzeug Flüchtlinge über die Alpen, und (Herr) Stauffacher ruft wieder mal zur Revolution auf.
Die Musik kommt von Jonas Landerschier, der auch als Begleitmusiker von Jan Delay und Rocko Schamoni bekannt ist.
Adrian Riklin
«Wilhelm Tell» in: Zürich Theater Neumarkt, 
Fr, 28. September 2012, 20 Uhr (Premiere), 
sowie Mo, 1., Mi–Sa, 3.–6. und 10.–13., 
sowie Di–Do, 23.–25. Oktober 2012, je 20 Uhr. 
www.theaterneumarkt.ch

Film

Türkische Filmtage

Ein Mann, ein Kind und der Wald. Im Spielfilm «Bal – Honig» erzählt Semih Kaplanoglu in wunderschönen Bildern und mit wenigen Worten vom Jungen Yusuf, der seinen Vater auf den Spuren der Bienen begleitet. Der Imker zieht den ganzen Tag durch den Wald. Doch eines Tages kommt er nicht mehr nach Hause, und das Leben des Jungen verändert sich auf einen Schlag.
An den Türkischen Filmtagen im Kino Cinématte in Bern sind neben «Bal» auch «Yumurta» (Ei) und «Süt» (Milch) zu sehen. Die drei zwischen 2007 und 2010 von Kaplanoglu gedrehten Filme, in deren Zentrum die Biografie eines fiktiven Dichters steht, werden auch Yusuf-Trilogie genannt und gelten als eindrückliches Monument des neuen türkischen Films.
Zu sehen sind an den Filmtagen ausserdem «Turkish Passport» (2011) von Burak Arliel, «Pandora’s Box» (2008) von Yesim Ustaoglu sowie diverse Kurzfilme. Darüber hinaus werden im Restaurant Cinématte Bilder des Kunstmalers Harun Dogan, bekannt als Strassenkünstler Shark, gezeigt. Zur Eröffnung gibt es zudem türkisches Essen und Musik von DJ Gekko.
Silvia Süess
Türkische Filmtage in: Bern Kino Cinématte, 
Di–Do, 2.–4. Oktober 2012.
 www.cinematte.ch

Konzert

Rock ’n’ Roll und Hofmalerei

Die Zürcher Musikerin, Performerin und Malerin Stella Glitter zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung «Shake, rattle & roll» neue Bilder aus der Serie, in der sie Grössen aus der Blues-, Rock- und Jazzgeschichte porträtiert. Unter anderem sind auf den Ölbildern oder auch in Kohle und Tusche John Lee Hooker, Udo Lindenberg, Keith Richards, Patty Smith, Marianne Faithfull, Miles Davis, Jimi Hendrix und Lee Ranaldo (Sonic Youth) zu sehen.
Stella Glitter versteht sich als zeitgenössische Hofmalerin, die ihre Vorlagen unter anderem aus der Bilderflut in Printmedien bezieht. Sie trifft ihre Auswahl, um einzelnen dieser Bilder in Öl und Tusche eine nachhaltigere Bedeutung zu geben. Ganz im Sinn der Hofmalerei nimmt Glitter aber auch Aufträge entgegen und malt Porträts aufgrund der Vorlagen, die in der Flut von Erinnerungsfotos bei den KundInnen eine besondere Stellung einnehmen. Das kann der Geliebte, das Kind oder der unlängst verstorbene Hund sein.
Der Eröffnungsabend wird gerahmt durch die «Stella-Glitter-Rock-’n’-Roll-Show mit Gästen», in der sie bekannte Songs aus der Rock-’n’-Roll-Geschichte in eigenen Übersetzungen ins Deutsche präsentiert. Neben Hits von Elvis Presley, Chuck Berry, Lou Reed oder Patty Smith werden auch Songs von Glitter selbst zu hören sein. Let’s shake!
Johanna Lier

Stella Glitter, «Shake, rattle & roll» in: 
Zürich Lebewohlfabrik. Vernissage: 
Di, 2. Oktober 2012, 18 Uhr. Konzert: 20 Uhr. 
Bis Di, 27. November 2012. Öffnungszeiten: 
www.lebewohlfabrik.ch / www.stellaglitter.ch.

