Strommarkt: Energie mit doppelter Moral

Nr. 39 –

Schweizer Strommanager klagen über die ausländische Konkurrenz von subventioniertem Wind- und Solarstrom. Gleichzeitig kassieren sie im Ausland selber millionenschwere Subventionen.

Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel. Im Handelsraum des Berner Stromkonzerns BKW Energie AG, den die TV-Sendung «10 vor 10» am 16. August ins Bild rückte, war die Stimmung düster. Grund: Deutsche Solarkraftwerke speisen in der mittäglichen Spitzenstunde rund 18 Millionen Kilowattstunden (kWh) Elektrizität ins europäische Stromnetz ein. Das ist zwar nur ein kleiner Bruchteil dessen, was im europäischen Stromverbund insgesamt produziert und konsumiert wird. Doch der zusätzliche Solarstrom verschärft an sonnigen Tagen das eh schon bestehende Überflussproblem. 

Schon ab Mitte 2008 führten die Rezession in der EU und der Bau zusätzlicher Kohle- und Gaskraftwerke zu einer wachsenden Überkapazität in der europäischen Stromproduktion. Damit sanken die Marktpreise generell sowie die Preisdifferenz zwischen Bandstrom (der rund um die Uhr erzeugt wird) und Spitzenstrom. Die Wind- und Solarkraftwerke, die vor allem Deutschland und Italien stark fördern, konkurrenzieren nun – temporär – die Betreiber der Schweizer Wasserkraftwerke zusätzlich. Denn um die Mittagszeit sind die Preise und die Profite des Spitzenstroms, der sich aus dem in Stauseen gespeicherten Wasser produzieren lässt, traditionellerweise am höchsten.

Hier über Subventionen klagen …

Speziell kritisiert wird die neue Konkurrenz, weil sie – im Unterschied zur Schweizer Wasserkraft – von Italien und Deutschland mit einer kostendeckenden Einspeisevergütung quersubventioniert wird. BKW-Handelschef Samuel Leopold klagte im «10 vor 10»-Film: «Wenn es der Markt wäre, würde ich mich dem fügen. Doch der Markt ist verzerrt. Diejenigen, die uns aus dem Markt drängen, haben etwas, was wir nicht haben, nämlich Subventionen.» Kurt Rohrbach, Chef der BKW und Präsident des Stromdachverbands VSE, ergänzte gegenüber mehreren Medien: Die neue erneuerbare Stromproduktion beschere der Schweizer Strombranche einen Minderertrag von jährlich rund hundert Millionen Franken.

Szenenwechsel: Kürzlich organisierte die BKW eine Reise für JournalistInnen zu ihren Windkraftwerken in Apulien. Mit dabei war NZZ-Redaktor Giorgio V. Müller. Am 13. September erschien sein Artikel in der NZZ mit dem Untertitel: «Schweizer Windpionier BKW erwirtschaftet gutes Geld mit dem Betrieb von ausländischen Windkraftwerken». Im Text lobte Müller: «Für die vergleichsweise arme Region Apulien sind die meist ausländischen Investoren, die ihre Stromproduktionsanlagen hier aufbauen, ein Segen.» Zu diesen Segensbringern gehört eben auch die BKW. Sie wird bis Ende des Jahres allein in Apulien Windparks mit einer Gesamtleistung von 225 Megawatt (MW) besitzen. Die BKW habe gezeigt, so erfährt man im NZZ-Text weiter, «wie man Strom rentabel produziert und vermarktet».

… dort Subventionen kassieren

Wie denn? Was im NZZ-Artikel nicht steht, bestätigt eine Rückfrage bei Antonio Sommavilla, Mediensprecher der BKW: Das «gute Geld», das die Windkraftwerke in Apulien in die Kasse des Stromkonzerns blasen, besteht mehrheitlich aus Subventionen. Das relativiert die Klage der BKW-Manager über den subventionierten Solarstrom aus Deutschland, der an sonnigen Mittagen die Preise für Spitzenstrom aus Schweizer Wasserkraftwerken in den Keller drückt.

In Zahlen ausgedrückt: Für eine Kilowattstunde Windstrom erhält die BKW auf dem italienischen Markt rund 7 Eurocent oder umgerechnet 8,4 Rappen. Zusätzlich bezahlt der italienische Staat pro kWh Windstrom 8 Eurocent oder 9,6 Rappen Subvention in Form von sogenannten Grünzertifikaten. Das ergibt eine Vergütung von 18 Rappen pro kWh. Den gleichen Betrag bezahlt das Hochlohnland Schweiz zurzeit auch für den einheimischen Windstrom. Mit andern Worten: Als Standort für Windkraftwerke ist die «vergleichsweise arme Region Apulien» der wahre Segen für die vergleichsweise immer noch reiche Schweizer BKW.

Für Stromkonzerne auf der Jagd nach Subventionen ist Italien eine Goldgrube. Aber kein Einzelfall. Deutschland etwa, wo die BKW ebenfalls Windkraftwerke betreibt, subventioniert nicht nur Solarstrom, sondern auch Kohle- und Atomenergie sowie alle erneuerbaren Energien. Für Strom aus neuen Windkraftwerken beträgt die Einspeisevergütung gemäss Erneuerbare-Energie-Gesetz zurzeit neun Eurocent beziehungsweise elf Rappen pro Kilowattstunde, nachdem sie in den letzten Jahren deutlich gesenkt worden ist. Ähnliche Subventionen schütten die meisten europäischen Staaten aus.

Auch die BKW ist kein Einzelfall: Die meisten grossen Schweizer Stromkonzerne sowie Stadtwerke und regionale Stromverteiler haben in den letzten Jahren Windkraftwerke gebaut oder Beteiligungen daran erworben, den Grossteil davon im Ausland. Das zeigen die Antworten auf eine kleine Umfrage der WOZ bei ausgewählten Stromunternehmen (vgl. Tabelle). Dabei profitieren die meisten von Subventionen, sei es in Form von Grünzertifikaten, Zuschüssen oder kostendeckenden Vergütungen für den ins Netz eingespeisten Strom.

Schätzungsweise 200 Millionen

Das Ausmass dieser Subventionen illustriert folgende Hochrechnung: Allein die in der untenstehenden Tabelle aufgeführten Unternehmen verfügen über Windkraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 1100 Megawatt respektive 1,1 Gigawatt (Stand Ende 2012); über neunzig Prozent davon befinden sich im Ausland. Diese Anlagen produzieren durchschnittlich während 2000 Jahresstunden Strom mit Volllast. Das ergibt eine Jahresproduktion von 2200 Millionen kWh Windstrom. Wir nehmen an, dass dieser im Durchschnitt mit 16 Rappen/kWh vergütet wird, wobei eine Hälfte auf den Marktpreis, die andere Hälfte von acht Rappen auf Subventionen entfällt. Multipliziert man nun die acht Rappen Subvention mit der Produktion von 2200 Millionen kWh, so entsteht eine jährliche Subventionssumme von 180 Millionen Franken.

Mit ihren Windkraftwerken kassieren die in der Tabelle angeführten Unternehmen zusammen mit den übrigen Schweizer Stromfirmen schätzungsweise 200 Millionen Franken pro Jahr. Dieser Betrag ist doppelt so hoch wie der angebliche Verlust, den der subventionierte deutsche Solarstrom laut VSE-Präsident Kurt Rohrbach den Schweizer Wasserkraftbetreibern jährlich beschert. Und die doppelte Moral aus dieser Hochrechnung: Wer selber im Subventionshaus sitzt, soll keine Steine gegen andere Subventionsempfänger werfen.