Svavar Knutur

Der Singer/Songwriter Svavar Knutur hat schon an allen erdenklichen Orten auf Island seine Lieder erklingen lassen. Aufgewachsen ist er in den garstigen Fjordlandschaften im Westen der Insel. Vor drei Jahren erschien seine erste Soloplatte mit dem Titel «Kvöldvaka» (Lagerfeuerlieder). Das Lagerfeuer lodert in Island unter besonderen Bedingungen: Im Sommer wird es kaum dunkel, im Winter kaum hell. Die Texte von Knutur bewegen sich auf unterhaltsame und humorvolle Weise im emotionalen Hell-Dunkel, zwischen Misere und Erlösung. Als Einflüsse nennt er Kris Kristofferson, Nick Drake und Will Oldham, der auch als Bonnie «Prince» Billy bekannt ist.
International ist Svavar Knutur mit seiner Band Hraun bekannt geworden, nicht zuletzt, weil ihr Song «Astarsaga ur fjollunum» (Liebesgeschichte aus den Bergen) vom BBC World Service als das «nächste grosse Ding» abgefeiert wurde. Svavar Knuturs aktuelles Album «Amma – Songs for My Grandmother» versammelt eine Reihe von traditionellen isländischen Folksongs, die er live im Wohnzimmer seines Produzenten Adalsteinn Asberg eingespielt hat. Meistens spielt er dabei Gitarre und etwas seltener auch Ukulele und Piano. Unter den ZuhörerInnen sassen viele Familienmitglieder, darunter auch eine seiner Grossmütter. Das Klicken der Stricknadeln und andere Geräusche tragen bei diesem Hauskonzert zur «heimeligen» Atmosphäre bei und verstärken die Kraft der Lieder.
Fredi Bosshard

Svavar Knutur in: Brugg Dampfschiff, 
Fr, 28. September 2012, 21 Uhr. Thun Café Bar Mokka, Sa, 29. September 2012, 21 Uhr.

Festival

Alte Musik in Zürich

Das diesjährige Festival für Alte Musik in Zürich hat «Himmel & Hölle» als Motto gewählt. Dieses hat das Ensemble Rayuela in «I Swim in Heav’n, I Sink in Hell» abgewandelt und bringt eine ganze Reihe englischer «Consort Songs» aus der Renaissance zur Aufführung. Dabei wird die Sopranistin Andrea Lauren Brown von InstrumentalistInnen mit Blockflöte, Laute, Barockgitarre, Viola da Gamba, Cembalo und Orgel begleitet. In ihrem Programm kommen Songs von William Byrd (1540–1623), Thomas Morley (1557–1602), John Baldwine (1550–1615), Orlando Gibbons (1583–1625) und anderen (zum Teil unbekannt gebliebenen) Zeitgenossen zur Aufführung.
Ein Konzertabend mit Werken diverser KomponistInnen ist Papst Leo X (1475–1521) gewidmet: «Lacrime di Leo» (Tränen des Löwen) ist einem Abendkonzert nachempfunden, wie es sich der Papst gelegentlich gegönnt haben soll. Das Präludium «Geniesse den Tag» beginnt mit «Rostibolli gioioso» (Lustiger Braten), und der erste Akt kündet «Vom stürmischen Seelenzustand eines Verliebten» und geht im zweiten Akt in «Flucht aus Amors Gefängnis ist unmöglich» über. Das Programm des Basler Ensembles La Morra schliesst mit dem «Memento mori» (Gedenke des Todes). Papst Leo X habe sich neben der Musik – so geht die Kunde – auch sonst noch einiges gegönnt, was besonders Martin Luther erzürnte. Zwischen «Himmel & Hölle» ist eben allerhand möglich.
Fredi Bosshard

Festival Alte Musik «Himmel & Hölle» in: Zürich ZHdK, Florhofgasse; Kirche St. Peter, Theatersaal Rigiblick, Do, 27. September 2012, bis So, 7. Oktober 2012. www.altemusik.ch